Umorientieren
CN: Schlafmangel, Folter und Mord - erwähnt, Geschlechtszuweisung, Reden über sexuelle und andere Übergriffigkeiten, Vergiften und Hinrichtung als Thema, Erwürgen, Bewusstlosigkeit.
Die Kagutte lag im Hafen von Lettloge. Die Wachen Schäler und Luanda begleiteten sie dorthin. Wenn Lilið darauf vertraute, dass Wache Schäler tatsächlich hauptverantwortlich für des Gemetzel auf der Kriegskaterane gewesen war, war es wahrscheinlich aktuell wirklich keine gute Idee, zu fliehen. Aber unter diesem Gesichtspunkt fühlte es sich auch merkwürdig an, wie gelassen Drude mit der Wache sprach. Drude war überhaupt ungewöhnlich gesprächig. Vielleicht war dey es, um zum einen herauszufinden, was vorgefallen war, und zum anderen eine Geschichte recht ausführlich darzulegen, an die Lilið sich halten könnte, wenn sie irgendwann getrennt befragt werden würden.
An sich hätte Lilið gehofft, dass die Crew mehr Zeit benötigen würde, um von ihrer Abwesenheit mitzubekommen. Lajana wurde in dem sichersten Raum der Kagutte ja schließlich üblicherweise bis fast zum Ende ihrer zweiten Schlafschicht in Ruhe gelassen. Wenn wie üblich niemand zuvor nachgesehen hätte, wäre ihre Flucht also erst dann bemerkt worden und die Kagutte wäre so weit weg gewesen, dass sie Lettloge nicht so rasch wieder hätte erreichen können. Sie hätten mindestens bis zum frühen Nachmittag für den Rückweg gebraucht, und auch nur dann nicht länger, wenn Matrose Ott sich in seinen Navigationsfähigkeiten selbst übertroffen hätte.
Aber Matrose Ott hatte sie natürlich zu ihrer nächtlichen Navigationsstunde zu wecken versucht. Interessanterweise hatte er sie allerdings gedeckt. Er hatte dem Kapitän und Wache Schäler erzählt, dass Lilið Albträume gehabt hätte, einen unruhigen Schlaf, und sich deshalb nachts viel die Beine vertreten hätte. Er berichtete, dass Lilið häufig Schlafprobleme hätte, dass er Lilið schon oft nachts nicht in ihrem Bett sondern anderswo an Bord vorgefunden hätte und sich schon länger Sorgen um ihre Gesundheit machte. Er behauptete, Lilið auch in dieser Nacht gefunden zu haben, aber dass sie das Angebot angenommen hätte, dass er die nächtliche Navigationsstunde dieses Mal auch übernähme.
Lilið schaffte es, keine Miene zu verziehen und einfach zu bestätigen, wenn sie dazu aufgefordert wurde und Drude unauffällig nickte. Sie hoffte, dass Drude erkennen würde, wenn Wache Schäler ihr Fallen stellen würde.
Matrose Ott hatte allerdings dem Kapitän gemeldet, dass sie dicht bei einer Insel wären, und dass, wenn ein Hinterhalt geplant wäre, bei dem ihnen ihr Fang – damit war die Kronprinzessin gemeint – wieder abgenommen würde, dieser jetzt passieren würde. Also hatten sie zum Anfang seiner zweiten Nachtschicht nachgesehen und früher vom Verschwinden Lajanas mitbekommen, als Lilið gehofft hatte.
Im Hafen von Lettloge hatte sich dann glücklich für die Crew gefügt, dass nur einen halben Tag zuvor Wache Luanda aus dem Königreich Sper einen Auftrag abgeschlossen hatte. Ein Schiff hatte sie mitbewacht, auf dem der lettloger Inselsakralet von einer Mission nach Belloge und zurückgereist war. Nun war sie wieder für eine Anstellung offen gewesen mit dem passenden Wunsch, nach Belloge zurückzugelangen.
Aus den Erzählungen der beiden Wachen ging auch hervor, dass sie zwar vom Blutigen Master M gehört hatten, aber sie sich das Phantombild nicht näher angesehen hatten. Lilið bewunderte, wie Drude es geschafft hatte, diese Information unauffällig aus ihnen herauszulocken. Auf der anderen Seite war das wohl von Berufs wegen eine derer Aufgaben.
Kaum zwei Stunden, nachdem sie alle an Bord waren, brachen sie wieder auf. Ein neues Nautika hatten sie nicht gesucht, was Lilið positiv überraschte. Sie hätte damit gerechnet, dass sie nun wenigstens vom Kapitän verhört werden würde, aber das passierte auch nicht. Trotzdem war alles anders als zuvor: Die Wache, die Lajana immer in den anderen Raum gelassen hatte, wurde zu Reinigungs- und Küchenarbeiten rekrutiert und bewachte Lajana nicht mehr. Sie hatte offen eingestanden, dass sie Lajana in den anderen Raum gelassen hatte, und gab sich selbst die Schuld dafür, dass ein Ausbruchsversuch möglich gewesen wäre. Das war prinzipiell auch nicht falsch. Lilið fand interessant, dass sie dafür nicht mehr bestraft wurde.
Lilið wurde nun auch von Wache Luanda bewacht. Lilið fragte sich, ob dadurch ihre Möglichkeit ganz unterbunden sein könnte, privat mit Drude zu reden. Lilið wurde wieder mit der Navigation betraut und sah sich, wie am Anfang, gezwungen, sie gut zu machen. Vielleicht war das einfach der Grund dafür, dass sie kein neues Nautika anheuerten: Der Weg war nicht mehr weit und Lilið hatte keine Wahl. Sie hätte vielleicht ungünstig durch die Seenplattenströmungen navigieren können, sodass die Kagutte dabei zu Schaden gekommen wäre, aber das brachte ihr nichts. Wenn Lilið einen ausreichend großen Schaden riskiert hätte, mit dem eine Reparatur in einer Werft nötig gewesen wäre, hätte sie ihrer aller Leben mitriskiert und das war nicht, was sie wollte.
Weil die Seenplattenströmungen ein nahes Hindernis waren, ging sie ihrer Aufgabe als Nautika ohne Umschweife nach. Sie nahm Wind- und Strömungsdaten auf, um davon abhängig eine besonders gute Stelle zum Passieren anzupeilen. Sie war kaum in den Kartenraum getreten, da stand ihr Matrose Ott gegenüber. Das war nichts Ungewöhnliches, aber sein ernster Blick dabei vielleicht schon. Lilið erinnerte sich, dass er sie nicht verraten, sondern sogar für sie gelogen hatte.
“Wir haben noch knapp zwei Tage bis Belloge, richtig?”, fragte Matrose Ott. “Also spätestens in der Nacht von morgen auf übermorgen kommen wir an.”
Lilið nickte. “Und dann noch etwa drei bis zu unserem Ziel Mazedoge.” Das war der Hauptsitz der Monarchie des Königreichs Sper.
“Wir beenden die Reise auf Belloge.”, korrigierte Matrose Ott. “Wir haben in Absprache mit König Sper umorganisiert. Belloge ist dicht hinter der Grenze. Die Sakrale dort ist gut geschützt und eine der größten des Königreichs. Sie eignet sich gut als Verhandlungsort.”
Lilið versuchte, ihr Erschrecken darüber zu verbergen. Sie zuckte immerhin nicht, aber sie fühlte einen plötzlichen Schweißfilm auf der Haut. Also hatte sie nur noch knapp zwei Tage, um mit Lajana zu entkommen, und es wären zwei Tage, in denen es eigentlich keine Möglichkeit dazu gab. Sie konnte vielleicht nicht einmal mit Drude zusammen planen. Sie wurde verstärkt beobachtet und konnte sich nicht mehr falten, weil Wache Luanda es sofort bemerken würde. Dass sie es konnte, war nun ein Ass im Ärmel, das sie ausgeben würde, sobald sie es an Bord täte. Und selbst wenn sie sich hätte unbemerkt falten können, wäre sie nicht mehr so einfach wie bisher zu Lajana gelangt, weil diese nun über die ganze Zeit hinweg in einer kleinen Zelle bewacht wurde, vor der jeweils ein bis zwei nicht dösende Wachen lauerten. Außerdem kam ihr wieder in die Quere, dass sie Schlafmangel hatte (den sie immerhin im Moment nicht so sehr spürte) und eine Menge Aufgaben, denen sie nachgehen musste.
“Ich habe dich was gefragt!”, hörte sie Matrose Ott angenervt sagen.
Lilið rief sich die Geräusche in Erinnerung, die sie nicht analysiert aber noch abgespeichert hatte. Er hatte sie aufgefordert (nicht gefragt), ihn auszubilden. “Im Navigieren?”
“Worin denn sonst?”, fragte Matrose Ott. “Du bist gut, das lässt sich nicht leugnen, so sehr ich es wollte. Ich habe schon so manchen Nautikae bei der Arbeit zugesehen und selten waren sie unter erschwerten Bedingungen so präzise und sicher wie du.”
Lilið konnte nicht vermeiden, dass sie das Lob berührte. Als Matrose hatte er mit Sicherheit ein gewisses Spektrum an Nautikae erlebt. Unter anderem eines, dass sie kielgeholt und wahrscheinlich getötet hatten. Eines, das zwar unwahrscheinlich Marusch gewesen war, aber ausgeschlossen war das nicht.
Liliðs Gedanken schweiften schon wieder ab. Sie fühlte sich durch den genervten Ton unter Druck gesetzt, aber auch, weil sie die Bedrohung in der neuen Situation jetzt an Bord umso mehr spürte. Sie war nicht verdächtigt worden, Lajana befreit zu haben, aber die Crew wusste natürlich, dass irgendjemand Schuld sein musste. Vielleicht wusste Matrose Ott, dass sie es war. Hatte er sie gedeckt, weil er sie erpressen wollte, ihn dafür auszubilden? Oder hatte er ihr einfach nur helfen wollen? Wäre sie andernfalls ermordet worden?
“Ich muss jetzt gerade sehr gründlich sein, damit wir die Seenplattenströmungen mit möglichst geringem Risiko passieren werden. Du kannst mir, wie immer, dabei zusehen, aber ich habe nicht die Kapazität, dabei auch auszubilden.”, sagte sie. “Danach und morgen finde ich sicher irgendwann eine Stunde, in der ich dir etwas erklären kann.” Lilið überlegte, dass es auf die letzten zwei Tage nicht schaden konnte, wenn sie Matrose Ott ein paar Kleinigkeiten beibrachte. Er hatte auch beim Zusehen schon die ein oder andere Erkenntnis erlangt.
“Du wirst mich ausbilden, so gut das in der Zeit geht!”, verlangte Matrose Ott erneut. “Ich denke, ein Zertifikat zum Leicht-Nautika sollte am Ende drin sein.”
Lilið runzelte die Stirn und schüttelte dann langsam den Kopf. “So gern ich wollte, und glaub mir, ich verstehe das Bedürfnis. Es sprechen zwei Dinge dagegen!”, sagte sie. “Zum einen kenne ich deine Probleme und weiß, wie du lernst. Leute erwarten von einem Leicht-Nautika mehr, als du in zwei Tagen lernen kannst. Selbst wenn ich großzügig wäre. Und zum anderen bin ich Nautika ohne Ausbildungs-Lizenz.”
“Ohne Ausbildungs-Lizenz?” Matrose Ott wirkte irritiert.
Lilið nickte. “Ich bin noch nicht lange genug dafür dabei.”
“Du bist doch Nautika der königlichen Garde!”, wunderte sich Matrose Ott.
Lilið nickte noch einmal, auch wenn es eine Lüge war. “Ich wurde erst in Nederoge angeheuert.”, gab sie die Geschichte wieder, die sie in den letzten Wochen gelebt hatte. “Du stellst richtig fest, dass ich gut bin. Daher wurde ich empfohlen. Aber ich bin nichtsdestotrotz noch recht neu in dem Beruf.”
Matrose Ott nickte verstehend. Die Enttäuschung war ihm anzusehen. “Scheiße. Ich dachte, ich hätte eine Chance.”
Lilið fühlte Angst, dass er sie nur gedeckt hatte, um ein solches Zertifikat von ihr erpressen zu können, und sie nun, da es ihm nichts mehr brachte, verraten könnte. “Ich verstehe dich.”, sagte sie sanft. Manchmal half es, Sympathie zu wecken, Verständnis zu äußern. “Ich war auch mal in einer Situation, in der ich gern an Ausbildung gekommen wäre, aber es war schwierig, weil meine Lebensumstände das nicht vorsahen.”
“Das glaube ich dir sogar.”, murrte Matrose Ott. Er schaute ihr auf die Oberweite, die sie, seit Wache Luanda an Bord war, ja nicht mehr wegfalten konnte und sie nun durch passendes Tragen des Mantels des Nautikas zu verbergen versuchte. Er sah auch rasch wieder weg. “Du läufst sicher nicht ohne Grund als Mann herum. Es ist mir aufgefallen. Wir müssen darüber nicht reden.”
Lilið zuckte leicht zusammen. “Lieber nicht.” Interessanterweise hatte Lilið mit mehr Blicken seitens der Crew gerechnet. Sie sah nun anders aus, als bevor Wache Luanda an Bord gekommen war, aber niemand schien sich dafür zu interessieren. Vielleicht sahen sich Menschen Körper nicht noch einmal an, oder sie waren davon ausgegangen, dass Lilið ihre Brüste abgebunden und nun aufgehört hätte. Lilið griff nach dem Kartenzirkel und dem Navigationsbüchlein und machte sich an die Arbeit. Sie erklärte dabei mehr als sonst, aber versuchte, trotzdem auszusparen, was ihr später am ehesten zum Vorteil verhelfen könnte.
Ihr Gefühl, bedroht zu sein, wurde eher noch schlimmer, als sich Wache Luanda zum Mittagessen ihr gegenüber niederließ. “Du bist also das Nautika der königlichen Garde gewesen.”, leitete diese ein Gespräch ein.
Lilið nickte. “Nicht lange, aber ja.”
“Auf einer Kriegskaterane, die eigentlich das Ziel hatte, die Kronprinzessin zu befreien.”, fügte Wache Luanda hinzu.
Lilið sah keinen Sinn darin, das nicht zu bestätigen, also tat sie es. “Das ist richtig. Ich wurde allerdings nicht tiefer eingeweiht, sondern war lediglich in der Funktion eines Nautikas an Bord.”
“Entschuldige, wenn ich das so frei heraus frage: Wie stehst du zum Vorhaben dieser Crew? Was ist deine politische Einstellung zu dem Ganzen?” Wache Luanda machte einen freundlichen Eindruck und die Frage wirkte bei ihr beläufig, aber Lilið machte das fast noch mehr Angst, als hätte sie sie physisch in die Ecke gedrängt.
Hatte Lilið je hier an Bord etwas dazu geäußert? Hatte Drude eine Behauptung aufgestellt, derer bezüglich sie sich konsistent verhalten sollte? “Ich muss zugeben, ich schwanke ein wenig.”, sagte Lilið. Wenn sie mögliche Veränderungen in ihrer Einstellung einräumte und gleichzeitig schwammig blieb, würde sie sich vermutlich am wenigsten leicht verraten. “Ich bin Nautika. Mir ist es vorwiegend wichtig, meine Arbeit gut zu machen, aber ich habe mich natürlich mit der Frage ethisch auseinandergesetzt. Ich denke, dass, eine Person zu entführen, im Allgemeinen keine besonders schöne Lösung für einen Konflikt ist, muss ich wohl eigentlich nicht aussprechen. Das wissen wir hier alle. Die Frage ist also, ob die Lage das trotzdem rechtfertigt. Und die Lage ist komplex, aber einen Krieg zu vermeiden, ist eine verständliche Motivation.” War sie vielleicht doch eher zu schwammig?
“Das verstehe ich.”, sagte Wache Luanda zu Liliðs Überraschung. “Unsere Landesorakel haben lange debattiert, als wir davon gehört haben, ob wir König Spers Unterstützung des Ganzen teilen oder ihn öffentlich kritisieren wollen. Ich bin in den vergangenen Tagen bei mehreren Versammlungen gewesen. Es gab einiges Hin und Her bei den Debatten. Du hast Recht, dass die Lage komplex ist. Aber die Landesorakel haben sich schließlich geeinigt, dass wir unter gewissen Bedingungen die Verschiebung der Verhandlungsbasis für König Sper durch die Festnahme der Kronprinzessin unterstützen wollen. Vielleicht hilft dir, zu wissen, dass wir die Kronprinzessin in einer Sakrale gefangen halten werden, in der sie geschützt vor Übergriffigkeiten ist und gut behandelt wird.”
Eine Person vor Übergriffigkeiten geschützt gefangen zu halten, empfand Lilið in sich schon als Widerspruch, aber sie sagte nichts dazu. Sie wusste, was gemeint war. Eine Sakrale bot vielleicht wenigstens tatsächlich Schutz vor zum Beispiel körperlichen Übergriffigkeiten von König Sper persönlich. Sie nickte. “Das stellt schon eine Erleichterung dar.”
“Uns war bewusst, dass wir die Kronprinzessin besser schützen können, wenn wir uns einmischen und den Boden für Verhandlungen stellen.”, fuhr Wache Luanda fort. “Teil der Debatte war, ob wir das deshalb allein schon tun sollten, weil wir dadurch schlimmeres, andernfalls unausweichliches Übel reduzieren könnten, oder ob wir durch unsere Einmischung dem Vorhaben an sich zustimmen. Es war erst nicht klar, ob wir letzteres wollen, aber die Debatte darüber wäre hinfällig gewesen, wenn wir schon gewusst hätten, dass wir uns zum Schutz der Beteiligten ohnehin einmischen müssen.”
“Hätte es in eurer Macht gestanden, das Vorhaben zu unterbinden und die Kronprinzessin zu befreien?”, fragte Lilið. “Ich frage hypothetisch, nicht weil ich denke, ihr hättet das tun sollen, sondern nur, um eure Optionen zu kennen.” Lilið wusste, dass die Orakel bei ihr daheim keine solche Macht gehabt hätten, aber im Königreich Sper sah das vielleicht anders aus.
Wache Luanda schüttelte den Kopf. “Nicht auf offiziellem Wege sozusagen.”, sagte sie. “Wir standen aber nicht ohne Grund unter Verdacht, für das Entkommen der Kronprinzessin auf Lettloge verantwortlich zu sein. Das war ein Überfall auf eure Kagutte, von dem bis jetzt niemand einen blassen Schimmer hat, wie er möglich gewesen sein könnte, selbst mit dem Wissen, dass die Kronprinzessin nachts nicht in ihrer Zelle war.”
Lilið nickte und runzelte gespielt nachdenklich die Stirn. Es war wieder einer der Momente, in denen sie damit rechnete, verhört zu werden. Vielleicht sehr subtil. Auf der anderen Seite fragte sie sich, in wiefern Wache Luanda gegen die Entführung der Kronprinzessin sein könnte und es ebenso wenig laut aussprechen konnte wie sie.
“Es spricht dafür, dass hier eine oder mehrere Personen an Bord sind, die unter der Nase von Wache Drude eine eher unbekanntere Magie-Art ausführen können.”, fuhr Wache Luanda fort. “Vielleicht eine, für die ein fortgeschrittenes wissenschaftliches Verständnis von Nöten ist, das zu Erfühlen wir zu ungeübt sind.”
“Magie erfühlen funktionierte irgendwie, indem ihr erkennt, dass Substanz in eurer Umgebung nicht den natürlichen physikalischen Gesetzen folgt, sondern Schwingungen darin resonieren, die von außen beeinflusst sind, richtig?”, erkundigte sich Lilið. Sie hatte in der Schule nicht so recht aufgepasst, als es dran gewesen war, aber Marusch hatte ihr davon erzählt, als es um die Beschaffenheit der Dinge gegangen war.
Wache Luanda nickte. “So ungefähr.”
“Lernt ihr dann zuerst so etwas wie Veränderungen von Wärme zu erfühlen, weil das das ist, was die meisten Menschen in Magie als erstes lernen?”, fragte Lilið.
Wieder nickte Luanda. “Und wenn jemand zum Beispiel Masse verändern könnte, dann weiß ich nicht, ob ich es mitbekommen würde, weil es sehr fortgeschrittene und seltene Magie wäre.”
Wie nett von ihr, dachte Lilið, das selbst zur Sprache zu bringen. Ob sie einen Verdacht hatte? “Das hört sich nach extrem komplexer Magie an.”, sagte sie, und meinte es auch. “Aber ich kann mir gerade nicht vorstellen, wie eine Veränderung der Masse bei besagtem Entkommen hätte genutzt werden können. Gibt es noch andere Magie-Arten, die du weniger gut erfühlen könntest, aber die hilfreicher für so etwas sein könnten?”
Wache Luanda lachte. “Du hast schon recht, dass es viel Fantasie braucht, mit Masseveränderungen eine Flucht zu planen. Ich gebe zu, dass ich mir seit heute Morgen, seit ich über das Rätsel informiert worden bin, Gedanken über deine Frage mache. Ich komme auf Masseveränderungen, weil es ungefähr das einzige ist, wovon ich mir vorstellen kann, dass ich nichts davon mitbekäme.”
Ob Wache Luanda das Pulsieren des Igeldings spürte? Liliðs Gedanken stockten. Sie nahm es wahr. Sie wusste nicht, wo sich das Igeldings aufhielt, aber sie rechnete damit, dass es unten in der Kagutte mit Lajana in der Zelle war. Sie nahm das Pulsieren unter der Haut wahr wie das Zupfen einer Kompassnadel, wenn Lilið sich beim Navigieren besonders entspannte, nur um einiges stärker. Aber es war auch eine Physik, die im Schulunterreicht kurz kam, kaum erforscht war und zu der es keine Magie gab, von der Lilið bis jetzt gehört hätte. Was hatte es mit diesem Igeldings auf sich?
Lilið widerstand gerade so rechtzeitig dem Drang, die Schwingung selbst nachzuahmen. Ob das Igeldings sie dann auch wahrgenommen hätte? Aber ihr war es doch etwas zu riskant, direkt unter der Nase eines Antimagas Magie auszuüben, die sie noch überhaupt nicht gewohnt war. War es überhaupt Magie? Es fühlte sich nicht so sehr wie welche an, einfach Schwingungen zu produzieren, die nur mit einem Gefühl speziell dafür wahrgenommen werden konnten und ansonsten nicht viel Einfluss auf die Umwelt hatten. Ob sie es überhaupt konnte?
“Bist du an Bord, um den Fall aufzulösen?”, fragte Lilið.
Wache Luanda schüttelte den Kopf. “Wir haben das kurz überlegt, der Kapitän und ich, aber sind zum Schluss gekommen, wenn wir es zufällig herausfinden, ist gut. Ansonsten stehen genug von uns hinter dem Unterfangen, dass wir unsere Kräfte lieber bündeln wollen, um rasch anzukommen und Vorkehrungen zu treffen, dass es kein weiteres Mal passiert.”, sagte sie. “Ich bin Antimaga. Ich kann also Magie nicht nur erfühlen, sondern auch die Anwendung unterbinden. Das hast du vielleicht noch nicht mitbekommen?”
Lilið fragte sich, ob sie es bisher nur von Drude mitbekommen hatte oder auch offiziell. “War das irgendwann im Gespräch zwischen Wache Drude, Wache Schäler und dir auf dem Weg zur Kagutte gefallen? Ich erinnere mich nicht genau.”, sagte sie. “Ich hatte schlecht geschlafen und bin dann von Wache Drude mitten in der Nacht mitgenommen worden. Es ging alles sehr schnell, daher habe ich mir vielleicht nicht alles genau gemerkt.”
“Das verstehe ich.”, erwiderte Wache Launda. “Ich bin jedenfalls wie gesagt Antimaga. Zudem ist meine Ausbildung im Magie Erspüren wahrscheinlich qualitativ besser als Drudes, haben wir im Gespräch herausgefunden. Es dürfte erheblich schwerer für wen auch immer werden, einen weiteren Befreiungsversuch zu wagen.”
Lilið gab Wache Luanda in dem Punkt uneingeschränkt recht. Sie überlegte, dass sie Wache Luanda schon entweder überzeugen oder irgendwie aus dem Weg räumen müsste, um eine Chance zu haben, innerhalb der nächsten zwei Tage eine Befreiungsaktion durchzuziehen.
Sie hatte noch das Gift von Allil, fiel ihr ein. Aber wie gut ein Körper eine Dosis Gift wegsteckte, war schwer einzuschätzen. Das wollte sie eigentlich nicht an Bord einer Kagutte mit nur einem Schiffsmedika probieren, auch nicht, um Lajana zu befreien.
Sie seufzte innerlich, verabschiedete sich und brachte ihr Essgeschirr zur Wache, die sie bis jetzt nur dösend kannte, die es zum Spülen entgegennahm. Immerhin wurde sie von dieser in kein Gespräch verwickelt.
Selbst wenn sie Lajana von Bord schaffen könnte, – und sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wie –, bräuchte sie auch dann eine Reisemöglichkeit zurück. Nach dem Mittagessen passierten sie die Seenplattenströmungen. Lilið war dazu an Deck und beobachtete die Wirbel und gegeneinander schlagenden Wellen von der Reling aus. Die Kagutte erzitterte, als sie von ihnen ergriffen wurde, aber ansonsten passierte nichts. Die Strömungen bildeten zugleich die Grenze zum Königreich Sper. Es war nur die Psyche, sagte Lilið sich, als sie sich sofort fremd und verloren fühlte. Sie hatte noch nie das eigene Königreich verlassen und sie glaubte, hier nicht erwünscht zu sein.
Wenn Heelem Lettloge erreichte und erkannte, dass sie dort nicht mehr waren, würde er sich betrogen fühlen? Oder würde er auf die Idee kommen, dass etwas nicht geklappt hätte, und ihnen nachfahren? Würde er herausfinden können, wohin sie weitergefahren wären? Oder würde er auf Lettloge endgültig herausfinden, dass Lilið der Blutige Master M wäre und mit ihr nichts mehr zu tun haben wollen?
Lilið wurde gegen die Reling gerammt, als die Abe wie aus dem Nichts auf ihrer Schulter Platz nahm und ihren Schwanz um ihren Nacken schlug. Lilið griff reflexartig nach ihr und fühlte dabei das erste Mal bewusst mit den Fingern in die glatten, weichen Schedern an derem Bauch. Die Abe war also wieder da! Das erleichterte Lilið sehr. Selbst wenn es ihr keinen Vorteil bringen mochte, war es doch ein Hoffnungsschimmer und ein gutes Gefühl, dass Drude und die Abe wieder vereint waren.
Die Abe drückte ihren Kopf gegen Liliðs Wange. Etwas kratzte seltsam, fühlte sich nach Papier an. Papier würde Lilið vermutlich mit geschlossenen Augen im Tiefschlaf am Körper erfühlen können. Sie strich mit der Hand am Körper der Abe entlang bis zu derem Maul, möglichst unauffällig, und behielt Recht: Die Abe hatte ein Stück Papier im Maul, von dem ein kleines Fitzelchen hinausragte, mit dem die Abe sie im Gesicht berührt hatte. Lilið zog das Papier vorsichtig aus dem Maul der Abe und betrachtete es, den Körper dem Wasser zugewandt, sodass ihr nur Leute im Rücken stehen konnten. ‘Klo’ stand darauf. Lilið steckte das gefaltete Papier in eine Tasche des Mantels des Nautikas und versuchte dabei, die Bewegung genauso aussehen zu lassen, als würde sie die Abe streicheln. Sie fragte sich, ob sie demm ein Danke zuflüstern sollte, aber als sie die Hand sinken ließ, tappste der Abendrache auf ihren Kopf und startete von dort aus einen Sinkflug über das Meer. Das Manöver, wie die Abe direkt über dem Wasser dahinglitt, einen Bogen machte und dann wieder hoch in die Lüfte flatterte, um die Kagutte wieder zu erreichen, war ein wundervoller Anblick. Aber Lilið beschloss, nicht lange zu beobachten, sondern zum Klo zu gehen.
Auf dem Klo traf sie niemanden an. Also holte sie das Papier hervor, entfaltete es und las:
Mitte deiner ersten Schlafeinheit bei meiner Tür. Pünktlich. Iss das Papier auf.
Diese Nachricht war jetzt nicht unbedingt eine, durch die Lilið sich entspannter gefühlt hätte. Besonders beunruhigte sie, dass Drude nicht einmal unterschrieben hatte. Aber dass die Abe die Nachricht gebracht hatte, war vermutlich ein eindeutigeres Zeichen dafür, dass die Nachricht von Drude kam, als hätte Drude unterschrieben. Vielleicht war der Grund dafür, dass sie es nicht getan hatte, derselbe wie der, dass Lilið den Zettel essen sollte.
Oder jemand wollte Lilið vergiften. Das war unwahrscheinlich. Vermutlich dachte Lilið permanent darüber nach, dass sie vergiftet werden könnte, weil es ihr mal passiert war.
Sie glaubte eher daran, dass sie und Drude keinesfalls beim Kommunizieren erwischt werden sollten. Lilið las die Nachricht noch einmal, prägte sie sich ein, und hielt sich abermals gerade so davon ab, sie zu etwas praktischer Schluckbarem zu falten, bevor sie sie in den Mund steckte und aufaß. Papier war nicht ihre Lieblingsspeise, aber es sollte ihr auch nicht schaden.
Trotz der neuen Ängste erfüllte sie die Nachricht mit Hoffnung. Vielleicht hatte Drude eine Idee.
Die Hoffnung sank zumindest zu einem guten Teil wieder in sich zusammen, als sie die Karten im Kartenraum nach der Kreuzung der Seenplattenströmungen anpasste und feststellte, dass sie sich keiner weiteren Insel nähern würden, bevor sie Belloge gegen späten Nachmittag des Folgetages schon erreichen würden. Es klappte schon wieder alles viel zu gut. Da Matrose Ott ihr wieder zusah, ließ sie ihn die übrige Strecke unter ihrer Aufsicht mehrfach ermitteln, machte Kommentare und stellte Fragen, in der Hoffnung dabei eine Ausrede zu finden, die Fahrt aufzuhalten. Eine weitere Untiefe? Aber es gab einfach nichts. Der übrige Teil der Strecke lag so klar vor ihnen, dass Matrose Ott nicht einen Fehler machte.
Sie fühlte sich beim Abendessen ziemlich resigniert. Sie waren so nah dran gewesen, es zu schaffen. Und nun waren sie so weit weg davon. Lilið kämpfte die Wut nieder. Wieder setzte sich Wache Luanda zu ihr, aber sie sprachen dieses Mal kaum. Lilið gähnte mehrfach.
Sie wusste nicht, was sie bis zum Treffen mit Drude tun sollte und die Zeit zog sich zäh dahin. Sie fühlte sich so verschwendet an. Und als sie endlich im Bett lag, fiel es ihr schwer, nicht einzuschlafen.
Sie lauschte auf den Atem der anderen, als sie sich schließlich aus der Koje stahl. Sie kamen ihr alle sehr laut vor, selbst durch die Tür noch, als sie den Schlafraum hinter sich schloss. Damit es noch unauffälliger wäre, ging sie zunächst wieder zum Klo, und erst anschließend einen Niedergang fernab von den Schlafräumen ins Innere der Kagutte. Ein angenehm leerer Gang führte sie zu Drudes Tür. Ein Teil von ihr befürchtete, dass die große Person, die dort an der Wand lehnte, nicht Drude wäre. Aber wer sonst?
Bevor Lilið sich auch nur ausgedacht hatte, wie sie Drude begrüßen könnte, legte die Gestalt einen Finger auf die Lippen. Wurden sie belauscht?
Drude deutete auf Lilið, dann auf sich und schließlich zur Tür.
Lilið interpretierte es so, dass dey sie mitnehmen wollte. Gefaltet? Aber dazu hatte Drude nichts angedeutet. Wollte Drude sie von Bord schaffen?
Lilið deutete schräg auf den Boden in die Richtung, in der sie Lajanas Zelle vermutete, und formte deren Namen mit dem Mund.
Drude schüttelte den Kopf und wiederholte die Geste von eben.
“Ich verlasse ohne Lajana nicht”, weiter kam Lilið mit ihrem Flüstern nicht. Sie hätte mit ‘die Kagutte’ geendet, aber Drude hatte ihr eine Hand auf den Mund gelegt. Lilið sträubte sich, und vielleicht tat sie es zu geräuschvoll. Im nächsten Augenblick hatte Drude sie umgedreht und hielt sie mit einem Arm gegen deren Körper gepresst, der andere verweilte auf ihrem Mund. Immerhin wusste Lilið jetzt, dass es wirklich Drude war. Bei der Nähe konnte sie es klar erfühlen.
“Ruhig.”, raunte Drude Lilið ins Ohr.
Lilið versuchte sich zu entspannen und Drude ließ sie los. Zumindest ihren Mund. Dey schob Lilið Richtung Tür, aber Lilið sträubte sich erneut.
“Ich gehe nicht ohne sie.”, versuchte sie ebenso leise zu flüstern, wie Drude es getan hatte, aber Drudes Hand landete abermals auf Liliðs Mund und dieses Mal fühlte Lilið sich nicht dazu aufgelegt, ruhig zu bleiben. Sie war hier, um Lajana zu retten. Sie erkannte in der Art, wie Drude sich verhielt, dass es Drude gerade nicht darum ging. Sonst hätte dey vielleicht so etwas wie ‘später’ geflüstert, oder nicht?
Lilið versuchte, Abstand zwischen sich und Drude zu bringen, aber Drude packte sie unbarmherzig und presste ihren Körper an deren, eine Hand weiterhin über Liliðs Mund. Lilið stemmte sich mit Kraft gegen Drudes anderen Arm, und als das nur wenig Auswirkungen hatte, versuchte sie es mit Kneifen und Kratzen. Drudes um ihren Torso gepresster Arm rutschte weiter nach oben um Liliðs Hals. Lilið erschreckte sich, als sie realisierte, was er da tat. Drude presste ihren Hals in dere Armbeuge, Oberarm und Unterarm drückten dabei gegen je eine Seite des Halses gegen die Hauptschlagadern, der Kehlkopf lag geschützt in der Ellenbeuge. Wieso tat Drude das? Wieso erfasste Lilið das so klar.
Sie merkte den Sauerstoffmangel im Gehirn zügig. Sie trat Drude mit so viel Schwung wie ihr möglich gegen das Schienbein, aber Drude zuckte nicht einmal. Diese Person war einfach zu stark. Lilið fragte sich, ob sie sich wegfalten könnte. Aber dazu hätte sie viel Konzentration gebraucht. Und es würde sie verraten. War es nun noch wichtig, dass sie sich nicht verriete? Aber sie hätte auch Luft gebraucht. Ihr wurde sehr schwummrig. Sie konnte längst in der Dunkelheit nicht mehr sehen.
Ihr letzter halbwegs klarer Gedanke war, dass sie so tun könnte, als würde ihr Körper erschlaffen, weil Drude dann vielleicht aufhören würde, oder dey kurz darauffolgend vielleicht nicht mit einem Angriff rechnen würde. Aber dazu kam sie nicht mehr, bevor sie das Bewusstsein verlor.
Als sie wieder zu sich kam, war sie im Wasser. Drudes Flossenhand lag sanft unter ihrem Kinn, überstreckte ihren Hals und bettete ihren Kopf auf dere Brust. Drudes andere Hand hielt eine von Liliðs Händen verdreht unter ihrem Rücken. Auf diese Weise war Liliðs Körper in einer Haltung stabilisiert, in der kein Wasser in ihre Atmungsorgane käme und sie sich nicht einfach losmachen könnte.
In den ersten Momenten nach dem Aufwachen hatte Lilið sich frei von Emotionen und tiefenentspannt gefühlt. Nun war sie sauer. Sie hatte Drude vertraut!
“Lilið?”, hörte sie Drude Stimme sich nach ihr erkundigen.
Lilið fragte sich, was sie antworten sollte, oder ob sie so tun sollte, als wäre sie tot. Aber als sich eine Welle über sie ergoss, musste sie husten.
“Lilið? Bist du wieder da?” Drude unterbrach das Schwimmen und drehte Lilið, nun auf der Stelle schwimmend, zu sich herum. “Es tut mir leid.”, sagte dey, als sie in Liliðs waches Gesicht blickte.
“Dass du mich umbringen willst?”, fragte Lilið.
“Lilið!” Drude klang mit einem Mal sauer. “Weißt du eigentlich, wie beschissen sich das anfühlt? Die beste Freundesperson, die ich je hatte, gegen deren Willen bis zur Handlungsunfähigkeit zu würgen? Und zuvor, als ich gemerkt habe, dass die Crew gegen dich ist und sich von nichts anderem überzeugen lassen würde, dir in den Rücken zu fallen, damit sie mir weiter vertrauen? Ich wollte das nicht, nichts davon, aber ich wollte dein beschissenes Leben retten!”
“Was ja nett ist, aber lässt du vielleicht mich entscheiden, ob ich es riskieren möchte, um Lajana zu helfen?” Lilið versuchte, die Wut ebenso zum Ausdruck zu bringen, aber dazu war sie noch zu schlapp. “Vielleicht ist dir das irgendwann einmal aufgefallen, dass ich das tun möchte, weil das so ziemlich die ganze Zeit ist, was ich getan habe.”
“Ist es, und da habe ich nichts gegen.”, sagte Drude. Dere Stimme zitterte auf einmal anders. “Ich sehe nur pragmatisch, dass du an Bord derzeit nicht nur mit deinem Leben spielst, sondern deine Hinrichtung zum Ende der Reise bereits fest eingeplant ist. Und tot bringst du Lajana nichts.”
Liliðs Wut schlug in Verwirrung und in irgendein unangenehmes Gefühl von Verlorenheit um. “Meine Hinrichtung ist geplant?”, wiederholte sie. “Ich dachte, Matrose Ott hat mich gedeckt. Sie verdächtigen mich höchstens, aber sind sich zu unsicher.”
Drude schüttelte den Kopf. “Bis auf Wache Luanda gehen alle an Bord davon aus, dass du es warst. Sie wissen alle, dass du der Blutige Master M bist, und glauben, du wolltest Lajana aus irgendwelchen Gründen befreien oder gar für dich rauben.”, berichtete Drude. “Sie machen dir etwas vor, damit du dich sicher fühlst und ihnen nichts tust. Und damit du weiter deine Dienste erfüllst. Aber sobald sie dich nicht mehr brauchen, was morgen früh vielleicht schon der Fall sein wird, planen sie, dich rücklings und unerwartet zu ermorden.”
“Du hattest doch so geschickt gefragt und Wache Schäler hatte mich auf dem Phantombild nicht erkannt, oder war das gelogen?” Lilið fühlte sich interessanterweise enttäuscht, so etwas nicht selbst geahnt zu haben. Warum war dieses Gefühl jetzt wichtig?
“Das war bereits kodiert. Wir Wachen haben unsere eigene Art, für außen Zuhörende etwas anderes zu sagen, als wir untereinander verstehen.”, informierte Drude.
Lilið seufzte schwer. Ihre im Wasser rudernden Arme fühlten sich bleiern an. “Matrose Ott weiß es auch?”
“Ja. Das wusste ich aber, als Wache Schäler von seinen Lügen erzählt hatte, noch nicht.”, antwortete Drude. “Er hatte selbst vorgeschlagen, so zu tun, als würde er dich decken, weil es dich vielleicht dazu bringen könnte, wertvolles Wissen an ihn preiszugeben oder ihn auszubilden. Davon habe ich später an Bord bei Tischgesprächen erfahren. Ich bin positiv überrascht davon, wie wenig du darauf angesprungen bist.”
Lilið hörte auf, mit den Armen zu rudern, weil sie sich fühlte, als würde eine Welt zusammenbrechen. Eine Welt, die eigentlich nie wirklich intakt gewesen war. In dem Moment, in dem sie unter Wasser sank, war Drude sofort bei ihr, nahm ihren Körper sanft von hinten in den Arm und bettete ihn auf deren. Wieder schwammen sie, aber nun langsamer.
“Ich bringe dich heute Nacht nach Belloge in eine Höhle, die ich gut kenne. Dann kehre ich zurück zur Kagutte. Ich sollte morgen im Morgengrauen wieder dort sein.”, schlug dey vor. “Mit etwas Glück kaufen sie mir ab, dass ich einfach ein wenig spazierschwimmen war. Das mache ich oft. Sie kaufen es mir vielleicht ab, weil sie dir abkaufen, dass deine Magie und deine Tricks beachtlich genug sind, dass du allein von Bord gekommen bist. Ich suche dich wieder auf, wenn wir angelegt haben und sich unsere Crew zerstreut. Mit allen Informationen, die ich kriegen kann, um dann mit dir Lajana aus einer Sakrale zu befreien. Was auch ein brenzliches Abenteuer wird, aber nicht so unmittelbar totbringend, wie es für dich wäre, länger an Bord zu bleiben. In Ordnung?”
Lilið spürte tiefe Erschöpfung in sich. Kam ein Teil davon vielleicht noch von der Bewusstlosigkeit? Oder von dem Wissen, dass Drude sie vor einer Hinrichtung bewahrte? “Wie sicher bist du dir, dass du nicht hingerichtet wirst, wenn ihr ankommt?”
“Ich werde es rechtzeitig herausfinden.”, antwortete Drude. “Ich kenne die Leute. Ein Risiko bleibt, aber ich halte es für das beste, es einzugehen, wenn wir Lajana helfen wollen.”
Lilið legte eine ihrer Hände auf Drudes Arm, der sie hielt. “Ich vertraue dir.” Drude hatte vorhin so etwas Extremes gesagt. Dass Lilið die beste Freundesperson wäre, die dey hatte. Das hatte sie gleichzeitig berührt und zerrissen. “Es ist so traurig, dass ich deine beste Freundesperson sein soll. Denn ich fühle mich nicht besonders gut darin, überhaupt eine für dich zu sein.”