Woher weißt du, dass du nicht-binär bist
Content Notes: Nacktheit, Geschlechtsangleichende OP, Misgendern, Dysphorie, Genitalien, Transfeindlichkeit, Erwähnung von Rasiertechniken (nichts mit SVV)
Anmerkung: TL;DR steht für "too long; did not read". Dahinter steht jeweils eine Kurzzusammenfassung des Absatzes.
Worum geht es?
TL;DR: In diesem Artikel geht es darum, woher ich persönlich weiß, dass ich nicht-binär bin, ohne dabei zu sagen, dass das für andere genau so sein muss.Dies wird ein sehr persönlicher Artikel. Hier geht es hauptsächlich um mich und ein bisschen um meine Ideen. Bitte macht nicht aus einem "Diese Person erlebt trans nicht-binär sein so" ein "Alle trans nicht-binären Menschen erleben das so", oder aus einem "Diese Person beschreibt hier diese revolutionäre Idee" ein "Diese revolutionäre Idee beschreibt ein perfektes Modell, das ich jetzt immer referenzieren werde".
Häufig, in privaten Gesprächen, in denen ich erkläre, dass ich nicht-binär
bin (und gegebenenfalls, dass "weiblich gelesen" kein Label oder
Überbegriff ist, unter den ich mich zählen will, sondern für mich und die meisten nicht weiblichen
trans Menschen einen Diskriminierungszusammenhang beschreibt), werde ich gefragt, woher ich das
eigentlich weiß oder was es bedeutet. Nicht selten ist sogar ein Hintergrund
der Frage, herauszufinden, ob die Person, die das
fragt, vielleicht auch nicht-binär sein könnte. Tatsächlich
kann ich mir gut vorstellen, dass es eine große Dunkelziffer nicht-binärer
Menschen gibt, die vor allem deshalb mehr oder weniger halbherzig denken, dass
sie ein binäres Geschlecht hätten, weil der Glaube daran ihnen von klein
auf von allen Seiten laut und gewaltvoll anerzogen worden ist.
In diesem Artikel geht es also vorwiegend darum, woher ich weiß, dass ich
nicht-binär bin, und woher ich es nicht weiß.
Kurz zu Modellen
TL;DR: Die üblichen Modelle, die Menschen von Geschlechtern haben - normalerweise binäre, reichen nicht aus. Wir sollten unvoreingenommender daran herangehen und Leuten nichts absprechen, nur weil es nicht zu dem passt, was wir bisher kennen.
Die Gefahr dies so zu schreiben, ist, dass viele dieser Menschen halbwegs
gut damit zurecht kommen, dass ihnen ein binäres Geschlecht zugeordnet
wird. Der Umstand wird wieder häufig auf andere Menschen übertragen und
ihnen auf dieser Basis ihr Leidensdruck abgesprochen.
Viele haben zwar ein weniger binäres Geschlechtsempfinden, zum
Beispiel kein Geschlechtsempfinden (agender), aber es
stellt für sie kein großes Unwohlsein dar, einem
binären Geschlecht zugeordnet zu werden. Für mich und viele andere ist
jenes aber da (auch bei Personen, die agender sind). Und beides kann nebeneinander sein, ohne dass es sich
widerspricht. Geschlecht ist ein Spektrum und etwas, was wir noch
nicht ganz genau verstanden haben, weil wir nicht hinsehen oder nicht
zuhören, weil wir so fixiert auf Modelle sind, die aber vorne und hinten
nicht ausreichen - und dazwischen und darum herum auch nicht.
Halten wir also fest: Manche wissen nicht, ob sie aus diesen Modellen
fallen; manche fallen aus diesen Modellen, es stellt aber für sie keinen großen
Leidensdruck dar, wenn andere sie in diese Modelle einordnen; und für manche
auf diesem Spektrum sind die Modelle sehr schmerzhaft. Besonders die
daraus resultierende Diskriminierung, wie, wann etwa eine Geschlechtsangleichende
OP erlaubt ist, was dafür für Hürden durchlaufen werden müssen, oder
auch der ständige sprachliche Ausschluss. Für mich spricht
daher viel dafür, diese Modelle sehr zu überarbeiten oder erst einmal tatsächlich
fallen zu lassen. Und vor allem, denke ich, ist eins wichtig, nämlich sie als unperfekte Modelle
ansehen. Jederzeit bereit sein, anzuerkennen, dass eine Person nicht vom
Modell abgedeckt wird.
Abgrenzung: Gender-non-conforming
TL;DR: Für mich persönlich hat, dass ich oft gender-non-conforming bin, wenig oder nichts damit zu tun, dass ich nicht-binär bin. Quasi im Gegenteil: Dadurch, dass ich nicht-binär bin, ist für mich das Tragen von Röcken/Kleidern gender-non-conforming. Aber die Welt ist weit entfernt von diesem Gedankenschritt.
Gender-non-conforming ist etwas anderes für mich. Gender-non-conforming
bedeutet, dass man in der Gender Expression etwas tut, das den
Normvorstellungen des Ausdrucks für das jeweilige Geschlecht widerspricht. (Es
gibt auch Quellen die den Begriff etwas anders auslegen.) Wenn zum
Beispiel mein männlicher Herzmensch einen Rock trägt, wäre das
gender-non-conforming, weil es Männern gesellschaftlich quasi nicht erlaubt
ist, Röcke zu tragen. Wenn ich Röcke oder Kleider trage, dann fühlt
sich das für mich gender-non-conforming an. Schließlich kommt dann
regelmäßig diese beschissene Frage "Ich denke, du bist keine Frau, wieso
trägst du dann einen Rock/ein Kleid?"
Weil ich es manchmal mag, deshalb. Aber es fühlt sich gender-non-conforming
an, eben weil ich trans nicht-binär bin, vielleicht sogar trans maskulin. Die
wenigsten verstehen das. Das ist der Hauptgrund, warum ich selten Kleider
oder Röcke trage. Nicht, weil es gender-non-conforming wäre, oder es
Dysphorie auslösen würde, sondern weil die Leute dann in mir noch mehr
eine Frau sehen würden, mit mir streiten, ob ich denn wirklich richtig
trans wäre und es nicht als einen gender-non-conforming Stil einer
nicht-binären oder trans maskulinen Person sehen. Das geht dann wohl
einen Schritt zu weit...
Hier vielleicht noch einmal extra betont: Manche trans Menschen erleben
Dysphorie durch Kleidunsstil, der gesellschaftlich als nicht zu
ihrem Geschlecht passend gelesen wird. Obwohl ich manchmal
Kleider und Röcke trage, bin ich davon nicht ausgenommen. Daran ist nichts falsch oder
verkehrt. Es ist ein komplexes Thema und Menschen sind verschieden. Ich
meide auch manche gender-non-conforming Ausdrucksweisen, wie etwa
über das Kaufen von Schuhen zu reden. Ich neige dazu, bewusst möglichst
wenige Schuhe zu haben, und unter anderem ist dafür ein Grund, dass Leute
mich dann mit Sexismus bewerfen, der als trans Person, die dadurch
auch noch misgendert wird, noch einmal mehr bedeutet, als einfach
nur Sexismus. Aber auch hier zähle ich das Dysphoriegefühl durch
das Misgendern als ein Zeichen dafür, trans nicht-binär zu sein, und
nicht das Meiden des Schuhthemas. Dass ich es meide, ist eine direkte
Folge aus der Diskriminierung, und ich wünschte, mir könnte das
einfach egal sein.
Abgrenzung: Körperdysphorie
TL;DR: Für mich muss meine Körperdysphorie - ich empfinde meine nicht flachen Brüste als unangenehme Fremdkörper -, nicht bedeuten, dass ich trans nicht-binär oder trans maskulin wäre. Es bedeutet für mich schon, dass ich trans bin, aber es sagt für mich nichts über die Geschlechtsidentität aus, die ich habe. Das ist ein bisschen komplex.
Ob ich Körperdysphorie als Ganzes als Zeichen dafür sehen würde, dass
ich trans nicht-binär bin, weiß ich nicht genau - eher nicht. Dafür, dass
ich trans bin, schon, aber ich würde daraus nicht auf eine Bezeichnung
für meine Geschlechtsidentität zurückschließen. Die Körperdysphorie sagt
für mich nichts darüber aus, welche mehr oder wenige bestimmte Geschlechtsidentität
das ist. Und doch bedeutet die Körperdysphorie für mich eindeutig, dass
ich trans bin. Nur betrachte ich dieses trans Sein auf einer anderen Ebene
als das trans nicht-binär Sein und sehe die zwei Aspekte als möglicherweise
unabhängig an. Sie können zusammenhängen, müssen aber nicht, ich weiß
es nicht. Das ist ein schwieriges Thema.
Sicher ist: Schon als Kind fühlte sich die Vorstellung, dass mir
Brüste wachsen würden, falsch an. Das habe ich kommuniziert. Eine mir nahestehende Person
meinte, da würde ich mich dran gewöhnen, wenn sie ausgewachsen sind. Die Person
erzählte mir außerdem was von hängenden Brüsten und Brüsten, die eher
stehen würden. Ich kannte im Wesentlichen hängende Brüste und stellte mir
vor, wie diese ganze Körpermasse abstehen würde. Ich wünschte mir also, dass
ich eher hängende Brüste bekommen würde, aber am liebsten hätte meine Brust
einfach flach bleiben sollen. Ich mochte den Prozess nicht, ich mochte nicht, was
herauskam, noch nie, es fühlte sich immer falsch an. Es war unmittelbar der Moment, an
dem ich anfing, mich nicht mehr im ganzen Körper wohl zu fühlen und eine
Verbindung dazu zu haben. Es ist bis heute so, dass ich, auch wenn mein
Körper nicht normschön ist, ein angenehmes Körpergefühl habe, mich
regelmäßig mit meinem Körper verbunden fühle, außer mit den Brüsten, die
ich als Fremdkörper empfinde.
Es geht darüber sogar noch hinaus. Es ist wie ein falsches Körperempfinden. Wenn
ich meine Brüste anfasse, fühle ich mehr in den Fingern, als in der Brust, wenn
andere sie anfassen, fühle ich fast nichts. Ich
habe mich mal gefragt, ob das eine Abneigung ist, in den Brüsten zu fühlen, und
habe versucht, mich da genauer hineinzufühlen. Aber sie fühlen sich einfach
an wie Fremdkörper.
Ich finde sie nicht hässlich. Wenn ich sie im Spiegel sehe und
mir vorstelle, dass es nicht mein Körper wäre, den ich da sehe, gefallen
sie mir sogar. Aber an mir sind sie nicht richtig.
Um Menschen ohne Körperdysphorie ein Gefühl davon zu geben, wie es sich
für mich psychisch anfühlt, habe ich folgende Metapher entwickelt: Stell
dir vor, dir wären Brüste auf dem Rücken gewachsen, einfach
so. In meiner Vorstellung ist dieses Gefühl ähnlich. Die gehören da eben
einfach nicht hin. Manchen Menschen hilft die Vorstellung, andere
haben Probleme, sich etwas vorzustellen, was nicht ist, und ich
habe sogar ein paar Menschen erlebt, die meinen, sie könnten sich
das als etwas Gutes vorstellen. Aber vielleicht hilft es einigen
trotzdem.
Die Sache ist die, dass ich auch von vielen dya cis Frauen gehört habe, dass
sie ihre Brüste nicht leiden können. Manche, weil an ihnen irgendetwas nicht
den Wunschvorstellungen entspricht (das meine ich nicht
als Abwertung!), manche auch, weil sie sich
insgesamt einfach nicht gut anfühlen. Sie stören beim Rennen, beim Sport und
so weiter. Ich bin niemand, der anderen Menschen ihre Gefühle abspricht. Ich
kann nicht beurteilen, ob sich meine Dysphorie, die 24/7 permanent einfach
da ist und unangenehm ist, wirklich schlimmer ist, als was dya cis Frauen
empfinden, die davon erzählen.
Kommen wir zu ein paar weiter gedachten Überlegungen:
- Nicht jede trans Person, nicht einmal jede binäre trans Person, hat Körperdysphorie.
- Es gibt zum Beispiel Frauen, die ihren Penis mögen (Ich kenne sogar eine demiweibliche Person persönlich, die ihren Penis sehr mag, während sie zugleich eine Hormontherapie macht, damit ihre Brüste (weiter)wachsen. Das ist nicht unmöglich und es ist ein krasser Leidensdruck und fieser Weg dorthin gewesen. Einen, den man eben nicht zum Spaß geht, sondern nur wenn der Leidensdruck größer ist, als die Ladung Diskriminierung, die man auf dem Weg abbekommt. Weil einen die Dysphorie im Alltag und überall noch viel mehr einschränkt und kaputt macht.)
- Genitalien, Körperbau und Geschlechtsidentität müssen nicht zusammenhängen oder tun dies eventuell viel komplexer, als wir denken.
Schwierig herauszufinden in einer Zeit, die sich gegen so etwas voll sperren würde. Ich theoretisiere hier herum. Das sind vielleicht Gedanken, für die diese beschissene Welt eben noch nicht reif ist, oder ich übersehe etwas, und meine Überlegung ergibt auch so keinen Sinn. Die Welt ist ja nicht einmal reif für binäre trans Menschen oder für den Gedanken, dass man zum Beispiel als trans Mann nicht plötzlich Male Priviledge zurückgewinnt, weil als Beispiel magischer Weise die Diskriminierung der Sozialisierung durch die benannte Geschlechtsidentität verschwindet (hier steckt Sarkasmus drin. Ich muss das derzeit oft erwähnen, weil es dieses entsetzliche Gate Keeping von Männern, die kein Male Priviledge haben, oder Personen, die "nicht Frau genug" sind, aus Förderungsgruppen gibt).
Mein Fazit an dieser Stelle ist: Nicht einmal meine Körperdysphorie werte ich als eindeutiges Zeichen dafür, trans nicht-binär zu sein. Was ich allerdings dafür werte, ist der Zusammenhang, dass ich es auch hasse, gewachsene Brüste zu haben, weil Leute beim ersten Treffen ihren Blick darüber schweifen lassen und anhand meiner Brüste mein Geschlecht ableiten. Eine interessante Beobachtung: Die meisten tun es einmal beim Kennenlernen, um es dann abzuspeichern. Wenn ich danach einen Binder trage, fällt es fast niemandem auf. Daher trage ich meistens einen Binder, wenn ich davon ausgehe, auf neue Leute zu treffen. Das hilft manchmal, aber als nicht-binär einordnen tun Leute einfach nicht.
Gerüche
TL;DR: Obwohl ich eigentlich lieber gar nicht nach etwas anderem als Körpergerüchen rieche, habe ich längere Zeit das Duschmittel meines Papas benutzt, weil ich mich dadurch vom Frausein losgelöst gefühlt habe. Es hat bei mir erste Gendereuphorie ausgelöst, dass es einer mir nahestehenden Person aufgefallen ist und das es mit Mannsein in Zusammenhang gebracht wurde.
Ich mochte am liebsten neutral riechen. Nach Mensch. Schweißgeruch fand ich
in gewissen Dimensionen echt okay und das ist immer noch so. Vielleicht
musste ich erst lernen, dass Schweißgerüche den meisten auch unangenehm sind und man
sie nicht nur aus hygienischen Gründen abwäscht, sondern auch, weil sie
stören. Wenn ich allerdings aus der Dusche kam, mochte ich am liebsten
neutral riechen, oder so wie vorher, nur weniger.
Ich würde das vielleicht eher in die Ecke Autismus einsortieren: Ich
fand diese verschiedenen Gerüche vielleicht verwirrend, Parfüm
teils unangenehm. Es waren unangenehme Reize, aber auch nicht furchtbar schlimm.
Allerdings habe ich beim Duschen dann doch durchaus intensiv riechendes
Duschzeug ausprobiert - das von meinem Vater. Einer mir nahestehenden Person fiel
das auf. Die Person informierte mich darüber, dass ich dadurch riechen
würde wie ein Mann und ich das deswegen besser lassen sollte. Es
wäre nicht unrealistisch gewesen, dass mir das gar nicht bewusst
gewesen wäre, weltfremd, wie ich vielleicht war. Es war mir
aber bewusst. Dass die Person das sagte, bestätigte mich
eher darin, dass ich das wollte. Und zwar nicht, weil ich den Geruch
an sich mochte - ich fand ihn auch nicht schlimm -, sondern weil
ich dann auf eine Weise roch, die sich loslöste von der Wahrnehmung
meiner Person als weiblich. Das war vielleicht ein erster
Gendereuphoriemoment.
Ich habe übrigens wieder aufgehört, es zu benutzen, weil ich
Angst vor den Bemerkungen und Diskussionen hatte, und dann doch
wieder angefangen, weil ich fand, dass das ein schlechter Grund war. Ich
glaube, ich habe es dann einfach seltener gemacht.
Oberteile ausziehen, auf Fahrräder aufsteigen und hohe Mittelstangen
TL;DR: Ich ziehe Oberteile aus, wie mir beigebracht wurde, dass Männer das angeblich tun, seit ich das erklärt bekommen habe. Es gibt mir ein Gefühl von Gendereuphorie aber auch ein Gefühl, Unsinn zu machen.
Ich habe meine Oberteile lange ausgezogen, indem ich erst beide Arme ausgezogen
habe und dann von innen das Oberteil. Eine Person in meinem engeren Umfeld erklärte mir dann, ich solle
nicht erst meine Arme durch die Ärmel ziehen, das würde Löcher unter den Axeln in
der Kleidung verursachen. Sie erklärte mir dann, wie man Oberteile auszog, und kurze
Zeit darauf, dass das die Art war, wie Frauen das machten. Ich ließ mir natürlich
auch erklären, wie das für Männer gedacht war. Ich fand die Regel Unsinn, wie fast
alle, die Geschlechter trennen. Das ist Sexismus. Ich finde so etwas unangenehm. Und
trotzdem habe ich die Variante genommen, die mir für Männer erklärt wurde, und zwar
genau weil sie für Männer erklärt worden ist. Es gab und gibt mir jedes Mal ein bisschen
Gendereuphorie, und zugleich das Gefühl, Unsinn zu machen, weil es ein sexistisches
Rezept ist. Ich habe diese Variante sogar genommen, obwohl es komplizierter ist, wenn
ich einen Hoodie ohne T-Shirt ausziehen will. Ich muss wegen viel Brust das T-Shirt
vorher in der Hose verklemmen, damit es nicht mitausgezogen wird. Ich tue es
trotzdem. Es ist albern, ich weiß.
Ähnlich hatte ich das Bedürfnis, deshalb auf Fahrräder zu steigen, wie Männer es
täten. Das mache ich nicht. Und es gibt mir oft zugleich ein bisschen Gefühl von
Dysphorie, besonders, wenn ich in einer Gruppe bin, die radfährt und sich
Geschlechter daran trennen ließen. Ich fühle mich dann so, als ob ich selbst dazu
beitrage, falsch gelesen zu werden. Und wieder hasse ich diese Regel einfach, weil
es Sexismus ist.
Ich wähle mir außerdem immer, wenn ich kann, ein Fahrrad mit Mittelstange. Ich
wurde dabei schon oft angesprochen, ob ich das wirklich wolle, von so vielen Seiten. In
diesem Fall ist es aber mehr als nur folgen von sexistischen Regeln um mehr
dem Bild zu entsprechen, das ich mir wünschte, das Leute von mir hätten. Ich
mag tatsächlich auch die Stabilität, die ein Fahrrad dadurch bekommt.
Haare
TL;DR: Teile meines Haarwuchses werden als typisch männlich empfunden. Das Bewusstsein dafür löst in mir ebenfalls Gendereuphorie aus.
Ein anderer Gendereuphoriemoment war, als mir Haare im Genitalbereich gewachsen waren, mich jemand
Vertrautes nackt ansah und mir mitteilte, dass die Linie der Haare zum
Bauchnabel eigentlich eher typisch männlicher Haarwuchs ist. Ich liebe
dieses Element meines Körpers deswegen. Alles, was mein Körper in
der Richtung macht. Zum Beispiel auch, dass ich ein bisschen Bartwuchs
habe. Er reicht leider nicht für ein männliches Passing aus (ein
Aussehen, das Leute "männlich lesen"), höchstens, wenn ich ihn färbe.
Überhaupt habe ich mir in meinem Leben, obwohl ich Bärte eigentlich gar
nicht mal mag, sehr viele Gedanken über das Ankleben von Bärten gemacht, schon
sehr früh. Das ist ein immer wiederkehrendes Element meiner Gedanken. Ich
besitze Bartkleber und Haare, die ich mir damit ins Gesicht kleben
würde, nur leider juckt das sehr und ist schwierig zu entfernen. Aber
manchmal mache ich das trotzdem. Wie gesagt, obwohl ich Bärte nicht
mag. Es geht dabei um ein Passing.
Mein Haupthaar habe ich lang, was von dem skeptischen Umfeld, das ich
leider auch habe, oft als Zeichen gelesen wird, dass ich keinesfalls
trans sein könnte. Während ich neben dem Umfeld aus Menschen stehe, die
auf Metal- und Hackfestivals gehen, überwiegend männlich sind und
überwiegend noch viel längere Haare haben als ich. Ich trage sie meistens
in einem schlichten Nackenzopf ohne auf viel zu achten. Ich mag lange
Haare einfach, und der einzige Grund, weshalb ich darüber nachdenke, sie
kurz zu schneiden, ist, dass mich dann Leute eher weniger weiblich lesen
würden. Aber irgendwo denke ich auch: Leute, kriegt euch mal ein! Ich hasse
diesen gesellschaftlichen Druck dazu, es deshalb zu tun. Bisher stehe
ich dagegen an.
Ich rasiere meinen Bart mit einem Klappmesser und Pinsel und so weiter. Während
es auch einfach so zu mir passt das zu tun, weil es ein bisschen nerdig
sein mag, weil dabei weniger Müll entsteht oder weil ich generell
scharfe Messer mag und eine Faszination dafür habe, fühlt es sich
auch aus einem ähnlichen Grund gut an, wie die Gendereuphorie bezüglich
der Gerüche aus dem letzten Absatz.
Schleifen
Ich habe als Kind gelernt, es gibt eine Mama-Schleife und eine Papa-Schleife. Ich wollte sehr sehr dringend die Papa-Schleife lernen, aus Geschlechtsgründen
Eine kleine Geschichte zu (cis-)Sexismus in meinem Leben
TL;DR: Sexismus habe ich lange nicht so richtig als ein Gesamtkomplex gesehen, sondern einzelne sexistische Sprüche als unzusammenhängend und verwirrend. Sexistische Sprüche dahingehend, dass ich nicht weiblich sein könne, haben ebenfalls manchmal Gendereuphorie ausgelöst.
Abgesehen von Kleinigkeiten, wie "dieser Geruch ist männlich, mach
das nicht", haben die mich mit prägenden Personen in meinem
direkten Umfeld tatsächlich grundsätzlich hinbekommen, mich
überwiegend nicht sexistisch großzuziehen. Die Geruchs-Geschichte war so einer der
ersten Momente, in denen ich gespürt habe, dass die oben erwähnte nahestehende Person
wirklich glaubte, ein Mädchen vor sich zu haben. Davor war ich im
Wesentlichen einfach ich. Ich habe sogar Kleider tragen können, ohne
dass sich das für mich geschlechtsbestimmend angefühlt hat. Das war schön.
Weiterhin habe ich Sexismus erst relativ spät wahrgenommen. Das heißt
nicht, dass ich vorher nicht die Willkür von Entscheidungen gesehen
hätte, die auf Basis von Sexismus passierten. Ich habe einfach
den Gesamtzusammenhang nicht gesehen. Ein "Wieso kannst du rechnen,
du bist doch ein Mädchen?" hätte für mich etwa die gleiche seltsame
verwirrende Bedeutung gehabt, wie "Wieso kannst du schwimmen, du hast
doch blaue Augen?". Es war einfach sehr random, bis ich das Gesamtbild
gesehen habe. Und als ich es gesehen habe, war Sexismus in dem
Sinne, dass mir mitgeteilt wurde, ich würde bestimmten weiblichen
Stereotypen nicht entsprechen, für mich lange eher Bestätigung dafür, dass
ich nun einmal nicht weiblich war. Erst später habe ich mich gegen
den Sexismus eingesetzt, der auf mich zugemünzt war, und es ist
bis heute extra mies, weil ich durch das Aufstehen gegen Sexismus
die Wahrnehmung meiner Person als weiblich begünstige, also selbst
eine falsche Wahrnehmung meiner Identität untermauere. Weil das Bild
einer feministischen, trans nicht-binären oder trans maskulinen
Person oder eines feministischen trans Mannes so überhaupt nicht in
die Köpfe der Menschen geht, schon gar nicht, wenn sie mit ihrem
Sexismus noch nicht im Geringsten aufgeräumt haben.
Kleidungsstil
TL;DR: Meinen Kleidungsstil habe ich meiner Gender Expression (neutral) wegen so ausgesucht und nicht, weil er gut zu meinem Körper gepasst hätte. Ich habe mich dabei gegen Leute durchgesetzt, die mir etwas anderes eindringlich rieten.
Ich habe gerade geschnittene T-Shirts getragen, seit ich denken kann. Als
meine Fremdkörper zu wachsen anfingen, versuchte eine mir nahestehende Person mir
nahezulegen, taillierte T-Shirts zu tragen. Ich glaube, die Person hatte
Angst, dass ich ausgegrenzt werde, wenn mein Kleidungsstil auffiele. Vielleicht
gab es viele komplexe Gründe.
Jedenfalls habe ich mich in taillierten T-Shirts unwohl gefühlt - außer in
einem. Was das besondere an diesem einen war, weiß ich nicht. Ich habe mich
eigentlich in allen T-Shirts unwohl gefühlt. Ich wollte gern die gerade geschnittenen
tragen, aber ich hätte mir gewünscht, dass sie nicht so einen schrägen
Winkel bis zu meinen Brustwarzen oder so machten und dann herabfielen. Ich
wollte, dass mein Körper für sie gemacht wäre.
Ich habe einfach weiter gerade geschnittene T-Shirts getragen. Mein
Leben lang, bis heute. Und heute, wenn ich einen Binder darunter trage, fühle
ich mich manchmal sogar ein bisschen wohl, obwohl ich darin schlechter
atmen kann und irgendwann davon Kopfschmerzen bekomme.
Warum zähle ich das nicht unter gender-non-conforming? Weil es sich so anfühlte, als würde es zu mir gehören. Weil ich es nicht mochte, in den Kleidungsläden in die Damenabteilung zu gehen. Ich fühlte mich dort fehl am Platz. Es ist nicht nur, dass Kleidung für männliche Menschen durchschnittlich viel praktischer ist, als Kleidung für weibliche. Das stimmt auch. Aber die ganze Trennung fühlte sich für mich falsch an. Übrigens auch nicht nur beim Kleidung Kaufen. Auch bei Umkleiden, Toilletten, Sportunterricht, whatever. Wo immer Geschlechter getrennt wurden, fühlte ich mich unwohl. Und Kleidung trennt Geschlechter. Daher habe ich die gerade geschnittenen T-Shirts gemocht. Vielleicht, weil Vereins-T-Shirts unisex waren, also gerade geschnitten unisex hieß. Was natürlich nicht so richtig stimmt, aber das ist eine andere Geschichte.
Ich denke, der Hauptaspekt hier ist, dass ich sie getragen habe, obwohl mir bewusst war, dass sie nicht gut auf meinen Körper zugeschnitten waren. Es war kein gender-non-conforming Schritt. All jene habe ich gemacht, weil ich mich wohl mit dem Gender-non-conforming fühlte. Ich habe die T-Shirts nicht getragen, weil ich mich an sich in ihnen wohl gefühlt hätte. Sondern weil sie die richtige Bedeutung hatten. Ich hatte, abgesehen davon, einen Hang dazu, viel zu weite Kleidung zu lieben. Zum Beispiel eine Strickjacke oder T-Shirts nahestehender Personen, die größer waren als ich, als Nachtkleider - gerade geschnittene. Ich habe mich darin sehr wohl gefühlt.
Geschlechtertrennung
TL;DR: Geschlechtertrennung in zum Beispiel Herbergszimmer, Umkleiden, Gruppen, Toilletten haben sich für mich immer falsch angefühlt. Wenn Gruppen nach Geschlechtern getrennt wurden, ging es dabei nicht darum, dass ich mich mit den anderen in meiner Gruppe nicht wohl gefühlt hätte, sondern darum dass Geschlechtertrennung der Grund war und ich mich deshalb nicht zugehörig gefühlt habe.Einen Punkt von vorher aufgreifend: Ich hasste Geschlechtertrennung und hasse sie immer noch. Das habe ich allerdings auch von vielen Mädchen gehört, die nicht wie andere Mädchen waren. Das ist so ein eigenes Thema über Sexismus: Einige Mädchen grenzen sich von anderen Mädchen ab, die weiblichen Stereotypen entsprechen, weil diese Stereotypen eine sexistische Abwertung erleben. Als Beispiel Schminken. Schminken wird als etwas Mädchenhaftes angesehen, und nun, "mädchenhaft" allein ist schon ein abwertender Begriff. Leider kann ich mich von dem Sexismus auch nicht rühmend ausnehmen. Ich habe, weil ich mit Schminke nichts anfangen konnte, wohl eine Weile fleißig mitgemacht. Aber ich war mit weiblichen Menschen befreundet zu Schulzeiten. Sogar mit mehr weiblichen als männlichen Menschen. Ich mochte es, ihnen in Gruppen zugeordnet zu werden, nur eben lieber nicht auf Basis des Geschlechts, weil sich das für mich falsch anfühlte. Ich mochte gern Teil dieser Gruppe sein, war aber eben nicht weiblich.
Büchersammlung
TL;DR: Ich sammelte und sammele Bücher, in denen sich Mädchen als Jungen ausgeben, oder vielleicht trans nicht-binäre Menschen oder trans Jungen sind, während dem Buch dafür das Vokabular fehlt. Wahrscheinlich würde ich auch auf OwnVoice Repräsentation brennen.
Ich habe lange nicht so furchtbar viel gelesen, weil meine Brille für meine Augen
und umgekehrt nicht so füreinander ausgelegt waren, und meine Sehfähigkeit ohnehin
eingeschränkt ist. Als ich dann eine bessere Brille
hatte und anfing, sammelte ich, sammele ich bis heute, einen
ganz bestimmten Typ Buch: Ein Mädchen fährt zur See und verkleidet sich deswegen
als Junge. In einigen könnte es auch nur an der Sprache liegen, dass die
Hauptperson überhaupt als Mädchen bezeichnet wurde. Vielleicht war die Person
jeweils dann trans, vielleicht trans nicht-binär. Jedenfalls habe ich etwa
12 Bücher in diesem kleinen Genre. Ich habe mich darin wiedergefunden. Diese
Idee, in einem Bereich zu arbeiten oder zu sein, in dem Leute mich für
einen Jungen oder Mann halten, zieht sich auch durch meine Tagträume. Bei
diesem furchtbar sexistischen Verein DGzRS (deutsche Gesellschaft zur Rettung
Schiffbrüchiger) war ich mal beim Tag der offenen Tür. Mir wurde damals, als
ich mich dafür interessierte, irgendwann mitzumachen, offen ins Gesicht
gesagt, "Frauen nehmen sie nicht, kochen können sie auch selbst" und dann
ein Haufen "biologischer Gründe" zu Panik, Kraft, und das klassische
Toilettenargument, dass sie dann zwei bräuchten. (Wie in Zügen, in denen
Toilletten ja auch immer getrennt nach Geschlechtern sind /ironie). Allerdings
war das gefundenes Fressen für Tagträume. Ich erträumte mir, irgendwie
eine Transition durchzumachen, dass ich männlich passen könnte, und dabei
zu sein. Zu einem Zeitpunkt, zu dem ich noch nie von einer trans Person
oder Möglichkeiten in der Richtung überhaupt gehört hätte. (Mehr dazu in einem
späteren Abschnitt.)
Anmerkung: Dieser Verein hat inzwischen Frauen aufgenommen. Er ist trotzdem
immer noch sehr sexistisch und bezieht keine Stellung zu einer der
Hauptunterstützenden-Vereine, der weiterhin unter anderem Frauen offen und laut diskriminiert.
Ich habe auch andere Bücher geliebt, in denen Mädchen sich als Jungen ausgaben. Der
Seefahrtaspekt war gut, aber andere Bücher dahingehend habe ich auch gesammelt.
"Männlich gelesen"
TL;DR: Ich mag es sehr, männlich gelesen zu werden.
Ich habe einen Artikel mit dem Titel "weiblich gelesen" geschrieben, nun folgt
ein Abschnitt "männlich gelesen". Die besten Gendereuphorie-Momente waren jene, in
denen mich Leute männlich gelesen haben. Ich habe das geliebt und darauf angelegt, wenn
es irgendwie für mein Umfeld nicht allzu absurd wirkte. Es gab da das Fasching mit
dem Thema Prominente, bei dem ich mich mit angeklebten Bart, Frack und Perücke
in die Schule begeben habe. Ich liebe diesen Frack, btw. Ich habe ihn
von einem Großelter geerbt, das ungefähr so groß war wie ich. Bestes Erbstück!
Jedenfalls wurde ich an dem Tag mehrfach für männlich gehalten und mein Inneres
strahlte einfach nur. Es war aber nicht dieses Gefühl von wegen: "Ich habe diesen
Leuten erfolgreich was vorgemacht". Es hat sich nicht nach Drag angefühlt, wobei
ich das nicht so richtig beurteilen kann. Ich weiß nicht genau, wie sich Drag
anfühlen soll, was als nicht-binäre Person vielleicht Sinn ergibt. Es hat sich
auf jeden Fall eher angefühlt, als würden Leute mich endlich sehen.
Ich habe es auf manchen Demonstrationen wieder gemacht, auf denen ich vorübergehende
Bekanntschaften geschlossen hatte, die mich später getroffen haben und gesagt
haben "Ich dachte, du wärest männlich". Und ich hatte einfach das Bedürfnis
zu antworten: "Weiblich bin ich jedenfalls nicht." oder so etwas. Aber damals
glaubte ich noch, ich dürfte nicht. Ich habe immer mal wieder gesagt, dass
ich keine Frau bin oder werden wollte. Man hat mir gesagt, dass ich damit
leben müsse, dass ich stolz darauf sein solle, wir Frauen wären doch was ganz
Tolles. Immerhin konnte ich mich einigermaßen gegen das Femininum wehren. Ich
habe erklärt, dass ich Physiker werde. Ich wünschte, irgendjemand hätte
mir erzählt, was es mit Transsein ungefähr auf sich haben könnte, als ich
zur Schule ging.
Tagträume
TL;DR: In einem meiner intensivsten Tagträume wurde ich von einem Menschen voll und ganz als männlich akzeptiert.Vielleicht haben einige diese Tagträume von einer potentiellen Person, mit der man viel Zeit verbringt. Vielleicht geht es dabei um Halt, den man gern hätte. Ich träume eigentlich oft von fiktiven Personen, die Halt geben oder etwas erfüllen, was zum jeweiligen Zeitpunkt nicht erfüllt ist. Romantik-Bedürfnis etwa. Eine meiner intensivsten und längsten Tagträume handelte von dem Beginn meines Studiums - als ich noch nicht studiert hatte. Dabei träumte ich von einem schwulen Mann, der lange keine Beziehung mit mir anfangen wollte, und ich auch nicht mit ihm, aber wir hatten ein gemeinsames Projekt. Wir wollten jemandem in Not helfen. Während wir viel Zeit miteinander verbrachten, wurde uns beiden mehr und mehr klar, dass ich eigentlich männlich bin, nur mein Körper nicht dem stereotypen Bild eines Mannes entspricht und wir verliebten uns doch.
Ein anderer intensiver Tagtraum war ein Plan-B-Szenario für den Fall, dass mein Leben irgendwie nicht mehr ertragbar sein sollte (wie realistisch das war, lasse ich hier mal außen vor). Ich stellte mir dabei vor, es tatsächlich hinzubekommen, mir einen Perso zu fälschen und mich sozusagen männlich zu präsentieren. Zu dem Plan gehörte eine Menge Training und ein Einsteigen in Seenotrettung. Mir schwebte damals, wie oben erwähnt, die DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffsbrüchiger) vor, aber bei einem Tag der offenen Tür dieser Organisation, die mich damals an sich begeistert hatte, als ich frug, was ich tun müsste, um bei ihnen Anzuheuern, meinten sie, sie könnten sich ihren Kaffee auch selbst kochen. Die miese sexistischen Standardargumente fühlte sich sich, wie ich im Nachhinein weiß, auch mies an, weil ich keine Frau bin.
Das Internet
TL;DR: Ich mochte am Internet, dass ich dort besser verstecken konnte, afab zu sein, habe das fleißig ausgenutzt, habe es gehasst, wenn es doch bekannt wurde. Aus einem Chatlog mit 23 habe ich den zumindest mir bekannten ersten schriftlichen Beleg dafür, dass ich schon vor der Aufklärung über die trans Thematik klar gesagt habe, dass "die Biologie" da etwas ohne mein Einverständnis gemacht hat.Und dann kam dieses Internet. Zu meiner Schulzeit hatten wir Internet, das für mich kaum benutzbar war:
- Ich bin seheingeschränkt oder sehbehindert in einer Weise, die wir damals alle nicht so richtig genau einordnen konnten oder es zumindest nicht getan haben. Ich kann einfach sehr schlecht dunklen Text auf hellem Untergrund lesen und all die Homepages hatten im Wesentlichen diese Farbgebung.
- Das Internet hatte diese Eigenschaft, dass wir auf die Uhr gucken mussten und uns alle halbe Stunde bis Stunde neu einwählen mussten, weil davon irgendwie abhing, wie teuer es war. Ich hatte aber mein Lebtag Schwierigkeiten mit Zeitdruck.
- Der Rechner mit dem Internet stand im Arbeitszimmer einer anderen Person. Internet war also nur mit Absprache möglich.
- Neben der Sehschwierigkeit hatte ich auch das Problem, mit zu vielen Reizen Schwierigkeiten zu haben.
- Überhaupt mir ein neues Konzept von etwas zu bilden, dauert bei mir lange, weil es mir nicht leicht fällt, Details zu einem Muster zusammenzufügen, siehe Schwierigkeit, Sexismus zu erkennen.
Eine nicht so schöne Geschichte, die dazugehört: Ich legte sogar ein Profil einer männlichen Fake-Person in diesem besagten Social Network an. Da ich nicht wusste, wie ich da mit fremden Leuten mailen kann, schrieb ich meiner Schulfreundin. Die Sache flog relativ zügig auf und sie war wohl zurecht sehr sauer. Es tut mir bis heute leid. Und trotzdem gehört das irgendwie mit in diese Sammlung.
Als ich zum Studium dann plötzlich quasi unbegrenztes Internet hatte (nur
Volumenbegrenzung auf 3GB im Monat, keine Zeitbegrenzung mehr, es war
ein Traum!), habe ich dann angefangen, mich im Netz mehr zu bewegen. Ich
fing mit Chatten an und sah dabei auch zu, dass ich eher nicht weiblich
gelesene Nicknames hatte. Manchmal verzichtete ich auf das Kriterium, weil
mir die Wörter einfach zu gut gefielen. "karlabyrinth" ist so ein
Fall. Aber das sollte ursprünglich nur ein Pseudonym für Bücher werden, kein
Name, mit dem ich interagieren wollte. Noch dazu mochte ich, dass man
gleichermaßen Karl und Karla hineinlesen könnte, aber es lesen
Leute einfach immer "Karla" hinein, wahrscheinlich wegen der
Silbentrennung. Als Pseudonym für Bücher
wollte ich vielleicht sogar eher kein männlich gelesenes Pseudonym, weil
ich dieses Stereotyp kannte "für eine Frau schreibst du ziemlich gut", und
mich dem entgegenstellen wollte. Einer der Klassiker von "Ich stelle mich
gegen Sexismus, kassiere dafür aber Misgendern". I hate it. Aber
beinahe ein anderes Thema.
Am Internet liebte ich, dass ich nicht zwangsläufig weiblich gelesen
wurde.
Und dann kam ich in die Hackszene. Needless to say hatte ich diese Erfahrungen, in
denen ich ein normales Fachgespräch mit Leuten hatte, dann irgendeine Person, die
mich kannte, geleakt hat, dass ich weiblich wäre, und plötzlich erlebte ich
einen ganz anderen Ton und DMs mit Leuten, die interessiert an mir waren - mich mehr
oder weniger offensichtlich anbaggerten. Und bei mir muss das richtig offensichtlich
sein, damit ich es sicher merke.
Ein Erlebnis ist aber vielleicht besonders. Ich war 23 und es war das
erste Mal, als ich in diesem Gruppenchat des bh (Abkürzung) gelandet war. Ein
Herzmensch hatte gemeint, ich könne mich dort wohlfühlen. Leider war
die erste Frage: Klarvorname, Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung. Es
ging angeblich darum, dass dieser Gruppenchat etwas weniger anonym sein sollte, etwas
mehr Real-Live-Bezug haben sollte. Ich habe diesen Moment gehasst, aus verschiedenen
Gründen, aber der größte war Dysphorie. Das wusste ich damals nur noch nicht. Ich
wusste, dass ich das Geschlecht, das ich damals noch glaubte, behaupten
zu müssen, dass ich es hätte, nicht aufschreiben wollte. Das habe ich dann auch
nicht. Ich zögerte die Antwort hinaus, bis ich gedrängt
wurde, schrieb meinen Klarvornamen und ließ die anderen ableiten. Ich
weiß nicht genau, was mein Gedanke dabei war, vielleicht, dass sie den Fehler
machen sollten, dass ich ihn nicht selbst machen wollte. Ich war in diesem
Internet, in dem ich sein durfte, wer ich war, und nun durfte ich doch nicht. Es
war beschissen.
Kaum anders zu erwarten war diese Hackmeute hellauf begeistert ein Mädchen
oder eine Frau unter sich zu haben und machten Scherze, ob sie sich nun
besser benehmen müssten. Es wurde kurios, ich hatte durchaus auch Spaß
zu zeigen, dass ich mich genau so wenig benehmen würde. Aber während die meisten
schwärmten, weil ich ja eine Frau wäre, und ich es jedes Mal unangenehm
fand, und zwar nicht, wegen der seltserbaren Begeisterung an sich, sondern
weil ich eben keine war, fingen zwei Personen scherzhaft zu schreiben an, dass
sie nicht der Meinung der anderen wären und in Wirklichkeit keine Frauen
mögen würden. Und damals schrieb ich explizit aus: "Für mich wäre es okay
männlich zu sein. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Die Biologie hat
das entschieden."
Ja, es ist immer noch ein biologistisches, transfeindliches Argument. Ich
war so sozialisiert. Ich habe damit nur eindeutiges Material dafür, was mir sagt, ich
habe schon so gedacht, bevor ich mit der Thematik vertraut wurde. Mir versuchen
gelegentlich Leute das auszureden und sagen, dass da nie etwas in der
Richtung gewesen wäre. Dass sie nicht hätten wissen können. Ich habe zwar
klar in Erinnerung, gesagt zu haben, dass ich keine Frau bin, aber wenn
einem lange genug jemand etwas anderes einredet, während man selbst nicht
das beste Gedächtnis hat, ist so ein Chatlog einfach viel wert.
Ein Spiel mit Namen
TL;DR: In meinem Studium war ich einige Zeit Malte und wurde mit 'er' gegendert, und es hat sich viel richtiger angefühlt, als anders.
Als ich mit ungefähr 20 anfing zu studieren und eine erste Person
näher kennen lernte, der ich meine E-Mail-Adresse gab, erklärte
ich ihr dabei direkt, dass ich sie so gewählt hatte, dass mein
Vorname und damit mein Geschlecht nicht ablesbar war. Sie fängt, wie
mein Vorname mit "Ma" an. Die Person fragte mich: "Also könntest du
dann genauso gut Malte heißen?" und ich bestätigte. Fortan
war ich Malte. Ich war zufrieden damit. Malte war nun nicht mein
Lieblingsname, aber auch nicht völlig verkehrt. Ich mochte definitiv, mich
dadurch weniger weiblich gelesen zu fühlen.
Es blieb allerdings nicht bei dem einen Tausch. Durch Zufall ergab
sich, dass die ganze Clique, mit der ich so halb zusammenhing, Namen
tauschte. Für die meisten war es ein Genderswap. Nur der Mann, mit
dem ich damals in einer Beziehung war, bekam einen männlichen
Namen. Wie es dazu kam, weiß ich nicht genau, aber ich fand es angenehm, weil
sich die Beziehung für mich dadurch eher eine Spur
homosexuell angefühlt hat, was sie nach meinem empfinden eher war als heterosexuell. Es
ist kompliziert. Homosexuell trifft es auch nicht ganz.
Es machte mir nicht unbedingt etwas aus, kein Alleinstellungsmerkmal mehr
zu haben. Eigentlich war es ein einziger riesiger Bruch mit Geschlechtern. Wir
genderten uns gegenseitig mal so und mal anders. Es war ein angenehmes
Gefühl, dass es vielleicht einfach nicht wichtig ist, also dass mir vor allem
nicht einfach "weiblich" angeklebt wurde. Vielleicht war
das ein einigermaßen queerer Haufen. Wer weiß das schon.
Fazit
TL;DR: Nicht-binär Sein ist für mich eine Geschlechtsidentität, die ich quasi einfach weiß. Ich habe hier viele Erlebnisse aufgeführt, bei denen mir das jeweils bewusst war. Ich habe außerdem von anderen Aspekten abgegrenzt.Wichtig: Es ist individuell und kann sich für andere ganz anders äußern. Auch die Abgrenzung ist jeweils persönlich.
Wenn ich mir diese ganzen Aspekte so ansehe, ist das ganz schön viel. Wenn ich
diese Frage gestellt werde, fällt mir immer kaum etwas ein, vielleicht zwei
Punkte von der Liste. Den Tagtraum etwa hatte ich längst verdrängt. Vielleicht
ist er mir auch etwas unangenehm. Es macht
auch nicht richtig Spaß, Leuten zu erzählen, was da los war, wenn jeder
der Aspekte mit "das habe ich nicht so erlebt/das habe ich anders in Erinnerung"
weggewischt wird. Oder bezüglich des Tagtraums, Frauen hielten sich
oft für etwas Besonderes, wenn schwule Männer auf sie stünden. Damit
hat das hier nichts zu tun. Es ging nicht um Sex oder so etwas, es
ging um das Anerkennen meiner Geschlechtsidentität. Leute neigen
dazu, herausfinden zu wollen, ob ich denn wirklich
ganz sicher "der Meinung" wäre, trans zu sein. Sie halten ihren Nachfragestil
für gut, weil, wenn ich ihm standhalten kann, dann weiß ich es ja sicher, oder
so. Und wenn nicht, ist es ja gut, das herausgefunden zu haben.
Aber da schwingt irgendwo die These mit, dass es schlecht wäre, trans zu sein. An
euch da draußen, die das tun: Es ist überhaupt nicht hilfreich!
Viel besser wäre es, Leuten den Raum zu geben, darüber gründlich nachzudenken. Zu sehen, was es alles für Möglichkeiten gibt, keine davon negativ zu bewerten. Sich nicht zu sperren.
Wenn eine Person zu mir kommt und sagt, sie wäre trans, die aber keinen einzigen der genannten Aspekte erlebt hat, gibt mir das trotzdem nicht das Recht, eine Einschätzung zu machen. Das mache ich auch nicht. Geschlecht ist ein Spektrum. Trans Sein ist nichts Schlimmes. Diskriminierung ist scheiße und Dysphorie fies. Aber beides macht eine Person nicht weniger wert oder falsch. Beides sollte nicht zu Sprüchen führen wie "Willst du wirklich keine Frau sein?" Denn zum einen geht es nicht um Wollen, und zum anderen gibt es da nichts zum Hinterhertrauern, weil es nie da war.
Was ich sagen will: Wenn ihr die Frage, woher ihr wisst, dass ihr trans seid, nicht so ohne Weiteres beantworten könnt, dann ist das nichts Schlimmes. Vielleicht wisst ihr einfach nicht sofort, wie ihr es ausgedrückt habt mit dem jeweiligen Vokabular, das zur Verfügung stand, weil euch das direkte verboten worden ist. Vielleicht sind es Aspekte, die einfach immer da waren und euch deshalb nicht ins Bewusstsein springen. Vielleicht wurde etwas umgewertet in eine andere Anekdote oder mit anderen Begründungen belegt. Vielleicht ist der Leidensdruck bei euch nicht so groß. Vielleicht ist das auch alles nicht so wichtig. Aber vielleicht helfen einige Aspekte in diesem Artikel beim Reflektieren.