Behinderungs-exklusive Sprache
Einleitung
Disclaimer: Es ist ein Thema, bei dem ich in keiner Weise behaupte, perfekt zu sein, nicht einmal ansatzweise gut. Ich mache sicher Fehler in meiner Sprache, die behinderte Menschen ausschließt und ich mag darauf hingewiesen werden.
Es geht außerdem nicht um so etwas wie Leichte Sprache oder Einfache Sprache (wichtiges Thema, da brauche ich auch noch Fortbildung), sondern Formulierungen in Alltagssprache, die Behinderte ausschließt.
Ich möchte in diesem Artikel darüber reden, dass in vielen häufigen Ausdrucksweisen und Forderungen behinderte Menschen sprachlich nicht mit eingeschlossen werden. Ich denke, dass wir daran arbeiten und darüber mehr reden sollten. Ich möchte grob über klassische Abwehrmechanismen und Konflikte in diesem Zusammenhang reden.
Der Artikel soll darauf aufmerksam machen, dass es uns gibt und wir es verdient haben, mitbedacht und in Formulierungen eingeschlossen zu werden, statt nur als Sonderfälle in Betracht gezogen zu werden, wenn wir zufällig sichtbar werden, oder wenn es gerade für abled Leute hilfreich ist, uns als Argument heranzuziehen.
Google doch einfach
Besonders dann, wenn Menschen mit einem hohen Workload von anderen Dinge immer wieder gefragt werden, lese ich häufig die Aufforderung “google doch selbst”. Und dann ein Frust-Statement an eine größere Masse: “Menschen können doch selber googlen, statt das auf mir abzuladen!”
Das Gleiche mit allerlei anderen Dingen, sodass Frust-Statements der Art zusammenkommen wie:
- “Menschen können sich bei ihrer Rechtschreibung mehr anstrengen!”,
- “Der Umzug auf eine andere Plattform ist einfach, wer was anderes sagt, hat es nichtmal probiert!”,
- “Wir können doch alle sinnerfassend lesen!”,
- “Ich kann doch wohl erwarten, dass Leute ihren gesunden Menschenverstand benutzen”,
- “Nach fünf Jahren tat er dies. Und ihr könnt ja alle rechnen, ihr wisst, wie alt er jetzt ist”,
- “Direkter Kontakt in person ist immer das einfachste”,
- “Mach doch einfach, wo ist denn das Problem?”,
- …
Und während es Menschen gibt, die sich mehr anstrengen könnten oder die bei der kleinsten Abweichung von ihren Erwartungen beim Umzug maulen, weil sie eigentlich keine Lust haben, gibt es auch jene Menschen, denen das behinderungsbedingt schwer fällt. Natürlich steht da nicht “Alle Menschen können…” Aber wie häufig behinderte Menschen nicht mit abgebildet werden, ist systematisch.
Aber du bist doch gar nicht gemeint!
Traut sich eine behinderte Person zu reagieren, oder ein Allie einzuspringen und zu erklären, dass die Person tatsächlich nicht gut googlen kann, weil das zum Beispiel ein bestimmtes Musterdenken erfordert, das der Person behinderungsbedingt übermäßig schwer fällt, kommt häufig die Antwort: “Du bist doch gar nicht gemeint.”
Wir werden dazu aufgefordert, zu erkennen, dass es sich um ein Fruststatement über Leute handelt, die nicht behindert sind und Dinge aus Faulheit, mangelndem Respekt oder Abwehrhaltung nicht tun. Oder weil sie sich nicht genug mit der Situation der betroffenen Person auseinandergesetzt haben.
Das Problem ist:
- Wenn wir nicht dazu sagen, dass wir behindert sind, bekommen wir genau die Anspruchshaltung ab, weil sie einfach auf alle draufprojiziert wird. Von uns wird erwartet, uns mit unseren behinderungsbedingten Unfähigkeiten und Einschränkungen zu outen, damit wir nicht verurteilt werden. Dabei kann letzteres auch ein Risiko darstellen. Uns wird in so einem Moment nicht selten unterstellt, die “Opferkarte” auszuspielen.
- Wir werden als irgendwie von der “normalen” Gesellschaft losgelöste Sonderfälle behandelt. Es gibt Leute/Menschen, über die allgemeine Statements gemacht werden, und die behinderten anderen… Kreaturen, weil mit Menschen/Leute sind wir ja nicht gemeint. (Ja, ich bin hier etwas böse.)
Abgrenzung zu gender-sensibler Sprache
Ich finde die Erwartungshaltung krass, dass wir uns mit einem “ihr seid doch nicht gemeint” abspeisen lassen sollen.
Nehmen wir gender-sensible Sprache. Manche Leute nutzen das generische Maskulinum. Manche Leute protestieren dagegen, weil das generische Maskulinum, nun ja, Maskulinum ist und zum Beispiel Menschen nicht mit abbildet, die von einer anderen grammatikalischen Form besser angesprochen werden. Manche Leute wiederum finden, wir sollen uns nicht so haben und uns mitgemeint fühlen. (Und manche denken, generisches Maskulinum wäre für Behinderte die beste Wahl und verallgemeinern dahingehend unangenehm, dazu später ein kleiner Exkurs.)
Aber vielleicht wissen wenigstens die meisten, die mit dem generischen Maskulinum alle meinen wollen, dass auch alle Menschen unabhängig von Geschlecht Teil der angesprochenen Gruppe sein sollten.
Ich habe im Fall von Behinderungen oft das Gefühl, nicht einmal das ist bewusst. Leuten, die schreiben “Menschen können doch googlen” und dann mit “ihr seid doch nicht gemeint” kommen, ist oft überhaupt nicht bewusst, dass sie da gerade Sprache so benutzen, dass sie Menschen aktiv ausschließt.
Wir sollen uns nicht mitgemeint fühlen, sondern wir sind tatsächlich mit einem allgemeinen “Menschen” nicht gemeint. Wir sollen uns sogar explizit nicht mitgemeint fühlen. Wir sollen… damit leben, dass Sprache uns normalerweise nicht mit einschließt. Und ich glaube, das ist vielen voll nicht bewusst.
Kleiner Exkurs zu Legasthenie, Autismus und gender-sensibler Sprache
Gender-sensible Sprache ist ein Feld, wo auf einmal Behinderungen viel sichtbarer gemacht werden als anderswo. In vielen Fällen von abled Leuten, die hier eine Chance sehen, sich nicht auf Veränderung einlassen zu müssen, weil sie mit uns Behinderten Argumente haben, die nicht so leicht ausgeschlagen werden können.
Es fallen oft Aussagen wie:
- “Autisten können einen Text mit Genderstern darin nicht mehr lesen.”
- “Menschen mit Legasthenie stolpern über den Genderstern. Das einzige, was geht, ist der Doppelpunkt.”
- “Für Menschen, die Einfache/Leichte Sprache brauchen, geht Entgendern nicht.”
Dabei ist dieses Feld komplex. Ich korrigiere diese Aussagen mal:
- Unter autistischen Menschen gibt es manche, die einen Text mit zu vielen Sonderzeichen darin nicht mehr lesen können. Manche brauchen länger damit, sich daran zu gewöhnen, manche schaffen es in absehbarer Zeit gar nicht. Es gibt auch viele autistische Menschen, die keine Probleme mit Sonderzeichen im Text haben. Insbesondere gibt es viele trans, agender, inter* und nicht-binäre autistische Menschen, für die das generische Maskulinum oder Beidnennung mindestens ebenso schmerzhaft ist, wie zu viele Sonderzeichen.
- Menschen mit Legasthenie haben individuelle Probleme mit Sonderzeichen im Text. Manche haben mit ihnen insgesamt nur wenig Probleme und sie akzeptieren jene gerne zu Gunsten von mehr Sichtbarkeit. Für manche ist der Doppelpunkt das schwerstlesbare Sonderzeichen, weil es zu große Ähnlichkeiten mit einem kleinen i hat und dadurch ein Stolpern zustande kommt. Für manche ist gerade wegen der Unauffälligkeit der Doppelpunkt das beste Zeichen. Es gibt unter Menschen mit Legasthenie dahingehend keine einheitliche Regel, was gut und was schlecht ist.
- Über Einfache/Leichte Sprache an sich weiß ich zu wenig. Ich weiß aber, dass es sich dabei quasi um eine eigene Sprache handelt, in die Texte übersetzt werden können. Die Frage danach, ob Sonderzeichen oder nicht, ist also für den Anwendungsfall relevant, aber nicht unbedingt für Texte im Allgemeinen. Ich habe aber auch schon von Menschen, die sich mit leichter/einfacher Sprache auseinandersetzen, gehört, dass Stern-Schreibweisen, wenn erklärt, verwendet werden.
Ich habe einst einen Artikel zum Thema Gendersternchen und Stolpersteinen geschrieben, in dem ich das Thema aufdrösele. Es ist also nicht falsch, zu sagen, dass es behinderte Menschen gibt (Existenzaussage), die Probleme mit gewissen Sonderzeichen haben (für viele kommt es auch auf die Menge an). Aber zum einen gibt es deshalb keine perfekte Lösung, keine einfache, verallgemeinerbare Folgerung, und Textverfassende müssen jeweils zu dem ihnen am besten erscheinenden Kompromiss greifen. Und zum anderen ist es bezeichnend, wie wir Behinderte (zufälligerweise bin ich autistisch und habe eine Form von Legasthenie) in dem Zusammenhang instrumentalisiert werden.
Wenn ihr uns da mitdenken wollt, macht es für uns und nicht für euch, macht es so komplex, wie die Sache ist, und bedenkt, dass wir ein individueller Haufen sind, zu denen auch nicht-binäre, trans, inter* und agender Personen gehören. Und dass es auch einige unter uns gibt, die vielleicht Schwierigkeiten mit Sonderzeichen haben, aber die nicht wollen, dass sich irgendwer dieses Problems für uns annimmt, weil wir das Problem eher wollen, als das Problem, das die Alternative (keine sprachliche Veränderung) darstellt. Wir sind da sehr individuell.
Konflikt der Verantwortung dafür, Probleme zu lösen
Kommen wir zurück zu den verallgemeinerten Aussagen hinsichtlich unterstellter Fähigkeiten, wie “alle können doch googlen, schiebt die Arbeit doch nicht mir zu”.
Was aber stattdessen tun? Sagen wir, eine Person stellt eine Frage, die du schon tausendmal beantwortet hast, und du hältst dich nicht (mehr) für in der Lage, zu wissen, ob die Person fragt, weil sie faul oder respektlos ist, oder weil sie sich nach langem Überlegen und Selbstprobieren überwunden hat, doch zu fragen?
Mir wird dann oft gesagt, dass das ja die Verantwortung wieder den marginalisierten Menschen (zu denen behinderte Menschen auch gehören) zuschöbe, allen alles erklären zu müssen, weil man ja nicht wisse.
Aber nein, müsst ihr nicht.
Es ist auch manchmal so, dass es für manche Probleme keine schöne Lösung gibt.
Es ist vollkommen berechtigt und okay zu sagen “Ich habe keine Kapazitäten für diese Frage”. Vielleicht kostet es am Anfang mehr Kraft, als zu sagen “Google doch selbst”. Ich weiß es nicht. Aber es ist zumindest ein absolut berechtigter anderer Weg daraus, als die Frage schon wieder zu beantworten oder zu helfen. Es vermittelt ehrlich und direkt, was der Grund ist. Abgrenzung, auch behinderten Menschen gegenüber, ist berechtigt und ein guter Skill.
Und die allgemeinen Aussagen zum Ranten können auch leicht angepasst werden. Es muss dabei nicht allen Menschen eine Fähigkeit zugeschrieben werden, sondern es kann zum Beispiel konkret die Gruppe benannt werden, um die es geht.
- “Ich würde mir wünschen, dass sich manche Menschen mehr Mühe bei der Textarbeit geben würden!”,
- “Ich glaube, es gibt so einige Menschen mit einer Abwehrhaltung gegenüber dieser neuen Plattform, und das stört mich!”,
- “Es wäre schön, wenn mehr Leute sich die Zeit nehmen würden, wirklich zu lesen, was ich schreibe, und nicht auf die Schnelle irgendwas hineinzuinterpretieren.”
- “Ich wünschte, manche Leute würden nochmal innehalten, reflektieren und versuchen, eine andere Perspektive einzunehmen, bevor sie etwas sagen.”
- …
Ich hätte hier immer noch Unbehagen, ob mich vielleicht jemand falsch einordnet, weil ich mit meiner Behinderung nicht offen (genug) bin. (Es sollte komplett meine Entscheidung sein, ohne dass ich Nachteile davon hätte, nicht out zu sein.) Aber es sind keine verallgemeinernden Aussagen mehr, in denen ich hellsehen müsste, dass ich, obwohl alle beschreibend formuliert, nicht gemeint wäre. Sondern es benennt eine konkrete Untergruppe und bezieht sich darauf, was stört.
Fazit
Häufig drücken sich Leute so aus, als würden sie alle Menschen meinen, aber verwenden dabei Formulierungen, die voraussetzen, dass die gemeinten Leute abled sind. Sind Menschen von den Formulierungen nicht abgedeckt, weil sie behindert sind, und beschweren sich, wird ihnen oft gesagt, dass sie von der ausgedrückten Wut deshalb nicht gemeint wären.
Das schließt behinderte Menschen sprachlich aus. Vielleicht ist vielen Menschen, die sich wie in den Beispielen oben ausdrücken, nicht bewusst, dass sie eine nicht Behinderungs-inklusive Sprache benutzen. Eine präzisere Sprache kann hier zu mehr Sichtbarkeit und einem besseren Miteinander führen.