Gibt es Dinge, die du dir von nicht autistischen Menschen für den Umgang mit dir wünschst

Worum geht es

Ich wurde auf Mastodon (einer Social Media Plattform) im Rahmen meines Angebots, mir alle möglichen Fragen zu meinen Behinderungen zu stellen, danach gefragt, ob es Dinge gibt, die ich mir von nicht autistischen Menschen im Umgang mit mir wünsche. Ich gebe hier acht Antworten darauf. (Ich habe die Frage auch als Thread auf Mastodon beantwortet.)

Disclaimer: Ich rede hier darüber, was ich persönlich mir wünsche. Es ist nicht zwangsläufig übertragbar, auch wenn ich vielleicht mit meinen Wünschen nicht allein bin.

Dinge, die ich mir von nicht autistischen Leuten für den Umgang mit mir wünsche

  1. Erstkontakt, wenn ich dazu sage, dass ich autistisch bin.

    Beim Erstkontakt fände ich eine unvoreingenommene, respektvolle und wertschätzende Neugier gut, und das bezieht sich nicht nur auf Autismus. Ich finde oft einen guten Anfang, wenn Leute fragen, was sie akut wissen müssen und ob sie Fragen stellen dürfen. Aber es gibt auch viele andere gute Anfänge, wenn sie z. B. eh schon viel dazu wissen oder generell tatsächlich keine Erwartungen haben.

    Ich mag, wenn ich einen Eindruck von ihrem Umgang damit bekomme, und der nicht ignorant oder abwertend ist.

  2. Erstkontakt, ohne dass ich dazu sage, dass ich autistisch bin.

    Ich fände generell einfach richtig gut, wenn Leute aufhören würden, irgendwelches Verhalten, das von ihren Idealvorstellungen abweicht, gleich abzuwerten, sondern stattdessen vorher einmal überdenken, ob ihre Idealvorstellungen vielleicht Shit sind, zum Beispiel diskriminierend für Menschen, die sie nicht auf dem Schirm hatten, oder auch einfach generell unsinnig.

    Socken in Sandalen zum Beispiel. Wo ist das Problem?!

  3. Von Leuten auf Social Media

    Ich fände gut, wenn Leute markieren würden, wenn sie Sarkasmus oder Ironie oder rethorische Fragen verwenden. (Zum Beispiel mit /s für Sarkasmus, oder indem es in Klammern dahinter steht. Auch mag ich /joking und /halfjoking sehr.)

    In vielen Fällen hilft es mir, wenn Leute nicht verallgemeinern. Beispielsweise nicht: “Asexuelle mögen keinen Sex”. Es gibt sicher viele asexuelle Menschen, die keinen Sex mögen, aber manche halt doch. Und ich bin lange deshalb nicht auf die Idee gekommen, dass ich asexuell sein könnte.

  4. Von Leuten da draußen

    Nicht ungefragt anfassen. (Ist es vielleicht möglich, dass Leute, insbesondere auch Sanitätspersonen, wenn eine Person zusammengesunken weint, fragen, bevor sie es einfach tun, ob sie diese an der Schulter anfassen können, sodass sie wenigstens mit einem Kopfschütteln ablehnen kann, wenn sie soweit ansprechbar ist?)

  5. Empathie beibringen?

    Es gibt immer wieder allistische (nicht autistische) Leute, die mir die Welt/Empathie erklären. Und das finde ich auch gar nicht unbedingt schlecht. Vorausgesetzt, sie fragen vorher, ob ich das will, und sie machen es nicht, weil sie denken, das würde mich heilen oder sowas.

    Es kann mir durchaus weiterhelfen.

    Dabei übersehen sie aber manchmal leider, dass ihre Regeln für mich nicht anwendbar sind, wegen solcher Dinge, dass “Menschen, die lächeln, sind glücklich” eben einfach nicht allgemein stimmt. Es gibt viele “Ausnahmen” und die erkenne ich nicht.

    Unangenehm empfinde ich dabei auch, dass es häufig kein Austausch ist, bei dem ich mich mit meiner Perspektive als gleichwertig empfinden kann.

    Allistische Leute haben soziale Fähigkeiten, die wir nicht haben, und befinden sich dadurch in einer Machtposition, und ich fände schön, wenn das gesehen und soweit es geht aufgelöst würde. (Das ist herausfordernd und braucht vielleicht Zeit.)

    Ich kann jedenfalls schon neu lernen: Ah, zwischen diesen Zeichen und jenem Verhalten kann es einen Zusammenhang geben. (Zum Beispiel, falls ich nichtmal auf die Idee gekommen wäre, dass Lächeln mit Glücklichsein korellieren könnte.) Aber es hat oft nicht den von der Erklärperson erhofften Effekt, dass ich bloß informiert werden müsste und dann könnte ich Emotions-Ablese-Empathie.

    Besonders unangenehm finde ich es, wenn die allistischen Menschen, die da so viel Mühe in mich investieren, dann die Erwartung haben, dass ich das irgendwann können würde, und beleidigt bis hin zu verletzt sind, wenn ich irgendwie nicht so dazulerne, wie sie denken, dass das passieren müsste.

    Es ist immer so schlimm für mich, wenn meine Behinderung Verletzung auslöst. Das ist ungefähr der unangenehmste Struggle, den ich mit dieser Behinderung habe.

    Und das wird leider nicht aufgelöst, indem mir andere erklären, wie ich nach sozialen Regeln tanzen kann, die ich gar nicht sehe, sondern indem Raum und Verständnis für Leute wie mich geschaffen wird.

  6. Konflikte ansprechen

    Ich fände gut, wenn Leute, die einen Konflikt mit mir haben, ihn ansprechen, zumindest, wenn sie hoffen, dass wir ihn lösen. Denn ich merke sowas oft nicht von selbst.

    Meine Strategie ist derzeit, immer wenn das Verhalten sich ein bisschen anders anfühlt als sonst (was auch sehr zufällig mal so passieren kann), nachzufragen, ob etwas nicht in Ordnung ist. Und ich muss direkt ausführlich dazuerklären, dass ich das frage, weil vielleicht (!) was anders ist, und ich nicht interpretieren könnte, wenn was wäre, also ich vorsichtshalber dann nachfrage. Sonst denken die meisten, ich würde bei ihnen schlechtes Verhalten wahrnehmen, das sie mir erklären müssen.

    Das ist aufwändig und komplex, aber es fängt einigermaßen ab, dass so viele Leute von sich aus Konflikte nicht kommunizieren, sondern erwarten, dass ich das doch merken würde. Selbst dann, wenn sie von sich behaupten, dass sie schon sagen würden, wenn was wäre. In ungefähr 1 von 20 Fällen, schätze ich, ist nämlich tatsächlich was, was mir dann erklärt wird.

    Ich wünsche mir, dass ich diesen Aufwand nicht mehr betreiben muss, sondern Leute, besonders solche, die mir nahestehen, offen kommunizieren, sodass wir gemeinsam daran arbeiten können. Aus meinem Umfeld habe ich zurückgemeldet bekommen, dass das anfangs schwierig war, weil Direktheit Angst macht. Kritik verletze oft. Ich finde wertschätzende Kritik eher ein sehr hilfreiches Mittel, um Probleme zu lösen.

    An dieser Stelle: Kritik muss nicht konstruktiv sein, damit ich sie mag. Konstruktiv heißt in etwa, sie kommt gleich mit einem Lösungsansatz. Aber ich finde nicht, dass sich eine verletzte Person direkt um eine Lösung bemühen muss, bevor sie kritisieren darf. Mir reicht es, wenn sie wertschätzend ist, und wenn ich in einer Machtposition bin oder Gewalt ausgeübt habe, erwarte ich nichtmal das.

  7. Wörtlichnehmen

    Ich meine sicher nicht immer alles wörtlich. Ich übertreibe manchmal, nutze auch Redewendungen oder Ironie (üblicherweise gekennzeichnet). Ich fände bei Dingen, die nicht in diese Kategorie fallen, echt schön, wenn Leute wenigstens in Frage kommen ließen, dass ich Dinge wörtlich meinen könnte.

    “Ich möchte Blumen haben.” bedeutet im Allgemeinen nicht “Kauf mir gefälligst Blumen!”.

    “Bist du dir sicher?” bedeutet i. A. nicht “Ich bin da anderer Meinung.” Nichtmal “Ich stelle deine Aussage in Frage.”

    “Warum hast du das gemacht?” bedeutet i. A. nicht “Ich finde schlecht, dass du das gemacht hast.”

    “Ich wusste nicht, dass du das brauchst” bedeutet i. A. nicht “Ich dachte, dass du das nicht brauchst”.

    “Warum machst du das so?” bedeutet i. A. nicht “Dass du das so machst, ist schlecht.”

    Überhaupt fällt mir auf, dass viele Menschen die ganze Zeit Dinge herumbewerten oder erwarten, dass andere (z.B. ich) das tun. Das finde ich seltsam und oft ungünstig, siehe dazu Punkt 1. Ich beobachte viel und bewerte eher wenig oder mache mir lange Gedanken, bevor ich das tue. Ich fände schön, wenn wir allgemein mehr dahinkommen, denn … Abwertung tut meist weh und ist oft so unnötig!

    Ich fände gleichzeitig schön, wenn ich nicht drauf festgenagelt werde, dass ich doch angeblich alles, was ich sage, wörtlich meine, wenn dem mal nicht so ist. (Das habe ich nicht gesagt, aber obige Bitte kommt oft so an.) Sprache ist ein oft ungenaues Kommunikationstool, wo es eigentlich üblicherweise Nachfragen bedarf, bevor etwas gefixt werden kann.

    Ich kann zunehmend mehr einschätzen, wann welche Leute einfach Irgendwas in das, was ich schreibe/sage, interpretieren würden, und dann aufwändig dazusagen, was ich eigentlich meine - nämlich das, was da steht/was ich sage. Aber in vielen Fällen weiß ich es auch noch nicht. Und da würde es mir helfen, wenn Leute das auf dem Schirm haben, dass ich das wörtlich meinen könnte, und im Zweifel nachfragen.

  8. Good Faith

    Besonders bei neurologischen oder psychischen Behinderungen kommt es oft dazu, dass Leute in Verhaltensweisen böse Absichten lesen, obwohl die Betroffenen da nichts für können. (Ohne Belege böse Absichten hinter etwas vermuten wird oft mit “Bad Faith” beschrieben, und eben das nicht zu tun, oft mit “Good Faith”.)

    Oft fühlen sich Betroffene schuldig und denken, sie könnten doch was dafür, oder gehen weit über ihre Grenzen, um ihr vermeintliches Fehlverhalten irgendwie auszugleichen. (Und ich meine mit diesem Verhalten nicht, über Grenzen anderer gehen, sondern neurotypische Erwartungen enttäuschen.)

    Beispiele:

    • Nicht zu grüßen kann an Gesichtsblindheit, Mutismus oder Dissoziationen liegen.
    • Sich nicht melden kann an verschiedenen Formen von Vergesslichkeit liegen, an Überlastung, an DIS o.ä. (wenn die Person, die sich eigentlich melden möchte, einfach eine Weile nicht frontet), fehlendem Zeitgefühl, oder auch daran, dass die Zeichen dafür, dass andere wichtig sind, für die Person andere wären.
    • Nicht direkt ansehen oder anstarren kann mit Autismus zusammenhängen.
    • Wenn du von deinem Leid erzählst, mit dem eigenen ankommen ist ein häufiger Ansatz, Empathie aufzubauen bei autistischen Leuten.
    • Geringe Aufmerksamkeitsspannen hat häufig Ursachen in ADHS, Dissoziationen oder anderen Konzentration beeinflussenden Konditionen.
    • Parallel zum Gespräch zeichnen, stimmen, stricken, am Smartphone Spiele spielen kann tatsätsächlich vielen von uns helfen, besser zuhören zu können.
    • Einladungen ständig nicht annehmen kann an Barrieren oder Erschöpfung liegen.
    • Beantworten von rethorischen Fragen … an Autismus.
    • Zu persönliche Fragen stellen, kann daran liegen, dass die Person denkt, zu sagen “will ich nicht beantworten” wäre eine selbstverständliche Option.
    • Zu persönliche Fragen und Oversharing daran, dass die Person ein Leben voll traumatischen Dingen durchlebt hat und das deren Normal ist.

    Damit will ich nicht sagen “Akzeptiert sowas doch einfach”, wenn es stört. Sondern ich verweise auf 7.: Nachdem die Bereitschaft da ist, keine böse Absicht zu unterstellen, fände ich schön, wenn das angesprochen werden könnte (am besten bevor es innerlich eskaliert.) Zum Beispiel: Ich hätte, als es mir schlecht ging, was anderes gebraucht, und zwar das und das. Jene Reaktion war für mich unangenehm. Können wir da für die Zukunft was ändern?

    Und manchmal gibt es für die Konflikte keine Lösung und niemand ist schuld. Manchmal braucht Person A was, was B nicht geben kann. Dann hielte ich für gut, wenn das nicht dazu führt, dass A oder B abgewertet würden, sondern dass sich einfach auf dem Punkt im vielleicht traurigen Einverständnis nicht getroffen wird. Dann muss sich vielleicht niemand von uns weniger wert fühlen.

Fazit:

Viele der Punkte gehen um Unvoreingenommenheit und direkte Kommunikation, oder darum, Leute einfach sie selbst sein zu lassen. Wie bei fast jedem Barriereabbau sind diese Dinge meist auch für nicht autistische Menschen hilfreich, aber oft nicht so essenziell. Danke für das Interesse!

Tröt