Sanism - Diskriminierung gegenüber Menschen wegen kognitiver (Un-)fähigkeiten
Hinweise zu belastenden Themen: Beleidigungen, Diskrimierung und Erniedrigungen von Menschen, die in unserem System durch ihre kognitiven Fähigkeiten, Möglichkeiten oder ihre Bildung nicht der gefühlten Norm entsprechen. Ich zitiere dabei auch verletzende Sprüche.
"Wie kann ein Mensch so dumm sein?"
Ein Spruch, der sicher nicht nur mich schon oft getroffen hat.
Interessant ist an dieser Stelle, dass mich eigentlich jede Person, die mich näher kennt, als (eher) intelligent einordnen
würde. Vorsichtig ausgedrückt. Das schreibe ich nicht, um mich abzugrenzen oder zu verteidigen, sondern weil ich eigentlich
nicht so sehr von der Art Diskriminierung betroffen bin, wie andere, über die ich hier
schreibe. Ich bin privilegiert und versuche mich hier auch und vor allem für andere einzusetzen, deren Perspektive ich mir
nur durch viele Gespräche vorstellen kann. Ich habe zum Schreiben dieses Textes Rückmeldung von
eher Betroffenen einbezogen. Dennoch sollte dies beim Lesen beachtet werden.
Und trotzdem. Ich höre diesen Spruch häufig in
herablassender Weise gegen mich gerichtet, weil ich etwa mal wieder Subtext nicht verstanden habe, oder
eine bestimmte gesellschaftliche
Norm nicht erfassen konnte. Oder weil ich Mathematik studiert habe, aber sehr große Schwierigkeiten mit Rechnen, mit
Abschätzungen oder Größenordnungen habe. Oder weil ich Ironie oder Sarkasmus nicht verstehe.
Wenn ich in meinem Bekanntenkreis oder meiner Familie von so einer Situation erzähle, verläuft die Reaktion
oft nach einem bestimmten Schema. Erst wird abgestritten, dass ich diese kognitive Unfähigkeit/Einschränkung hätte, und wenn ich
davon überzeugen kann, dass ich sie habe, dann wird mir gesagt, ich solle mich nicht selbst so runtermachen, oder
werde ermutigt mit "Du kannst vielleicht nicht A, aber dafür
bist du in B besonders gut.". Das ist eine lieb gemeinte Reaktion, - Aufwertung nachdem man abgewertet worden
ist -, aber zeigt irgendwie auch, wie internalisiert der Wert einer Person mit ihren kognitiven Fähigkeiten
im Unterbewusstsein verknüpft ist. Es sagt indirekt aus, dass es schon okay ist, mich
dafür abzuwerten, dass ich eine bestimmte kognitive Fähigkeit nicht hätte. Oder dass ich eine andere bräuchte, am
besten extra ausgeprägt, um doch etwas wert zu sein.
Aber was, wenn ich nun keine andere herausragende
kognitive Fähigkeit gehabt hätte? Ich frage das manchmal. Und dann sind die zwei klassischen Antworten, dass
es entweder keine Person ohne mindestens eine besonders herausragende kognitive Fähigkeit gäbe, oder, dass
sie sich in mindestens einer kognitiven Fähigkeit stetig verbessern würden
und das ja das Ziel wäre. Mehr könne man ja nicht erwarten. Eine weitere Variante ist das Abwerten
der Beleidigenden, dass diese aus irgendwelchen Gründen viel dümmer wären. Es passiert wirklich selten, dass
Menschen von diesem ganzen Zusammenhang abzubringen sind, und sie auf die Idee kämen, dass vielleicht
die Verknüpfung zwischen "Gehirnleistung" und Wert eines Menschen toxisch ist. Dass das
Kern des Problems vielleicht ist, dass diese Verknüpfung schädlich ist und auch
langfristig das Leben für viele Menschen, die nicht der Norm entsprechen, vergiftet.
Und das ist auch kein Wunder. Wir
bekommen es unser ganzes Leben lang vorgesetzt und eingetrichtert. Durch Zensuren, durch Zeugnisse, die unser
Einkommen und damit unsere Lebensgrundlage bestimmen. Es werden kognitive Leistungen gemessen, die nichts damit
zu tun haben, wie lieb wir etwa zu einander wären, und die Messergebnisse bestimmen unsere Existenzgrundlage. Also
wörtlich zu verstehen: Unsere kognitiven Leistungen bestimmen unsere Existenzgrundlage!
Wie kann ein Mensch so dumm sein. Oder anders ausgedrückt, wie
soll ein Mensch in diesem System heile überleben, oder auch einfach vor sich hin sein (im Sinne
von, Leute einfach sein lassen, wie sie sind), wenn er dieser Art von Diskriminierung ständig
ausgesetzt ist. Es ist (fast?) unmöglich in dieser Welt heile
zu überleben, wenn man in keiner Weise in eine gesellschaftliche Norm von intelligent fällt.
Anmerkung und Aufforderung
Mir fällt beim Schreiben dieses Textes auf, dass die ganze Thematik so stigmatisiert ist, dass es mir schwer fällt, in anerkennender Weise über verschiedene von Sanismus betroffene Menschen zu reden. Sollte es an irgendeiner Stelle auffallen, bitte ich um Rückmeldung. Ich bin auch über nicht vollständig konstruktive glücklich. Ein vages "an dieser Stelle fühlt sich das nicht gut an und ich weiß nicht warum" ist völlig in Ordnung. Dann arbeite ich daran mit Rückmeldung bis es passt, wenn erwünscht, oder in Kooperation mit anderen, wenn unerwünscht.
Die schädigende Doppelverwendung
Ein Beispiel, das ich so kürzlich auf Twitter erlebt habe. Eine Person schrieb:
Das Wienerische hat sehr viele Worte für dumm, aber in letzter Zeit nicht genug.
Ich habe Angst, so etwas zu kommentieren, muss ich zugeben, aber ich tat es in diesem Fall trotzdem. Die
Person wirkte auf mich, als könne eine Diskussion vielleicht zu Erkenntnissen führen, vielleicht auf
beiden Seiten. Es ergab sich folgende kurze Unterhaltung:
Ich: Tatsächlich sind die meisten Wörter für "dumm", jenes selbst eingeschlossen, ableistisch. Es wäre aus meiner
Sicht sinnvoller, in der Ecke "ignorant", "verantwortungslos", etc nach Wörtern zu suchen...
K: Wenn man damit Menschen, die aus geburts/unfallgründen beeinträchtigt so bezeichnet, geb ich dir recht.
Ich: Da es für Menschen beim Zuhören zu einem recht hohen Anteil nicht unterscheidbar ist, und auch Menschen die Info
daraus ziehen, dass die Beeinträchtigten Schuld an etwas wären, ist es wie mit jedem ableistischen Wort
schädlich, es zu verbreiten.
K: Da unterschätzt du die Menschen.
Das ist keine seltene Reaktion. Ich mag anmerken, dass ich auch zu den Menschen gehöre, die das nicht
unterscheiden können, aber dazu später. Es ist üblich, dass mir in so einem Fall
erklärt wird, dass Leute doch sicher verstehen würden, dass
das Wort dumm in diesem Zusammenhang schon richtig verstanden würde. Aber das ist auch unter neurotypischen
Menschen nicht der Fall. Ich kenne selbst
vielleicht tatsächlich keine Person, die diese Verknüpfung mit kognitiven Fähigkeiten überhaupt nicht
zieht. Wenn ich genauer nachfrage und die Personen in ein Gespräch verwickele, dann gibt es fast immer ein abwertendes Resultat gegenüber Menschen, bei
denen das beleidigende "dumm" sich auf ihre kognitiven Fähigkeiten bezieht, wie etwa, dass es eben doch einen logischen,
direkten Zusammenhang zwischen Bildung oder Denkfähigkeit und Ignoranz oder der Charaktereigenschaft gäbe, andere zu
diskriminieren. Oder es wird eben, wie oben beschrieben, anders herum argumentiert, dass die Leute, die von
Sanism betroffen sind, in Wirklichkeit gar nicht die Dummen wären, und es wird versucht ihre
kognitiven Fähigkeiten herauszustellen. Nicht selten werden auch Leute, die solche Aussagen tatsächlich missverstehen, deshalb
als dumm bezeichnet, oder ihnen wird unterstellt, sich absichtlich dumm zu stellen.
Eine weitere häufige Reaktion ist, dass sich die für ihren Sanismus angegriffenen Personen am Ende
selbst als dumm bezeichnen, wie in "Vielleicht verstehe ich dich nicht, weil ich einfach zu dumm
bin.". Das macht mich dann meist sprachlos. Ich kenne sehr viele Menschen, die so etwas im vollen Ernst
sagen, weil ihnen das beigebracht wurde. Vielleicht habe ich es selbst gelegentlich gemacht. Es beschreibt
ziemlich genau das Problem:
- Es ist nicht schlimm, etwas nicht sofort zu verstehen. Es wird aber in unserer Gesellschaft erwartet, weil Sanism tief internalisiert ist. Daher fühlen wir uns schlecht, wenn wir etwas nicht verstehen.
- Sich selbst an dieser Stelle als dumm zu bezeichnen, beugt vor, dass andere es tun.
- Wir wissen aus Erfahrung, dass andere es tun (Wie oft hörte ich: "Oh Herr, lass Hirn vom Himmel regnen", wenn ich wieder etwas auch beim dritten Anlauf nicht verstand).
- Auf diese Art zu reagieren, und das auch noch in einem Gespräch, in dem sich dafür verteidigt wird, das Wort dumm "richtig" verwendet zu haben, zeigt doch auf, dass es eine schädliche Vermischung dieser beiden Bedeutungen gibt.
- Das klar unterschieden werden kann, ist eine Lüge. Ich zumindest kann es nicht.
Nein dumm und alle Varianten davon ist für viele Menschen genau das richtige Wort! Und das trifft auch nur Menschen die ihren Kopf nur dafür haben des es nicht in den Hals regnet *Tränen lachender Smily*
Ich war in dem Moment sehr getroffen. Da es mich getroffen hat, bin ich also der Logik des Tweets folgend tatsächlich eine Person, auf
die zutrifft, dass mein Kopf nur dafür da wäre, dass es nicht in meinen Hals regnete. Vielleicht war das
nicht beabsichtigt, aber dann war es uneindeutig formuliert. Herablassend und direkt auf geistige Fähigkeiten Bezug nehmend war es in jedem Fall. Und
weil ich mich hilflos fühlte, wie so oft in solchen Situationen, zitierte ich den Tweet mit dem dazu erklärenden Text:
Habe eine Person darauf hingewiesen, dass Begriffe wie "dumm" ableistisch sind. Klassische Reaktion ist dann oft, dass Zuhörende schon auseinanderhielten, was gemeint wäre.
Verletzende Reaktionen wie diese sind nur leider viel zu häufig. Es wäre vielleicht etwas anderes, wenn es sich dabei um Netztrolle
handelte. Die besagten Personen sind allerdings Mutuals, und verbreiten auch viele sinnvolle und durchdachte Ansichten.
Ich denke, wir müssen als Gesellschaft am Problem Sanism viel arbeiten. (Auch ich.)
Als Reaktion kam: Ok das ist neu für mich, kein Troll und kein Boomer, aber du verwendest so viele tolle
Fremdwörter, da ersuche ich um entsprechende Erklärung, weil das sagt mir gar nix, naja ich bin aber auch dumm.
Als klassische Abwertung in jeder marginalisierten Gruppe
Es ist ein klassisches Vorurteil gegenüber vielen anderen marginalisierten Gruppen, besonders, wenn diese Gruppe eine andere Art zu denken hat (Neurodiversität), eine andere Sprache spricht (dabei sind auch Gestensprachen mitgemeint), anders aussieht, als die Norm es vorsieht (Hautfarbe, sichtbare Behinderungen oder andere Abweichungen der Norm), oder wenn sie einen anderen kulturellen Hintergrund hat, dass jene dumm wären. Andersherum, wenn eine Person für eine andere Eigenschaft diskriminiert wird, zum Beispiel oben genannte, ist eine Standardaufwertung "dafür bist du aber schlau". Vielleicht ist es das, was es mir unmöglich macht, zwischen der Bezeichnung "dumm" für ignorante, bösartige Handlungen von Menschen und dem "dumm", dass Menschen mir entgegenbringen, weil ich autistisch bin, zu differenzieren. Denn diese zwei "dumm"-Beleidigungen sind sehr dicht beieinander. Ich werde abwertend als dumm bezeichnet, weil ich Menschen etwas erkläre, weil ich ihre rethorischen Fragen wörtlich nehme. Das sehen sie als ihnen gegenüber abwertend an, ja sogar ihren kognitiven Fähigkeiten gegenüber. Denn, wenn ich ihre rethorischen Fragen wörtlich nehme, dann müsste ich sie ja für dumm halten. Es ist so vertrackt. (Und nein, das ist kein Witz. Für so etwas, und mit dieser Argumentation bin ich von öffentlichen Minecraft-Servern gemobbt worden. Der Plural ist bewusst.)
Folgen für Betroffene der Abwertung
Viele Personen marginalisierter Gruppen wehren sich gegen diese Art Diskriminierung, indem sie
sich klar machen, wie intelligent oder gebildet sie sind, oder was sie kognitiv leisten. Statt zu realisieren, dass
die Abwertung deswegen als Voraussetzung schon schlecht ist, fangen sie an, ihren Selbstwert an kognitive
Leistungen zu knüpfen, stärker noch, als Menschen es allgemein tun. Das ist kein
Vorwurf. Das ist nicht die Schuld dieser Personen, sondern ein gesellschaftliches
Problem.
Dann wiederum ziehen sich viele aus Diskussionen oder anderen Bereichen mit tendentiell geistigem Austausch völlig zurück. Eine
liebe Person in meinem Umfeld sagt, sie würde grundstätzlich davon ausgehen, dass die anderen kompetenter
wären als sie. Sie ist gewohnt, dass wegen ihrer Ausdrucksweise andere sie als weniger intelligent
oder kompetent einordnen. Sie ist sich dessen bewusst, dass die Vorurteile nicht zutreffen. Und
dennoch schreibt sie anderen in vielerlei Hinsicht eine höhere Kompetenz zu.
Es gibt auch einige in meinem Umfeld, die durch Abwertungen ihrer kognitivin Fähigkeiten ihr
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verlieren, und eine volle Berechtigung darin sehen, deshalb
als weniger wert eingeschätzt zu werden. Ich frage gern Menschen nach eigenen Wahrnehmungen
und Meinungen, zum Beispiel zu meinen Texten, und
selbst bei diesen Fragen kommen nicht selten Antworten wie: "Du solltest nicht mich fragen, ich
bin dumm." Dabei geht es bei diesen Fragen eben gerade um eigene Erfahrungen, bei denen nicht
einmal etwas falsch sein kann.
Aber das hängt wieder an entsprechenden Vorurteilen: Menschen werden nicht ernst genommen, ihnen
wird nicht geglaubt, und ihnen wird so eindringlich erklärt, dass ihre Erfahrungen nicht
stimmen können, dass sie teilweise anfangen, ihren eigenen Erlebnissen zu misstrauen. (Ich glaube,
das nennt sich Gaslighting)
Eine Freundin, Pia Backmann, die eine Behinderung hat, durch die ihre eine Gesichtshälfte gelähmt ist, beschreibt, dass
sie in ihrem OwnVoice Roman
"Der Elbische Patient" über
eine Person mit einer ebensolchen Behinderung manchmal den Drang hat, von Erfahrungen
nur abgeschwächt zu erzählen, weil ihr sonst Leute sagen, es wäre zu unrealistisch. Dabei
geht es meistens darum, dass wegen ihrer Gesichtslähmung ihr ihre
geistigen Fähigkeiten und ihre Kompetenz durch ihre Bildung aberkannt wird.
Es wundert mich nicht, dass sie diesen Vorwürfen widerstrebend, sich
und anderen immer wieder ihre geistigen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat.
Aber das löst nicht das Problem. So etwas sollte von vornherin kein Vorwurf sein. Es
ist ein schlimmes Problem, dass Anderssein mit geminderten
geistigen Fähigkeiten in Zusammenhang gebracht wird, aber selbst wenn es einen Zusammenhang
gäbe, wäre eine Abwertung dafür arschig. Sie steckt also in der Zwickmühle, dass sie als Aktivistin
gegen Behindertenfeindlichkeit eigentlich gleichzeitig an zweierlei Fronten kämpfen müsste (und tut): Gegen
die Verknüpfung zwischen Äußerlichkeiten und kognitiven Fähigkeiten, und vor allem gegen die
Abwertung von Menschen mit von der Norm abweichenden kognitivin Fähigkeiten. Denn wenn sie zufällig zusätzlich
zu ihrer Behinderung, die sie optisch aus der Norm fallen lässt, auch noch weniger intelligent
oder kognitiv behindert wäre, wäre da immer noch kein Grund, sie wegen irgendetwas abzuwerten
oder auszuschließen. Aber so etwas passiert ständig, und Menschen leiden enorm darunter.
Eine andere Person in meinem Umfeld definiert sich über diese lebenslange Abwertung so sehr
über Anerkennung ihrer kognitiven Fähigkeiten, dass es für sie ein Identitätsverlust
wäre, damit aufzuhören. Es ist für sie unmöglich diese Verknüpfung zu lösen. Es ist sehr
schwer, ihr etwas zu erklären, selbst wenn sie etwas wissen will, weil sie sich bei vielen
Arten und Weisen des Erklärens dumm fühlt, und das für sie ein unerträgliches Gefühl ist. Auch
hier möchte ich ihr keinen Vorwurf machen. Menschen sind für gewöhnlich nicht einfach
so sehr empfindlich, obwohl sie anders könnten, sondern weil sie im Laufe ihres Lebens
ausreichend immer wieder in die selbe Kerbe geschlagen worden sind, dass es nicht mehr
heilen kann. Und in diese Kerbe zu schlagen, ist in unserer Gesellschaft etabliert.
(Präventive) Selbstbeschuldigung
Zu meinen persönlichen Eigenarten in meiner Neurodiversität gehört, dass ich Muster nicht
leicht erkenne, und Stereotypisierung nicht so leicht zuordnen kann. Außerdem bekomme
ich oft Subtext oder Wertung von etwas nicht mit, wenn diese Wertung ausschließlich
in Mimik oder Sprachmelodie passiert, nicht aber in Formulierungen, wie "das ist schlecht" oder
"ich mag das an dir nicht". Zum Beispiel wurde mir oft mitgeteilt "du starrst", und ich dachte
mir einfach, stimmt, tue ich, machen vielleicht viele. Aber dass mir damit eigentlich
gesagt wurde, dass das störte, habe ich erst Jahre später herausgefunden, als es jemand
dazu sagte. Es gehört auch dazu, dass ich von der Wertung der Kommentare
bezüglich meiner (angeblichen) Dummheit lange nichts mitbekommen habe. Das ist vielleicht
sogar ein Glück. Ich konnte eine Weile aufwachsen, während mich immer wieder Leute über
meine Inkompetenz in Kenntnis setzten, aber ich dachte eben einfach "Stimmt, haben sie
wohl recht. Das kann ich wohl nicht."
Insbesondere führte das dazu, dass ich bis heute in vielen Situationen keine Hemmungen
habe, über meine Inkompetenzen zu reden. Einfach so. Ohne es zu bewerten. Aber andere
tun es. Das war, wie ich von dem Problem eigentlich erfahren habe: Wenn ich anfing, -- aus meiner
Sicht völlig sachlich --, auf eine meiner Inkompetenzen zu verweisen, fingen Leute mich
plötzlich an zu verteidigen. Es stimme gar nicht, oder ich könne dafür dieses und jenes, und
vor allem: Ich solle mich nicht so runtermachen. Ich bekam dafür sogar den
Vorwurf, ich würde fishing for compliments machen.
Und beides ist kein verwunderliches Phänomen:
Zum einen gibt es das Phänomen sehr häufig, dass Menschen sich präventiv als dumm
bezeichnen, damit andere es nicht tun. Das erwähnte ich weiter oben schon
einmal, und möchte es hier, weiter ausführen. Es kommt häufig vor, dass, wenn eine Person
etwas erklärt, und eine andere zuhört und ein drittes Mal nachfragen muss, sie dazu
sagt "vielleicht bin ich auch einfach nur dumm". Ein häufiger Grund ist, dass
dadurch tatsächlich die Wahrscheinlichkeit verringert wird, dass der Vorwurf von
der anderen Seite kommt. Denn "ja bist du", passiert als Reaktion eher selten. Dagegen
irgendein Spruch wie "Sag mal, wie hast du Abschluss xy geschafft?", wenn diese
präventive Selbstbewertung nicht passiert wäre, ist
sicher vielen von uns schon passiert, und manchen sehr sehr häufig. Besonders wieder bei
ungewöhnlichen Denkverhaltensweisen wie bei Neurodiversität, wenn es zum
Beispiel an Rechen- oder Lesekompetenzen fehlt, während aber analytische
Strukturen keine Probleme darstellen, oder andere aus der Norm fallende Kombinationen.
Diese Reaktion passiert so häufig, dass manche die Verletzung wahrnehmen, die eine Person
erlebt haben muss, damit es zu so einer selbst schützenden Aussage kommt. Und dann
wird versucht, aufzubauen, und abzustreiten, dass das zutrifft. Viele Menschen, die
so etwas sagen, fühlen sich nämlich tatsächlich dumm, und schlecht deswegen.
(Und wieder mag ich Anmerken, dass ein Aufbauen, das zur Grundlage hat, die angegriffenen
geistigen Fähigkeiten zu verteidigen, indirekt beinhaltet, dass es schlecht wäre, keine/wenige
zu haben! Das Problem ist die Bewertung von geistigen Fähigkeiten in einer Weise, die
den Menschen selbst in Kategorien wie gut oder schlecht sortiert, oder in
mehr oder weniger wert.)
Manche Leute sagen, dass sie dumm wären, wenn sie sich
gerade so fühlen, und wünschen sich dann aufgebaut zu werden. Das wird gelegentlich als
Fishing for Compliments eingeordnet. Aber um Hilfe und Aufbauen zu bitten ist
erst einmal in Ordnung. Manchmal passiert das relativ indirekt, weil die
Betroffenen nicht genau wissen, was eigentlich los ist.
Randanmerkung: Ohne Einverständnis eingefordertes Aufbauen wiederum ist nicht
in Ordnung. Aber das ist ein anderes, höchstens verwandtes Thema. Und wenn das
das Problem ist, ist der Fishing For Compliments-Vorwurf ebenso unbeholfen, wie
die Aufforderung für das Aufbauen. Wenn es für Selbstschutz nötig ist, aber vielleicht
besser als gar nicht. Wie gesagt, ein anderes Thema...
"Du hast nicht Abi gemacht, um am Ende bei Aldi an der Kasse zu sitzen"
Diesen Spruch habe nicht nur ich beim Aufwachsen gehört. Und erst einmal: nein. Ich
hatte das Privileg, Abi zu machen, weil es mir Spaß gemacht hat. Das ist in unserer
Gesellschaft wirklich ein sehr krasses Privileg, würde ich sagen. So viele haben
dabei gelitten. Ich auch, aber nur der sozialen Interaktion wegen, nicht weil
ich inhaltlich gelangweilt, überfordert oder unterfordert gewesen wäre. So
viele machen es für etwas, für eine Zukunft, nicht für die
Sache.
Ein Herzmensch hat kein Abi gemacht. Ihre Stiefmutter hat für sie entschieden, dass
sie besser an der Kasse sitzen möge, und sie deshalb trotz Gymnasialempfehlung nicht
zum Gymnasium geschickt. Ich frage mich, wie sich dieser Spruch für sie anfühlt, wenn
er etwa in ihrer Gegenwart mir gegenüber gemacht worden wäre, weil ich irgendwann mal darüber nachgedacht
hatte, mein Studium abzubrechen und dann nicht etwas anderes zu studieren. Denn, es
ist so eine derbe Abwertung, dessen, was sie gemacht hat. Die Menge solcher
Sprüche ordnet aber auch ein, dass diese Entscheidung über sie sie als wenig
wert beurteilt hat.
Diese Aussage wertet eine absolut wichtige Arbeit und vor allem die Menschen, die sie
ausführen, extrem ab. Es sagt quasi aus, dass
ich zu viel wert wäre, um an der Kasse zu arbeiten. "Perlen vor die Säue". (Ich schäme
mich so für eine Gesellschaft, die diese Redewenung aktiv in Gebrauch hat). Dass Arbeit an der Kasse
keine zu würdigende Arbeit ist. Wer an der Kasse sitze, müsse nichts können.
Randbemerkung: Das stimmt überhaupt nicht. Ich habe einige im Umfeld, die es aufgrund
verschiedener Behinderungen oder Einschränkungen, die nicht als solche
eingeordnet werden, nicht können. Und es ist kein "nicht einmal das können", sondern
ein "genau dies nicht können". Aber ich kann mir gut vorstellen, dass einige denken, dass, wenn
eine Person "nicht einmal" an der Kasse arbeiten kann, dass sie dann auch viel
"schwierigere" Dinge nicht könne.
Zurück zum Punkt: Der Wert von Arbeit und der Personen dahinter wird darin bemessen, wieviel du da hinein
geistige Fähigkeiten involvierst. Wenn du promoviert hast, bist du in den Augen der
Gesellschaft mehr wert, und verdienst deswegen auch mehr (sowohl Respekt, als auch
Einkommen), als eine Reinigungskraft, oder
eben eine Person an der Kasse. Denn im Gegensatz zu jenen hast du ja wesentliche Teile
deines Lebens damit verbracht, da überhaupt hinzukommen. Dass du auch in der Zeit
schon mehr Respekt von der Gesellschaft erfahren hast, ist nicht relevant in der
Argumentation. Vielleicht hast du auf dem Weg schon sehr wenig Respekt und viel
Abwertung erlebt, weil du es nicht so leicht hattest, wie andere, weil dir Dinge
nicht so leicht zufielen. Und dann trittst du, oder andere für dich, nach unten.
Während zwar auf der einen Seite diese Aufwertungsargumentation existiert, dass du
dir den Weg hart erarbeitet hast, also du mehr Einbußen hattest als zum Beispiel
eine Reinigungskraft, und deshalb nun im Nachhinein mehr Respekt verdienst, wird auf der
anderen Seite allgemein unterstellt, dass man keine
Erfüllung finde, wenn man seine geistigen Fähigkeiten nicht voll nutze. Sprich: Weil ich mit Abi in der
Lage sein werde, irgendwas geistig Anspruchsvolles wie Studieren zu können, ist es
für viele unvorstellbar, dass ich glücklich werden könne, wenn ich mir eine
Arbeit aussuchte, bei der ich geistig nicht (auf stereotype Art) herausgefordert
würde.
Aber das ist meine Entscheidung! Hoffe ich. Durch
all diese Abwertung von Arbeit, die sogar oft "niedere Arbeit" genannt wird, bin
ich mir tatsächlich nicht sicher, ob ich nicht genauso glücklich wäre, wenn ich
einen Job machen würde, den ich für unglaublich wichtig halten würde, der mich
aber in ganz anderer Art fordert. Vielleicht würde das ganze auch mehr
Spaß machen, wenn es angemessen entlohnt und gewürdigt würde, wenn die Personen
stolz sein könnten, und wir als Gesellschaft nicht an jeder Ecke diese
Möglichkeit des Stolzes verwehren, dadurch, dass wir einen Wert fast ausschließlich
Jobs beimessen, die geistige Fähigkeiten in wirtschaftlich oder akademisch vorteilhafter Weise
fordern. Wenn den durch ihre geistigen Fähigkeiten privilegierten Menschen bei
ihrem Werdegang nicht auch noch mit gängigen ableistischen Redewendungen wie "Ab der neunten Klasse
trennt sich die Spreu vom Weizen" zugesichert würde, dass sie der Weizen wären.
"Hört auf, Dumme berühmt zu machen"
Den Spruch las ich kürzlich im Avatar eines neuen Followers. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der
Person die Problematik des Spruches nicht bewusst ist. Ich hätte fast gesagt, dass ich
mir sicher wäre, das die Person damit etwas anderes meint, aber das stimmt schon nicht mehr. Also, was
genau ist damit gemeint?
Auf der einen Seite mögen wir an Menschen in der Politik denken, rassistische, sexistische, irgendwas anderes
-istische, ignorante Personen. Personen, die Kriesen leugnen, etc..
Erst einmal klare Ansage: Rassismus, Sexismus, etc ist keine Folge daraus, dass Menschen
dumm wären! Es gibt sehr viele, sehr intelligente Menschen, die all dies sind. Tatsächlich wurde
ich bislang von jenen eher diskriminiert, aber das kann auch daran liegen, in welchen Umfeldern
ich eher unterwegs bin. Die Person, die mich aus meinem Job gemobbt und zu zwei Jahren
Arbeitsunfähigkeit ausschlaggebend beigetragen hat, war ein Professor an einer Uni. Das sexistischste Umfeld, das
ich kenne, stellen bestimmte Hackspaces dar, mit lauter Menschen, die auf ihre Intelligenz
wert legen. Menschen, die das "intelligent beleidigen" erfunden haben. Dabei wird eine Beleidigung so
elitär ausgedrückt, dass die "Dummen" nicht mehr verstehen, dass sie beleidigt worden sind. Das finden
sie witzig und sie fühlen sich dadurch gut, dass sie schlauer sind. (Es
gibt auch Hackspaces, in denen ich mich unglaublich aufgehoben fühle, und in denen ich sagen kann, wenn
ich denke, dass gerade internalisierte Diskriminierung passiert. Räume, in denen ich gerade neulich
ein interessantes Gespräch über Sanismus hatte...)
Andersherum gibt es keinerlei Beweis, und für mich auch nichts was nahe legt, dass weniger Bildung
oder weniger Intelligenz zu mehr Sexismus oder mehr Rassismus oder anderen -ismen führen würde. Und
selbst, wenn es diesen Zusammenhang gäbe, wer wären wir, wenn wir Menschen verdrängen würden, wenn
sie Eigenschaft A haben, nur weil A oft (und sicher nicht immer!) B implizierte. Einfach nur
hypothetisch. Das nennt sich Diskriminierung. Ein hilfreicher Artikel
hierzu: "Warum Nazis nicht dumm sind".
Um den Bogen zurückzuschlagen: Wir mögen an Personen in der Politik denken, die rassistisch, sexistisch, anderes
-istisch oder ignorant sind. Wir mögen denken, dass die gemeint sind, wenn Menschen sagen, wir sollen aufhören, Dumme
berühmt zu machen. Aber das spiegelt leider überhaupt nicht die volle Meinung wieder, die ich um mich
herum und in der Gesellschaft wahrnehme. Und deshalb ist es sehr schlecht, diese
Formulierung zu verwenden. Nicht nur, weil es ohnehin immer eine schlechte Idee ist, einen Begriff
wie "behindert", "schwul" oder "Schlampe", oder eben auch "dumm" abwertend zu verwenden, während
es jeweils eine Bedeutung des Begriffs gibt, die eine wünschenswerter Weise neutrale Beschreibung einer marginalisierten
Gruppe darstellt. Sondern in diesem Falle eben auch, weil es zu einer sehr drastischen Vermischung des
Verständnisses bei der Mehrheit kommt:
Es geht vielen nämlich auch darum, dass Menschen keine
Plattform für Entscheidungen gegeben werden sollte, wenn sie nicht ausreichend intelligent wären, oder
nicht auf allen Ebenen gebildet. Das geht soweit, dass Menschen entmündigt werden, und über ihr
Leben bestimmt wird, selbst, wenn Menschen sehr wohl in der Lage sind, darüber selbstbestimmt
zu entscheiden.
Dass eine Person kompetent genug für Entscheidungen sein
sollte, wenn sie viele betreffen, ist sinnvoll, denke ich. Aber manchmal sind es Betroffene, die diese
Kompetenz haben. Manchmal sind es Menschen, die zwar keine hohe Auffassungsgabe haben und lange
brauchen, die sich aber entsprechend sehr lange mit etwas befassen und gerade durch ihren Blickwinkel
mehr Erklärungen hervorrufen, dadurch zu mehr Aufklärung beitragen
und mehr Nachvollziehbarkeit bewirken können. Ich persönlich wünsche mir Diversität
und Repräsentation unter berühmten Menschen, also zum Beispiel in Medien, Filmen, Büchern. Und
dazu gehören ganz wichtig auch Menschen aus allen
Bildungsschichten und mit verschiedenen kognitiven Fähigkeiten (Und zwar nicht in der Rolle krimineller
Randcharaktere). Ich möchte gern Sichtbarkeit. Ich möchte
gern, dass Entscheidungen nicht nur über einen Großteil der Menschen getroffen werden, sondern auch
von den Menschen. Und besonders bei marginalisierten Minderheiten möchte ich, dass sie über
sich selbst bestimmen können und nicht über sie bestimmt wird, was gut für sie wäre.
"Glaubst du es nur, oder weißt du es?"
In manchen Diskussionen zum Thema, in die Lehrpersonen involviert sind, höre ich nicht selten: "Viele
der Studierenden/Lernenden sind so unsicher, dass sie als Antwort sagen, 'ich glaube, fünf'. Ich frage
dann immer 'glaubst du oder weißt du?'."
Das ist allein ein Aufhänger für eine Diskussion, finde ich, und führe mal meine Gedanken aus. Auf
der einen Seite wird hier richtig erkannt, dass viele Lernende verunsichert sind, und Angst haben, für
falsche Antworten bestraft zu werden. Natürlich nicht mit dem Rohrstock. Obwohl... als ich zur
Schule ging, war da eine Lehrkraft, die meinen Mitschüler hat einmal um alle im Klassenraum laufen lassen, weil
er ein Wort nicht deklinieren konnte, damit er in Ruhe nachdenken könne, und alle
haben gelacht. Ich glaube, das ist schon eine üble Strafe. Das glaubte ich auch damals, und bin mit ihm
zur Schulleitung gegangen. Die Geschichte hatte ein brauchbar verträgliches Ende. Die Lehrkraft hat
uns bald nicht mehr unterrichtet. Das ist nicht immer so, und
ich höre, auch heute passiert immer noch so etwas. Die Angst kommt also nicht von ungefähr. Die Angst ist noch
einmal schlimmer für Menschen, die zu marginalisierten Gruppen gehören. Eingewanderte Mitlernende
wurden für so manchen Grammatikfehler von meiner Deutschlehrkraft öffentlich vorgeführt und
verbal schikaniert. Das löst Angst aus.
Aber etwas Harmloseres, was auch Angst auslöst: Trickfragen. Es gibt diese
Situationen, in denen eine Aufgabe mit einer Falle gestellt wird, in die Leute rennen. Und deshalb
sagen sie womöglich am Ende, sie glaubten, die Antwort wäre so oder so, statt sich sicher zu sein. Und zwar, weil
sie sich tatsächlich nicht sicher sind! Und das ist in Ordnung. Denn diese Trickfragen kommen in der
Wissenschaft quasi tatsächlich real vor. Es ist völlig in Ordnung, sich nicht in kurzer Zeit sicher zu sein, ob man vielleicht
nicht alle Voraussetzungen gesehen hat, oder etwas übersehen hat. Dazu prüfen wir uns in der
Wissenschaft gegenseitig.
Leider wird aber in der Kommunikation erwartet, dass wir klare und eindeutige Aussagen ohne
Unsicherheiten machen, und das sehr schnell. Aber statt in die Wissenschaft einzutauchen, gebe ich hier
ein anderes Bespiel: Medizinisches Fachpersonal. Mir persönlich ist medizinisches Fachpersonal lieb, dass
sich meine Symptome anhört, und dann nicht unbedingt gleich eine Antwort hat, sondern eventuell
recherchieren muss und sie erst beim nächsten Mal hat. Das wird allerdings als inkompetentes
Verhalten ausgelegt. Ich bin nicht sicher, ob dies das Problem ist, das zur Folge hatte, dass
viele Menschen in meinem Umfeld, mich eingeschlossen, viele voreilige, falsche Diagnosen erhalten
haben, sobald ein Problem etwas seltener war. Bestimmt spielt da viel mit hinein.
Dennoch: Unsicherheit ist kein Kriterium für mangelnde Kompetenz. Menschen dafür abzuwerten, dass
sie sich unsicher sind, führt ebenfalls dazu, dass sie sich nicht mehr trauen, etwas zu
sagen. Wir schließen auch durch dieses Verhalten Menschen aus Diskussionen aus.
"Sie ist zwar dumm, aber wenigstens schön."
Als ein letztes Beispiel möchte ich hier die Beleidigung analysieren: "Sie ist zwar dumm, aber wenigstens schön."
Ich habe diesen Spruch unzählige Male vor allem zu Film- oder Buchcharakteren gehört, aber auch gegenüber
Menschen in meinem Jahrgang, vor allem modebewussten oder sich schminkenden Personen. Gegebenenfalls
auch gegenüber Menschen mit anderen Pronomina, wie dem Prinzen aus Shrek. Er wird als Schönling bezeichnet
und diese Bezeichnung beinhaltet quasi schon jenen Spruch als Bedeutung.
Diese Beleidigung fasst diesen Absatz
ganz gut zusammen, aber von der anderen Seite: Eigentlich ist hier gemeint, dass die Person so dumm wäre, dass
sie als Ausgleich eine Eigenschaft braucht, die sie aufwertet. Allerdings ist hier das Schönsein nicht
einmal aufwertend gemeint. Es ist hier nicht eine positive Eigenschaft, schön zu sein. Die meisten Menschen
mögen hier interpretieren, dass die wertvollere Eigenschaft definitiv wäre, nicht dumm zu sein. Aber
warum eigentlich? Warum sind nicht beide Eigenschaften neutral?
Fazit
Insegamt wird andere Art von Denk- oder Ausdrucksweise eben viel als Dummheit einsortiert und abgewertet und
Menschen werden dafür diskriminiert. Das führt zu einer Menge schlimmen, bleibenden Schäden. Es führt dazu, dass wir
uns nicht mehr in öffentliche Räume trauen. Dass wir uns nicht trauen, etwas zu sagen. Dass wir uns nicht trauen
Kunst zu produzieren. Letzteres traue ich mich. Ich bin nicht so arg schlimm betroffen. Aber ich kenne viele, für
die das deshalb nicht geht. Dass sich viele durch diese Abwertungen nicht mehr (zu)trauen, Kunst
zu produzieren, ist vor allem deshalb schade, weil wir Diversität sehen sollten, und auf
diese Weise eine Menge Stimmen für Diversität im Keim ersticken.
Ich traue mich zunehmend, Dinge zu sagen. Aber es braucht eine Menge Mut, und eine Menge Support, dass
ich mich traue, so einen Artikel zu schreiben. Ich habe viel Angst, das zu tun. Dass mir dann
Leute anfangen zu erklären, warum sie trotzdem "dumm" schreiben, oder ob "blöd" okay wäre. Und
auf dem Weg dabei verletzend werden. Denn das passiert eben sehr sehr viel. Danke an dieser
Stelle an alle, die mir den Mut geben, daran zu glauben, dass okay ist, wie ich bin.
An dem Punkt, dass ich mich ohne Begleitung einfach in öffentliche Räume traue, vor allem, wenn ich nicht
gerade einen wirklich guten Tag habe, bin ich noch nicht.
Neugierige Frage an euch selbst: Hättet ihr vor dem Artikel gedacht, dass eine Person, die schlau aber
hässlich wäre, euch lieber wäre, ihr sie irgendwie geartet besser fändet, als eine Person, die zwar
dumm, aber schön wäre? Hat sich das nun geändert? Und falls nicht, glaubt ihr daran, dass das persönlicher
Geschmack wäre und nichts mit der Analogie zu Schönheitsidealen in kognitiven Fähigkeiten zu tun hätte?
Sanism sehe ich jeden Tag und überall. Sanism ist so tief verwurzelt, dass wir alle mit
viel Aufwand daran arbeiten müssen, diese Probleme an uns selbst und in der Gesellschaft zu
erkennen und an ihnen zu arbeiten. Und das am Ende, ohne uns dafür niederzumachen.
Fortführende Links
- Ein Twitter-Thead zu Eugenik, wissenschaftlichem Rassismus und dem Begriff sapiosexuell von @Needs2GoOutMore.
- Ein Artikel von Iris Leander Villiam, "Über Intelligenz reden", der ähnliches abdeckt, wie dieser Artikel und manches noch besser auf den Punkt bringt.
- Ein weiterer Artikel von Iris Leander Villiam, "Probleme und Intelligenz", der über typische Probleme, Abwertungen und schlechten Umgang mit Menschen mit sowohl niedriger, als auch hoher Intelligenz spricht.