Tauschen und Täuschen

CN: Gedanken über Gewalt, rauchen, Ungerechtigkeit, Kidnapping oder sowas, Vegetarismus, Ableismus, Sanism, Body Horror.

Danmoge hieß die Insel, die sie erreicht hatten, und sie lag nicht allzu weit von Nederoge entfernt. Lilið hatte an manchen Tagen ihrer Segelausbildung Ausflüge hier her und zurück gemacht. Eigentlich musste Lilið sich nicht mehr sorgen. Dass sie am Folgetag diese Etappe schaffen würden, stand außer Frage. Es stimmte sie dennoch unruhig, weil sie keinen Spielraum für ihr Zertifikat hätte.

Sie besprachen kurz, ob sie doch noch in der Nacht hinübersegeln wollten. Aber es wäre Unfug. Sie waren müde und erschöpft. Ihre Muskeln zitterten. Es war Nacht und Lilið kannte die Gewässer bei tageslicht gut, bei Dunkelheit weniger. Alles sprach dafür, dass sie eher ein größeres Risiko eingingen, wenn sie jetzt schon aufbrächen, dass auf der Fahrt etwas passierte, als wenn sie es morgen früh täten.

Danmoge war keine einsame Insel. Sie hatte einen kleinen Hafen für größere Schiffe wie Kagutten. Für die Jollen gab es in der Hafenbucht einen kleinen Strand, auf den sie hochgezogen werden konnten, der regelmäßig von Steinen befreit wurde. Die Häuser am Hafen bildeten eher ein Dorf als eine Stadt. Es waren mit Stroh bedeckte Klinkerbauten. Auf einem Schornstein nisteten majestätische Orcheen. Drachen mit sehr langen Gliedmaßen, die es trotzdem schafften, damit wuchtig und schön auszusehen. Lilið mochte sie, vor allem, wenn sie elegant auf den breiten Nestern standen, ihre Hälse reckten und blaues Feuer nach oben spien. Sie mochte das dumpfe, heiße Geräusch, wenn sie es taten. Gerade aber schliefen sie und ihre langen Schwänze ringelten sich durch das angefeuchtete Astgestrüpp des Nestes hindurch über das Dach eines Imbisses. Einer der Schwänze zuckte, der längste, wahrscheinlich die Eltern-Orchee. Die anderen sahen noch weniger stabil beschedert aus.

“Es ist ein Nautikae-Imbiss.”, informierte Lilið. “Dort werden besonders Nautikae willkommen geheißen, aber auch Leute, die segeln lernen. Jene bekommen dort Essen ohne Marken! Das war einer der ersten Gründe, warum ich Nautika werden wollte.”

“Du wolltest dir unabhängig von irgendwelchen Regeln Essen einheimsen?” Marusch grinste und sprach deutlich in einer nicht ernstmeinenden Art.

“Unabhängig ist das Stichwort.”, antwortete Lilið, schon eher ernsthaft. “Es ging mir dabei nicht unbedingt um Essen. Sondern es war das erste Mal, dass ich mitbekommen habe, dass es in diesem Reich noch eine weitere Möglichkeit gibt, außer schutzbefohlen zu sein, eine Lordschaft zu sein, – Ladyschaft? Gibt es dafür ein sinnvolles neutrales Wort? –, oder kriminell. Nautikae sind auch manchmal schutzbefohlen, aber sie sind es auch oft nicht. Manche von ihnen reisen ohne Hab und Gut, für das sie Schutz bräuchten, auf fremden Schiffen gegen Kost und Koje. Das fühlte sich so unbeschreiblich frei an. Und in diesem Imbiss habe ich angefangen, das Konzept zu verstehen.”

Marusch nickte. “Das kann ich nachfühlen.”, sagte sie. “Ich glaube, es passiert aber auch leicht, dass der Beruf romantisiert wird. Denn eine gewisse Art, schutzbefohlen zu sein, ist es schon, was mit der Kost und Koje gegen die Dienste kommt. Nur eben wechselnd.”

“Schon!”, gab Lilið zu. “Aber guck dir diesen Imbiss an! Natürlich dürfen alle rein und Essen bekommen. Niemandem darf verwehrt werden, gegen Marke an einem öffentlichen Imbiss Essen zu bekommen. Aber du musst nur ein bisschen nach Segeln aussehen und du bist auch ohne willkommen. Solche Orte habe ich noch nie für andere Berufsgruppen als für Nautikae gefunden.”

“Willst du einkehren?”, fragte Marusch.

“Ich bin noch unentschieden.”, murmelte Lilið. “Eigentlich möchte ich mal wieder. Aber unser letztes Einkehren in so etwas war ein Desaster. Und mich könnten Leute wiedererkennen. Ich weiß nicht, ob das nicht ungute Folgen haben kann.”

“Falte dich doch ein wenig.”, erwiderte Marusch. “Ich glaube, es wäre sinnvoll einzukehren und ein wenig zuzuhören, was so geredet wird. Wir haben sehr lange nichts mehr über den Stand der Suche nach dem Blutigen Master M gehört. Oder vielleicht erfahren wir etwas Wichtiges über Lord Lurch.”

Lilið nickte. “Soll ich auch dich ein wenig zu falten versuchen? Ist wahrscheinlicher, dass es nicht hält, oder dass Leute sich hier dein Gesicht merken könnten und wir bei der Buchrückgabe oder später im Leben Schwierigkeiten bekämen?”

Lilið konnte Marusch und sich eigentlich ganz gut falten, und auch inzwischen so, dass sich die Faltung, wenn sie nicht zu kompliziert war, einigermaßen hielt. Aber Menschen lebten und bewegten sich. Wenn ein gefaltetes Papier oft und viel bewegt wurde, lösten sich Falten. (Natürlich kam es auf die Faltungen an.) So war es letztendlich bei Menschen auch: Nach und nach lösten sich Faltungen auf. Und wenn sie nicht angeleitet gelöst wurden, konnte das zwischendurch sehr auffällig sein, wenn eine Nase etwa plötzlich auf der Stirn saß, oder das Konzept Nase gegebenenfalls nicht einmal mehr erkennbar wäre.

Faltungen, die weiter weg vom Original waren, hielten gegebenenfalls fester, aber taten auch nach einiger Zeit weh, weil der Körper in der ungewohnten Haltung verkrampfte. Als Lilið das herausgefunden hatte, hatte sie sich zunächst gefragt, ob sich das Problem ähnlich wie das Atemproblem lösen ließe, aber dazu hatte Marusch die enttäuschende Antwort gewusst, dass es leider war, was Falten mit sich brachte.

Marusch entschied sich trotz der Risiken dafür, dass Lilið sie ein wenig falten sollte. Sie wickelte sich einen Schal um den Hals. Wenn ihnen auffallen würde, dass die Faltung sich löste, würde Marusch ihn sich um das Gesicht wickeln, einen Nießanfall vortäuschen und den Imbiss verlassen. Lilið würde nachkommen und das Gesicht wieder richten. So der Plan.


Als sie den Imbiss betraten und sich einen Tisch am Rand suchten, ging Lilið auf, wieviele Menschen ihr vielleicht im Laufe des Lebens begegnet sein könnten, die dabei nicht ausgesehen hatten wie sie selbst. Auf der anderen Seite wiederum versicherte Marusch ihr, dass ihre Faltungen schon sehr fortgeschrittene Magie wären, die sie eben gelernt hatte, weil sie sich seit ihrer Kindheit genau damit befasste. Allil beherrschte ein paar Illusionspraktiken, aber konnte sie nicht so lange aufrecht erhalten. Licht war zwar einfacher zu beeinflussen, aber auch flüchtiger.

Lilið dachte darüber nach, ob sie der Gedanke erschrecken sollte, dass ihr Leute etwas vorgemacht haben könnten. Aber es änderte sich angesichts dessen, dass sie sich Gesichter nicht merken konnte, für sie vielleicht ohnehin wenig.

Es war nicht das erste Mal, dass sie sich über so eine Dimension von Dingen, die ihr einfach passieren konnten, weil Leute Magie beherrschten, Gedanken machte. Von den Wachen auf ihrem Hof, wo sie groß geworden war, hätte sie einfach im Alltag entzweigerupft werden können. Von dem Moment der Erkenntnis bis sie sich daran gewöhnt hatte, hatte es ein paar Tage gebraucht. Dass sie es konnten, hieß ja nicht, dass sie es täten. Es war trotzdem etwas gruselig, aber wo fing gruselig an? In der Schule hätte ihr viel eher passieren können, dass eine Gruppe Kinder sich zusammenschloss und ihr Gewalt zufügte. Prinzipiell war das geschehen, aber es gab viel Spielraum nach oben, der realistisch gewesen wäre. Jene Gewalt oblag keiner besonderen magischen Fähigkeit und war viel bedrohlicher. Für sie zumindest. Weil sie nicht Zielgruppe der Gewalt der Wachen war.

Im Imbiss war nicht viel los. Irgendwo in einer anderen Ecke saß ein älterer Mensch in einem schicken Anzug und stopfte sich eine Pfeife. Lilið befürchtete, er würde sie drinnen rauchen, aber er legte sie bloß giffbereit beiseite. Lilið schloss, dass er bald gehen wollte.

Mittig saß eine Gruppe aus fünf Personen, die eine interessante Stimmungsmischung aus Ausgelassenheit und Schwermütigkeit verströmte. Es handelte sich um eine Person aus der benachbarten Monarchie des Königs Sper, ein Nautika, zwei Personen, die Nautika werden wollten und einen Schiffskoch. Das wusste Lilið, weil sie sich alle noch einmal kurz vorgestellt hatten, als die zweite Person, die Nautika werden wollte, hinzugestoßen war.

Bevor ein weiteres Gespräch hätte in Gang kommen können, nahm eine bärtige Person Bestellungen auf. Erst bei der Gruppe, die alle etwas essen wollten, und dann kam sie zur Marusch und Lilið.

“Ich bin Smutje Andert. Ich bin der Mann fürs Kochen, und heute auch fürs Bedienen.”, stellte er sich vor. Er klang herzlich und warm, wie Lilið das in diesem Imbiss gewohnt war. Aber mangels Fähigkeit, sich an Gesichter zu erinnern, wusste sie nicht, ob sie ihn kannte. Jedenfalls nicht gut genug, um die Stimme wiederzuerkennen. Besagte Stimme, die nach noch nicht ausgebrochenem, fröhlichem Lachen klang, fügte hinzu: “Wer seid ihr? Und kann ich euch mit Fischsuppe erfreuen? Das ist das Tagesangebot.”

“Ich habe meine Ausbildung zum Leicht-Nautika fast abgeschlossen.”, sagte Lilið, nicht ohne Stolz durchklingen zu lassen.

Sie erntete ein besonders breites Grinsen, ein “Ha!” und ein erfreutes, ungeniert verhibbeltes Händeklatschen. “Wenn du ein Feier-Typ bist, feier gern hier, wenn es soweit ist!”

Lilið grinste. “Ich denke darüber nach.”, versprach sie und deutete anschließend auf Marusch. “Und das ist meine Reisebegleitung.”

“Marusch.”, sagte diese und berührte sich zur Begrüßung an der Schläfe.

“Aurin. Ganz vergessen in der Aufregung!”, holte Lilið die eigene Vorstellung nach und spiegelte Maruschs Geste.

Smutje Andert machte eine riesige, leicht unkoordiniert wirkende Geste mit Armen und Kopf, die überschwängliche Freunde ausdrückte. “Willkommen!” Weniger überschwänglich fügte er hinzu: “Wie sieht es aus? Fischsuppe?”

Lilið blickte zu Marusch hinüber. Sie nahm nicht an, dass Marusch zwischen verschiedenen Fleischarten unterschied, aber wollte sich, wenn Marusch doch anders als sonst entscheiden sollte, die Fischsuppe doch nicht entgehen lassen. Bei der Gelegenheit fiel ihr auf, dass sie über das Thema noch nicht gesprochen hatten.

Marusch schüttelte freundlich lächelnd den Kopf. “Lieber nur etwas zu trinken, bitte.”

“Keinen Hunger oder ist Fischsuppe nicht das Richtige?”, bohrte Andert nach.

Maruschs Haltung fiel eine Spur in sich ein, vielleicht, um zu kommunizieren, dass sie nichts kritisieren wollte. “Letzteres. Aber ich möchte keine Umstände machen.”, sagte sie. “Meine Küche ist etwas speziell. Und ich habe Proviant dabei.”

Smutje Andert lachte. “Unser Angebot ist nicht riesig, aber wenn ich die Dame glücklich machen kann, wäre mir das ein Vergnügen.”, versprach er. “Ich kann sehr gut verstehen, dass Fischsuppe nicht immer so das Wahre ist. Was würde deinem speziellen Gaumen denn munden?”

Lilið registrierte, dass Smutje Andert Marusch als Dame las, trotz Maruschs Stimme. Es erfreute sie irgendwie. Auch wenn sie damit rechnete, selbst auch so einsortiert zu werden, die ungefragte Einsortierung also eigentlich an sich nicht so gut fand.

“Brot mit Kräutergewürzaufstrich ist meistens das einfachste, wenn ich auswärts bin.”, informierte Marusch.

Smutje Andert runzelte kurz die Stirn, hörte dabei aber nicht auf, fröhlich zu lächeln. “Ohne totes Tier?”, fragte er.

Lilið sah den Schweißfilm, der sich auf Maruschs Stirn bildete, als diese nickte.

“Nur keine Scham!”, motivierte der Smutje. “Das mit dem Brot und Kräutergewürzaufstrich ist kein Problem. Ich hätte außerdem noch ein paar in Ambusöl eingelegte Antomatinen und angedickte Haselmilch mit Minzinienblättern.”

“Das klingt sehr edel.”, murmelte Lilið.

Smutje Andert warf einen kurzen, vielsagenden Blick auf die Person im Anzug, die gerade aufstand und ihre Sachen zusammensammelte. Lilið hatte also recht gehabt: Diese Person war im Aufbruch gewesen.

“Ich möchte wirklich nicht zur Last fallen.”, wiederholte Marusch.

Andert winkte ab. “Iwo, ich liefere das euch viel lieber, als so Anzug-Fuzzis.” Er beugte sich zu ihnen hinunter, als er dies fast flüsterte, aber Lilið war sich recht sicher, dass der Mensch, der nun Richtung Ausgang trat, davon mitbekam. Andert wendete sich um und verabschiedete sich erkennbar aufgesetzt höflich.

Aus Lilið nicht ganz klaren Gründen feierte sie Anderts Verhalten innerlich sehr. Sie verstand, dass sie es mochte, dass in diesem Imbiss Adel schlechter wegkam, – wenigstens etwas, denn Adel hatte einfach Möglichkeiten, die anderes Volk nicht hatte. Ihr waren die Gründe deshalb nicht ganz klar, weil sie sich im Prinzip selbst zu Adel zählen konnte. Sie hatte sich nie zugehörig gefühlt, aber das änderte nichts daran, dass sie gewisse Privilegien hatte. Gehabt hatte zumindest, bis sie der Blutige Master M geworden war und nicht mehr so leicht zurückkonnte.

Smutje Andert entschied schließlich einfach für Marusch und diese wehrte sich nicht doll genug. Lilið bestellte zögerlich das Gleiche. Andert freute das sichtlich, und als nun endlich alles geklärt war, überließ er sie wieder sich selbst.

“Ein netter Imbiss, in der Tat.”, raunte Marusch Lilið zu.

Lilið grinste als Antwort nur.

Sie lauschten wieder möglichst unauffällg auf die Gespräche des benachbarten Tischs und mussten feststellen, dass diese auch ihrem Gespräch zugehört hatten.

“Wenn ich gewusst hätte, dass ich was anderes als Fischsuppe kriegen kann.”, murmelte die Person aus dem benachbarten Königreich bedauernd. Lilið erkannte die Stimme am alevischen Akzent wieder, den sie mochte.

“Ich hätte mich nicht einmal getraut, zu fragen.”, murmelte eine andere Person zurückhaltend.

“Du bist doch Schiffskoch!”, meinte eine weitere Stimme, die Lilið einem der beiden werdenden Nautikae zuordnete. “Also, musst du da nicht zwangsläufig mit allem, also auch mit totem Tier arbeiten?”

“Hey!”, griff die Stimme mit dem Akzent ein. “Er hat gerade gesagt, dass er sich kaum getraut hätte, zu fragen. Da ist das unsensibel, die Konsistenz in Frage zu stellen.”

“Konsistenz?”, fragte die Stimme vom ausgebildeten Nautika, die sich Lilið besonders einzuprägen versucht hatte. Mit Erfolg, wie sie glücklich feststellte.

“Ob es konsistent ist.”, antwortete die Stimme mit Akzent. “Heißt das nicht Konsistenz? Wenn sich etwas ergibt? Zusammen passt?”

“Ah!” Das war wieder die Stimme des Nautikas, dann erklang ein Stühlerücken für eine geänderte Sitzposition. “Nein. Es wäre richtig zu sagen, die Handlung ist konsistent. Aber Konsistenz hat eine andere Bedeutung. Da geht es um die Beschaffenheit von Dingen. Um Festigkeit. Vor allem von so etwas wie Brei oder Teig. Also, wie zähflüssig, wie fein, wie gut durchgeknetet oder so etwas ist.”

“Aha!”, verstand die Person von vorher. “Ich will nur meinen, dass Koch zu sein nicht heißen muss, dass man alles essen mag. Und auch nicht, dass man alles zubereiten mag.”

“Danke!”, murmelte der Schiffskoch, klang aber immer noch sehr, als würde er sich schämen. “Mein Traum war immer, eine Crew zu versorgen, die kein Tier isst. Aber das bleibt wohl ein Traum. Ich traue mich, wie gesagt, kaum darüber zu reden, weil sobald Leute davon Wind kriegen, sie mich nicht einmal mehr dann haben wollten, wenn ich Kompromisse eingehe.”

“Ich bin wegen so etwas kein Fan von diesem Reich.”, sagte eins der werdenden Nautikae. “Ist es im Königreich Sper besser?”

“In dem Punkt vielleicht schon.”, antwortete die Stimme mit Akzent. “Obwohl? Ich habe fast eher den Eindruck, es ist nur in anderer Weise schlimm bei uns. König Sper isst kein Fleisch. Viele eifern ihm nach und halten sich deshalb für was Besseres.” Die Person unterbrach sich einen kurzen Moment nachdenklich. “Es ist wegen König Spers Vorliebe kein Problem, ohne Fleisch essen zu gehen. Es gibt immer fleischlose Optionen. Oft genug gibt es sogar keine Option mit Fleisch. Und das ist gut für mich, denn ich esse selbst normalerweise kein Tier, wie ich bereits zugab, aber nicht wegen König Sper. Im Ausland ist mir das zu schwierig. Ich würde mich mit einem anderen Standard wohler fühlen, möchte aber auch nicht unhöflich sein. Und doch fühle ich mich eigentlich zu Hause fast unwohler, weil diese Lebensweise daheim mit Patriotismus verknüpft ist. Bah.”

Das Gespräch verstummte, oder wurde für eine Weile so unkoordiniert, dass Lilið nichts verstand, weil Smutje Andert mit den ersten zwei Tellern kam. Vom Nachbartisch standen einige auf, ihm anbietend, beim Tragen behilflich zu sein, was Andert dankend annahm. Auch das mochte Lilið: Dass so etwas hier nicht als unhöflich galt, sondern einfach umgesetzt wurde, was praktisch war. Sie stand nur deshalb nicht mit auf, weil die Tür zur Kombüse, wie die Küche hier hieß, ein Nadelöhr bildete und sie nicht wusste, ob Maruschs und ihr Abendessen nicht erst später fertig sein mochte.

“Wir brauchen offenere Grenzen und Bündnisse.”, hörte Lilið die Stimme mit Akzent wieder, als sich die Lage beruhigte. “Das war ein Papierakt, hierher zu kommen.”

“Aber dazu müsste jemand die Kronprinzessin entweder davon überzeugen, nicht zu regieren, oder Bündnisse einzugehen.”, murmelte eines der werdenden Nautikae. “Und letzteres würde für sie wohl bedeuten, König Sper zu heiraten. Ich habe da wenig Hoffnung.”

“Es gibt Hoffnungsschimmer.”, erwiderte das Nautika. Etwas in der Stimme machte Lilið klar, dass es sich hierbei nicht mehr um Geplauder handelte, sondern das Nautika etwas andeutete, wofür es in Schwierigkeiten kommen könnte, wenn es zu viel darüber preisgab. “Ersteres muss ja nicht zwangsläufig freiwillig geschehen.”

Lilið bemerkte die leichte Veränderung in Maruschs Gesichtsausdruck. War es wieder die Wut, die sie beim letzten Mal in einer Gesellschaft mit ihr kennen gelernt hatte? Aber um das zu erkennen, war es zu schnell vorbei.

“Ich wünsche der Kronprinzessin keine Gewalt an den Hals.”, murmelte der Schiffskoch. “Auch wenn ich sie nicht sonderlich mag. Aber auch dumme Leute sollten geschützt werden.”

“Vielleicht sollte jemand sie mal vor sich selber schützen, wenn sie es nicht kann.”, sagte das werdende Nautika, das seltener sprach. Lilið registrierte es, merkte aber trotzdem, dass sie beide werdenden Nautikae noch durcheinander warf.

“Ich mag die arrogante Denkweise nicht.”, mischte sich nun das fertige Nautika wieder ein. (Wobei Nautikae nie mit ihrer Ausbildung fertig waren. Lilið wusste nicht, welchen Grad dieses erreicht hatte.) “Ich mag auch Gewalt nicht, aber ohne Gewalt werden die nächsten Jahre nicht ablaufen. Es gibt Krieg, wenn die Königin weiterregiert. Einen anderen Krieg, wenn die Kronprinzessin übernimmt, oder Attentate oder sonst etwas. Wenn ich da pragmatisch drangehe, denke ich, ist es der beste Weg, die Kronprinzessin unter Druck zu setzen, ihren Thronanspruch aufzugeben. Danach kann sie gern ihren Lebensabend genießen, aber alles was dann käme, wäre besser, als wenn sie nicht auf den Thron verzichtete. Es wäre also die geringste Gewalt.”

“Ich verstehe.”, meinte das werdende Nautika von eben. “Pragmatisch gesehen hast du wohl recht. Aber kennst du Pläne?”

“Ich verstehe noch nicht.”, warf das andere werdende Nautika ein. “Wäre das nicht ungefähr so eine Situation wie jetzt? Die Königin versucht, derzeit zu erklären, dass sie den Kronprinzen schon in einem Jahr oder höchstens zweien dazu bekommen würde, die Sache ernst zu nehmen, und regiert so lange selbst, während die Lage zunehmend instabil wird. Würde sie das nicht weiterhin auch tun, wenn die Kronprinzessin abdankte oder auf ihren Thronanspruch verzichtete?”

Ein zustimmendes Geräusch des Nautikas erklang. “Schon. Aber es heißt, der Kronprinz argumentiert, dass er seiner Schwester den Vortritt lassen würde, wo sie doch regieren mag. Das könnte er dann nicht mehr. Auch von ihm müsste dann eine klarere und neue Stellungnahme kommen.” Leiser, aber für Lilið trotzdem hörbar, fügte das Nautika hinzu: “Und vielleicht übt es auch einen gewissen Druck auf den Kronprinzen aus, wenn seine Schwester als Geisel gehalten wird. Ich kann ihn nicht einschätzen, aber gut möglich wäre, dass er aus Angst oder Frust auch endgültig abdankt, oder aus Wut oder Machtgegenpol dann doch die Macht übernimmt. Beides würde wahrscheinlich einen Krieg vermeiden.”

“Die Fischsuppe ist übrigens köstlich!”, hörte Lilið nun wieder die Stimme mit Akzent.

“Oh richtig, ich habe bei dem spannenden Tischgespräch vergessen, zu probieren.”, fiel dem Nautika ein.

Nicht nur das folgende Geschirrgeklapper, sondern auch Smutje Andert, der Maruschs und Liliðs Essen zu ihrem Tisch balancierte, unterbrachen die Möglichkeit, weiter zu lauschen. Es sah hervorragend aus, fand Lilið. Sie bereute nun doch nicht, dass sie heute nichts Warmes essen würde.

Marusch hatte die Ablenkung durch die Bewegung im Raum ausgenutzt, um beiläufig einen kleinen Zettel hervorzuholen. Mit einem feinen Kohlestift schrieb sie etwas darauf, als Smutje Andert sie wieder Richtung Kombüse verließ, um Getränke zu holen.

“Ich möchte den Mantel des Nautikas haben. Ich spiele, ich hätte Schwächeanfälle. Du kennst dich damit aus und weißt, im Zweifel brauche ich frische Luft, aber es geht schon. Ich gebe dir später eine Ausstiegmöglichkeit aus dem Spiel, bevor es sehr gefährlich wird.”, stand darauf. Lilið hatte etwas Mühe, es zu lesen, weil Marusch die Zeichen benutzte, die sie im Buch gefunden hatten, bevor sie herausgefunden hatten, dass sie sich feiner unterschieden. Sie hatten ihnen ja Namen gegeben, Namen, die einfach Buchstaben aus ihrem Alphabet entsprachen. Auf diese Weise war es eine für sie benutzbare Substitutionsgeheimschrift, unabhängig davon, dass Marusch das Buch noch nicht entschlüsselt bekommen hatte.

Lilið atmete möglichst unauffällig tief durch und nickte schließlich. Im Nachhinein wurde ihr aus dem Gespräch nun klarer, dass nahelag, dass das Nautika und die Person aus dem Königreich Sper nicht nur eventuell Gerüchte gehört hatten oder Möglichkeiten ersonnen, sondern auch in etwas Konkretes verwickelt waren. Das Loben der Fischsuppe war vielleicht eine Strategie gewesen, das Nautika am Weiterreden zu hindern. Es war zu bereitwillig darauf eingegangen. Und ob eine Person, die kein Fleisch aß, sich sonst ungefragt über eine Fischsuppe positiv äußern würde, hielt Lilið auch zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich.

Der kleine Zettel auf ihrem Besteckteller verkohlte unter ihren Augen und zerrieselte zu Asche. Maruschs Feuermagie also. Aber so etwas hatte sie zu Schulzeiten immerhin auch schon ein paarmal hinbekommen. Sie lächelte. Noch einmal mehr, als sie wahrnahm, dass der typische Geruch ausblieb, den sie von verbranntem Papier erwartet hätte.

Als Smutje Andert die Getränke brachte, erkundigte sich Marusch nach dem Abort. Andert erklärte ihr wortreich den Weg, der eigentlich nicht so kompliziert war, und schlug schließlich vor, sie dort hinzuführen. Marusch tat auf dem Weg schon, als wäre sie etwas wackelig auf den Beinen, vielleicht wie als würde sie zum ersten Mal auf hohen Schuhen laufen. (Lilið konnte sich vorstellen, dass Marusch es in Wirklichkeit drauf hätte.) Während ihrer Abwesenheit versuchte Lilið wieder, beim Gespräch zu lauschen, aber es war belanglos. Wie gedankenverloren tauchte sie einen Finger in die Asche, um daran zu riechen. Sie war so fein, dass sie bei der Bewegung ihrer Hand zum Teller fast völlig davonflog. Lilið roch auch nichts, als sie das bisschen, was an ihrem Finger haften geblieben war, vor ihre Nase führte.

Auf ihrem Rückweg schwankte Marusch noch mehr als auf dem Hinweg, und auf halber Strecke, also ausgerechnet am Tisch der anderen, hielt sie sich an dem einen unbesetzten Stuhl an deren Tisch fest und sank überzeugend zu Boden. Sie riss niemanden dabei um und berührte auch niemanden dabei. Das irritierte Lilið in sofern, als dass sie den Akt als Ablenkungsmanöver für einen Diebstahl eines Mantels gehalten hatte.

Ihr fiel bei dem Gedanken wieder ein, dass sie es nicht mochte, Krankheit oder Behinderungen in ein Spiel einzubinden, bei dem andere durch sie zu Schaden kämen. Sie war ziemlich überzeugt davon, dass es das Leben von kranken oder behinderten Menschen beeinträchtigte, wenn Leute ihren Anblick mit Verbrechen verknüpften. Darüber sollte sie dringend mit Marusch reden. Später.

Jetzt erst einmal stand sie auf, um zu Marusch herüberzueilen. Das war, was eine gute Beziehungsperson tun würde. Aber sie war nicht allein damit. Das Nautika und der Koch vom benachbarten Tisch halfen Marusch dabei, sich aufzurappeln und sich auf den Stuhl zu setzen, an dem sie sich festgehalten hatte. “Danke! Danke euch!”, sagte Marusch dünn. “Ich hoffe, ich störe nicht allzu sehr, wenn ich einen Moment hier sitzen bleibe?” Sie schnappte nach Luft, aber wirkte, als ginge es ihr schon etwas besser.

Das war ein enorm überzeugendes Spiel, fand Lilið. Marusch machte immer noch keine Anstalten, etwas zu stehlen. Sie machte auch kein übermäßiges Chaos. Sie hielt Abstand und drängte sich nicht auf.

“Bleib ruhig sitzen.”, lud das Nautika ein.

“Brauchst du ein Medika?”, fragte der Schiffskoch.

“Ist jemand von euch zufällig Medika?”, fragte Marusch. Sie brachte ein Lächeln auf ihrem Gesicht an, das gleichzeitig höflich wirkte und als würde es sie anstrengen.

Der Schiffskoch schüttelte den Kopf und blickte sich um. Lilið war inzwischen hinter Marusch getreten und konnte gut sehen, dass alle anderen ebenfalls verneinende Gesten taten.

“Aber es gibt hier sicher eines im Hafen. Ich frage den Smutje.” Das Nautika hatte sich kaum hingesetzt und stand nun wieder auf.

Das wäre wohl die Gelegenheit gewesen, dachte Lilið. Der Mantel hing über der Lehne des Stuhls, auf dem das Nautika gesessen hatte. Auf der anderen Seite, wie sollte irgendwer das Kunststück vollbringen, einen großen Mantel unter den Augen aller anderen wegzustehlen?

“Nein, nein!”, widersprach Marusch freundlich. “Ich habe, ehrlich gesagt, Angst vor Medikae. Mein Mann und ich wissen, wie wir das händeln. Es ist nur ein Schwächeanfall.” Als Marusch Lilið als ihren Mann bezeichnet hatte, hatte sie sich kurz zu Lilið umgedreht und nach ihrem Arm gegriffen, den Lilið ihr bereitwillig hingereicht hatte. Marusch spielte überzeugend, dass die Drehbewegung mit ihrem Körper einen weiteren Schwindel auslöste.

“Ihr müsst verstehen.”, sagte Lilið. Sie versuchte, nicht allzu gekünstelt mit recht tiefer Stimme zu sprechen. Nicht, indem sie sie nach unten verbog, sondern indem sie mit der tiefsten Frequenz einsetzte, die zu ihrer normalen Stimme gehörte. “Sie hat Skeletrophie.” Wenn kein Medika da wäre, das sich nicht mit wirklich allem auskannte, würde niemand wissen, dass es ein erfundenes Wort war. “Wir haben weit über die Inseln reisen müssen, bis wir das eine Medika gefunden haben, das uns darüber hat aufklären können.”

“Kommt die Stimme und die Diät daher?”, fragte eines der werdenden Nautikae, erhielt aber direkt einen tadelnden Blick mehrerer Anwesender, unter anderem vom Schiffskoch und vom Nautika, das sich gerade ein weiteres Mal hingesetzt hatte.

Marusch nickte allerdings einfach. “Ich soll kein Fleisch essen, hat das Medika empfohlen.”, sagte sie. “Es ist mir peinlich, aber ich habe vorhin versehentlich mitbekommen, dass es hier kurz Thema war. Ihr seid gute Leute!”

“Aus medizinischen Gründen ist das ja auch nochmal was anderes.”, meinte der Schiffskoch. “Das akzeptieren die Leute eher. Aber ich verstehe es trotzdem. Du hast dann halt nicht einmal eine Wahl. Du kannst nicht mal eben an einem Tag, an dem du den gesellschaftlichen Druck nicht aushältst, anders entscheiden.”

“Es ist nicht so schlimm.” Marusch klang nicht überzeugt. “Aber ich betone nochmal: Ihr seid gute Menschen. Ich möchte euch wirklich nicht bei etwas Privatem stören. Aurin, hilfst du mir auf?”

“Unfug!”, mischte das Nautika sich wieder ein. “Ruh dich hier aus, sei willkommen. Wir sind hier zwei Gruppen, mit Überschneidungen, die sich im Vorfeld auch nicht alle untereinander kannten. Wir haben nichts gegen zwei mehr.” An die Runde gewandt fügte es hinzu: “Oder?”

Marusch blickte einige Momente verdattert in die zustimmend murmelnde Runde und bedankte sich anschließend. “So zuvorkommend! Aurin, magst du dir einen Stuhl, und mir die graue Jacke holen? Die mit der kleinen Tasche, wo das Taldin gegen den Schwindel drin ist, wenn ich es doch brauchen sollte? Müsste nicht tief im Gepäck sein.” Für die anderen fügte sie hinzu: “Ich soll es nur nehmen, wenn es nicht anders geht.”

Lilið wusste sofort, welche Jacke sie meinte, und dass kein Medikament mit dem Namen in der Tasche war, sondern ein kleiner Stein, den Marusch hübsch gefunden hatte. Sie hoffte, Marusch wollte den Stein nicht schlucken. Aber sie hatte ja bereits angedeutet, dass es nur für den Fall der Fälle wäre.

Sie stand auf, nickte und kramte nach der Jacke. Um den Stuhl musste sie sich allerdings nicht kümmern. Einige der anderen halfen ihr und holten ihn, sowie ihr Essen an den benachbarten Tisch. Sie beobachtete, wie Marusch zwischen sich und dem Nautika Platz machte. Auch das erschien ihr zunächst counterintuitiv. Bis sie begriff, dass sie dann zwischen dem Stuhl mit dem Mantel und Maruschs Jacke sitzen würde.

Es war so beengt, als sie schließlich saß, dass sie beide Kleidungsstücke auf der Haut ihrer Arme fühlte. Marusch hatte sich die mitgebrachte Jacke übergehängt und der Stoff war zwischen ihren Schultern und Armen eingeklemmt. Die Jacke kannte sie an sich schon ganz gut. Marusch hing nicht daran, glaubte sie, aber an manchen kühlen Abenden hatte sie sie sich angezogen und mit Lilið gekuschelt.

Der Mantel des Nautikas war ein beeindruckendes Gerät. Er war schwer, lang und wetterfest. Er fühlte sich lebendig an, als hätte er schon viel erlebt. Er hatte eine Geschichte, die Lilið erfühlen konnte. Also, nicht wie sie genau abgelaufen war, sondern dass es sie gab. Wie bei Ruinen von Burgen oder so etwas, die sich die Natur zurückeroberte.

Lilið fühlte in das Material des Mantels hinein, fühlte die verschiedenen darin verarbeiteten Materialien. Manche nahm sie lauter wahr, manche leiser. Sie fühlte die Flicken, die nicht elegant, aber sehr robust und haltbar eingearbeitet waren, und in welche Richtung der Stoff durch jene häufiger verzogen wurde. Sie spürte die Verschlüsse zunächst dumpfer als den Rest des Mantels, bis sie ein Bild von ihnen ausmachen konnte und sie sich ihr klar erschlossen. Der Mantel hatte viele Innentaschen mit Karten und anderen Papieren.

Als Lilið aus ihrer Faltwelt wieder in die Realität zurückkehrte, während der sie lediglich im Stande gewesen war, zu essen, hatte sich das Thema wieder der Kronprinzessin zugewandt. Lilið vermutete Maruschs Werk dahinter, aber sie hatte wirklich keine Ahnung, wie Marusch das fertig gebracht haben könnte. Sie hatte allerdings auch nicht bemerkt, wie sie ihren Teller fast leergegessen hatte. Was schade war, denn vom Geschmack bekam sie nun erst im Nachhinein etwas mit, und der hätte sich sehr gelohnt.

“Die Kagutte mit der entführten Kronprinzessin an Bord legt morgen ab.”, sagte das Nautika. Es klang dabei ziemlich geschäftlich. “So viel verrate ich noch, aber mehr Details könnten mich wirklich in Schwierigkeiten bringen.”

Lilið war noch zu sehr in dem Gedankenzustand, in dem sie versuchte, nicht allzu auffällig aus einer anderen Welt zurückzukehren. Daher drang das Gefühl von Überraschung und vielleicht Schock über die konkrete Information nicht direkt in ihr Inneres durch. Und als es das tat, war es bereits gedämpft. Sie fragte sich, was sie davon halten sollte, aber für solche Fragen war wohl erst später Zeit.

“Das verstehe ich.”, sagte Marusch. “Ich wollte auch wirklich nicht drängen. Aber das Angebot steht, wenn ich irgendwie unterstützen kann, wäre ich dabei. Ich halte das für einen grässlichen, aber durchaus sinnvollen Lösungsansatz des derzeitigen Konflikts.”

Das Nautika schüttelte den Kopf. “Sieh du mal lieber zu, dass du dich schonst.”, riet es. “Die Crew ist komplett, bis auf ein gutes Nautika. Über einige Verbindungen hat eine Person an Bord eine Empfehlung für mich ausgesprochen. Die Crew ist ansonsten hervorragend ausgestattet.” Das Nautika klang unter der sachlichen Unsicherheit nicht wenig stolz auf sich, aber verstummte auf einen Blick der Person aus dem Königreich Sper.

Erneut brachte letztere das Gespräch wieder in sicherere Gewässer. Sicherer für das Nautika. Sie redeten nun über Wetter und Kartenspiele.

Als Smutje Andert eine neue Runde Getränke brachte, verabschiedete sich Marusch noch einmal zum Abort. Ihre Jacke ließ sie dabei über den Stuhl gehängt zurück und rieb sich beim Gehen über die Arme. Wieder schwankte sie dabei. Lilið fragte sich, ob sie sie begleiten sollte, aber blickte sich zunächst lediglich immer wieder um. Das machte die anderen nervös, aber das war ihr nur recht. Als besorgter Ehemann war das zu erwartendes Verhalten bei ihr. Ihr Blick fiel dabei einige Male auf Smutje Andert, der in der Nähe mehrere Tische wischte und keineswegs so glücklich wirkte wie zuvor. Ob er von dem Gespräch mitbekommen hatte und weniger von der Entführung der Kronprinzessin hielt als das Nautika?

Für Lilið nicht unerwartet, klappte Marusch auf dem Rückweg zusammen, wieder auf halbem Weg, also dieses Mal mitten im Raum.

Lilið sprang sofort auf, ihren Stuhl dabei umschmeißend und eilte auf Marusch zu. Sie verbarg ihre innere Freude darüber, dass es ihr gelungen war, Maruschs Stuhl gleich mit umzuschmeißen.

Ebenso nicht unerwartet für Lilið sprang auch das Nautika, das sich immer gekümmert hatte, auf, sowie der Koch und eines der werdenenden Nautikae. Sie beugten sich alle zu Marusch hinunter, die verschiedene Anweisungen gab. Das Nautika bat sie, ein Glas Wasser zu organisieren, aber welches ohne Geschmack, wofür das Nautika die Kombüse aufsuchen musste. Marusch bat Lilið, ihre Jacke zu holen. Und das war ebenso nicht unerwartet für Lilið.

Sie ging zurück zum Tisch, blickte sich unauffällig um, als Marusch ein ächzendes Geräusch von sich gab, ob es auch wirklich alle Aufmerksamkeit auf diese zog, und faltete rasch zwei Kleidungsstücke. Den Mantel zur grauen Jacke, und die Jacke zum Mantel. Es war herausforderd, weil Farbpartikel passend gefaltet werden mussten. Formen waren einfacher, wenn nicht auf Farbe geachtet werden musste. Aber immerhin war auch der Mantel grau, nur etwas dunkler.

Sie veranstaltete noch ein wenig Chaos, indem sie absichtlich über einen Stuhl stolperte, sodass hinterher vielleicht nicht mehr klar war, welcher wo gestanden hatte, und brachte Marusch die vermeintliche Jacke. “Du solltest an die frische Luft!”, sagte sie.

Marusch zitterte, zog sich die vermeintliche Jacke an und kramte in der Tasche nach dem vermeintlichen Stein, beziehungsweise dem angeblich existenten Medikament. Lilið hoffte dabei, dass Marusch die Jacke nicht zu sehr rütteln würde, damit sie sich nicht entfaltete. Bevor Marusch das Wasser trank, das ihr das Nautika brachte, führte sie etwas zum Mund, das niemand sah, also wahrscheinlich nichts. Sie blickte halb zu Boden, als sie anschließend langsam wieder zu Atem kam.

“Bringst du mich ins Bett, Liebster?”, fragte Marusch schließlich so dünn wie am Anfang.

Lilið nickte und half ihr auf. Einen Arm von ihr über der Schulter, das Gepäck auf die andere nehmend, und Hilfsangebote freundlich abwimmelnd, verließen sie den Imbiss.

Lilið glaubte, dass sie das Spiel mit dem Risiko noch nicht hinter sich hatten.