Jurin Raute

Windschwinge

Content Notes: Selbstkritik/-reflexion, sowas wie genereller Menschenhass, aber nicht auf Menschenbezogen, Sanism, Ableism, Queerfeindlichkeit, Objektivizierung, Tierhaltung, Gefangenschaft, Muskelkater-Schmerzen

Eine Möwe, die über das Meer fliegt, in
		Stil, Cubismus und Striche. Titel und skalabyrinth steht darauf.

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Zur Sprache

Für diese Geschichte habe ich ein Sprachexperiment gemacht. Dabei bekommen alle Substantive Casus Neutrum, also eine Deklination wie bei "das Buch, des Buchs, dem Buch, das Buch", und alle Personen das Pronomen as, sain, iem, as. Alle im Deutschen andernfalls gegenderten Begriffe bekommen die Endung -an im Singular und -anen im Plural. Zum Beispiel heißt es in der Geschichte "das Tänzeran" und "die Tänzeranen", statt "Tanzende" oder "Tänzer_innen".

Auf diese Weise ergibt sich eine verhältnismäßig einfache Variante von Deutsch, die sprachlich kein Geschlecht mehr abbildet, wenn nicht explizit dazugesagt. Es geht mir dabei nicht darum, zu sagen, so solle es sein, oder dies ist die Lösung, sondern eine längere Geschichte zur Verfügung zu stellen, in die wir uns vielleicht ein bisschen reinfühlen können, um zu schauen, was diese Sprache so für ein Gefühl auslöst oder eben auch nicht auslöst.

Allein wegen der Umstellung, und weil es gegen Gewohnheiten ist, wird es zunächst eine Barriere für viele Menschen darstellen. Vermutlich wäre diese Variante von Deutsch allerdings für viele Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, einfacher. Für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, empfehle ich gerade deshalb diesen Text eher weniger, weil hier bewusst Grammatik-Regeln gebrochen werden, also eine bezüglich Deutsch, wie es gesprochen und geschrieben wird, falsche Grammatik in diesem Text benutzt wird.

Die Geschichte

Als Jurin Raute die Augen öffnete, weil das Geräusch eines leisen Bewegungs as geweckt hatte, wünschte as sich ein Augenblick lang, am vorigen Abend doch das Zelt aufgebaut zu haben. Nur ein Moment. Das Gesicht eines Orkhunds befand sich nur ein knappes Meter über iem und blies nun sachte feuchtes Atem in Jurins Gesicht. Orkhunde waren nicht gefährlich, zumindest nicht, wenn eins sich nicht aggressiv verhielt. Sie durchkreuzten lediglich Jurins Pläne, wobei Jurin von vornherein eigentlich keine eng eingegrenzten Pläne gehabt hatte. Trotzdem ärgerlich.

Jurin richtete sich vorsichtig auf, doch das große Pranke des Orkhunds legte sich behutsam auf sain Brust. Also legte Jurin sich wieder hin. As wusste nicht genau, was das Geste bedeutete. Aber lieber vorsichtig als verletzt. Erfahrungen hatte Jurin mit Orkhunden keine. As hatte ja bisher nie darauf verzichtet, das Zelt aufzubauen, und war sonst auch eher nicht im Gebirge unterwegs. Aber gestern, als Jurin endlich das Tal erreicht hatte, war as einfach nur noch müde gewesen.

Das Orkhund legte sich neben as auf das Boden und schmiegte das haarige Körper an as. Ein zweites Orkhund tappste heran und legte sich auf Jurins anderes Seite. Das Schnauze eines dritten Tiers schnupperte an sainem Kopf und stuppste sain Stirn mit dem Nase an. Jurin ließ die Augen geöffnet und lächelte. Irgendwo tief in as war Angst. Wie groß mochte das Rudel sein? Aber Panik brach bei iem eher nachträglich aus, wenn Jurin nicht mehr im Lage war, das Situation zu beeinflussen, also üblicherweise, wenn das potentielle Gefahr sich aufgelöst hatte.

Wie es iem gelungen war, wieder einzuschlafen, konnte Jurin sich später nicht erklären. Vielleicht war das Wärme der beiden Orkhunde links und rechts neben iem so vertrauenserweckend und fürsorglich, dass Jurins Unterbewusstsein es als Aufforderung aufgefasst hatte, restliches Angst auch noch zu verdrängen und das nötige Schlaf einzufordern. Vielleicht war es sogar erheblich besseres Schlaf, so warm und wohlig eingekuschelt, als es zuvor fröstelnd gewesen wäre. Aber als as das nächste Mal erwachte – das Sonne war längst aufgegangen –, war das eine der Orkhunde nicht mehr neben iem. Stattdessen lagen dort ein Sammlung Pilze, Beeren, Kastinien und zwei Birnen und ein Hagutte, ein festes Beere im Größe eines Apfels, das an sehr stacheligen Büschen wuchs. Jurin hatte sich jahrelang von Geschwistern darin einweisen lassen, was dem Körper bekam, was eher in Maßen und was höchstens einmal gegessen werden konnte. As hatte es ausreichend verinnerlicht, dass as das Wissen ebenfalls bereits an neue Geschwister weitergereicht hatte, mit denen as zeitweise zusammen gereist war. Die Orkhunde kannten sich mit Elbvolk aus, oder allgemein mit Fußvolk, wie das Meervolk Orks, Lobbuds, Zwerge, Elben, Menschen und verwandte Völker zusammenfasste. Vielleicht war es nicht einmal auf Fußvolk beschränkt und die Orkhunde kannten sich generell mit anderen Tieren aus, die jene vorübergehend ins Rudel aufnahmen und umsorgten.

Jurin richtete sich auf, um sich umzusehen, ein Blick ins Internet zu werfen, wenn die Orkhunde as ließen, zu frühstücken und Sachen zu packen. Eigentlich war nur das Schlafsack und das Isomatte zu verpacken. Aber als Jurin sich aufrichtete, musste as feststellen, dass die Orkhunde sain Rucksack schon auf das Rücken eines der Tiere befestigt hatten, – nicht so wie gedacht, aber erstaunlich geschickt. Es waren insgesamt vier. Zwei frühstückten abseits, eines hatte neben Jurin geruht. Das vierte bewegte sich gemächlich um das Lager herum und beobachtete as gelegentlich. Jurin prüfte das Frühstück, ob sich Sabber daran befände, aber die Orkhunde hatten es wohl geschafft, es trocken zu transportieren. Das spazierende Orkhund beobachtete Jurin genau dabei, was das Elb in welchem Reihenfolge auf welches Weise essen würde, vielleicht, um am nächsten Morgen beim Fütterung auf Jurins spezifische Bedürfnisse einzugehen, mutmaßte as. As musste bei dem Gedanken, gefüttert zu werden, schmunzeln.

Jurin frühstückte, überlegte dabei bewusst verwirrende Dinge zu tun, aber ließ es dann doch. An sich hatte as auch genug Proviant im Rucksack dabei. Ob Pilze und Früchte as ausreichend sättigen würden, blieb abzuwarten.

Die Orkhunde schienen ein Interesse zu haben, Jurin mitzunehmen. Damit hatte as halb gerechnet. Viele Rudel mochten das Spiel mit einem Tier, das ihnen über das Weg lief und interessanter war als ein Kaninchen. Das Frage war nur, wie wichtig es diesem Rudel war, as mitzunehmen, wie sehr es as drängen würde. Jurin beschloss, den Orkhunden das Gefallen zu tun, sich mit einem Hagutte auf das Rücken eines liegenden Orkhunds locken zu lassen und zu schauen, wohin sie unterwegs wären. Vielleicht würde es Jurin ja sogar näher ans Ziel bringen. As bekam das Hagutte vom lockenden Orkhund, als as auf dem Rücken angekommen war. Wahrscheinlich war es als Trick gedacht, as abzulenken, aber es überraschte Jurin gar nicht, als das Tier unter iem sich plötzlich erhob und beinahe sofort zügig zu traben anfing. Jurin bemerkte das psychologische Aspekt. Hätte das Tier sich langsamer bewegt, hätte Jurin sich freier gefühlt, beim Fortbewegung doch wieder abzusteigen. So war es zwar gerade noch ungefährlich, aber wäre ein Überwindung gewesen. Das Richtung, das die Orkhunde einschlugen, war tatsächlich nicht völlig verkehrt. Ein Orkhund kam nach, weil das Tier noch Jurins Schlafsack und Isomatte einsammelte. Jurin hatte nördlicher über die Ampen gewollt, das Kreidefelsengebirge auf dem großen Nordhalbinsel Maerdhas. Wenn die Orkhunde bis zum Küste unterwegs waren, wäre es streckenmäßig zwar kein Abkürzung sondern ein anderes Schenkel eines Dreiecks zum Zielort, aber das neue Schenkel führte dann am Küste entlang, und zwar mit nur wenig auf und ab.

Nach einem halben Tag Ritt musste Jurin allerdings feststellen, dass saine Muskeln zwar durchaus trainiert und sichtbar waren, aber nicht an Reiten auf Orkhunden angepasst. Iem tat alles weh, als sie zu Mittag rasteten. Dafür war das Rastort entschädigend schön. Die Orkhunde hatten ein Platz in einem Lichtung ausgesucht, das ein Stufe in starkem Gefälle darstellte. Ein Wasserfall brach aus einem Wald oberhalb von ihnen hervor, plätscherte in ein See, aus dem sich ein Bach das Hang hinab sein Weg bahnte. Es roch nach Frühlingsgrün und schon ein bisschen salzig. Wieder brachten die Orkhunde Jurin zu essen. Zwei blieben, dieses mal andere als beim letzten Mal, zwei sammelten Nahrung. Da Jurin die Tiere nicht auch essen sah, vermutete as, dass sie nicht gern beim Essen beobachtet wurden und dies abseits taten. Oder sie töteten dafür kleinere Tiere und verspeisten sie aus Rücksicht nicht vor Jurin, wussten, dass das nicht zu Jurins Ethik passte. Es war schlicht unbekannt, was sich Orkhunde dabei so dachten, weil das Kommunikation zwischen ihnen und Lingulen – dem Wesensgruppe, das sich durch aurale oder Schrift-Sprache annähernd barrierefrei mit Jurin austauschen konnte – nicht möglich war. Oder wer weiß, vielleicht wäre es möglich, aber Orkhunde mochten nicht. Oder das Art des Denkens unterschied sich zwischen Lingulen und Orkhunden so sehr, dass kein Kommunikation passte. Trotzdem fand sich immer wieder mal ein Paar aus Orkhund und Lingul, meistens Orks – daher der Name Orkhund, das miteinander lebte.

Viel zu schnell nach Jurins Geschmack beendeten die Tiere ihr Pause. As musste sich entscheiden, ob as sich nun weigern würde, mitzureisen, oder auch das nächste Abschnitt dabei bleiben würde, – und entschied sich für letzteres. As war einfach zu fertig, um nun weiterzuwandern. Gebirge waren nett, aber eigentlich mochte Jurin lieber flacheres Land.

Das zweite Teil des Reises ging langsamer voran. Ein anderes der Tiere trug Jurin dieses Mal. Sie stiegen zu einem großen Teil bergab, schmale Pfade entlang, hintereinander. Jurin war müde und erschöpft und konnte sich kaum halten, während die Büsche an sainen Schenkeln entlang rieben und kleine Äste durch sain Gesicht. Jurin hatte versäumt, genug zu trinken. As hätte sich einfach herunterfallen lassen können, und wahrscheinlich hätten sich die Orkhunde um as gekümmert. Aber Jurin hatte doch Angst, dass sie stattdessen mit sainem Gepäck weitergewandert wären. Zum Abend erreichten sie ein Hang mit einem Höhle darin, von wo aus das Meer hätte gesehen werden können, wäre es nicht neblig gewesen. Aber Jurin konnte es hören. Das Wind wehte hier auch anders, – konstanter aus einem Richtung, und salzfeucht. Ein Bach plätscherte das Hang hinab. Kein Wasserfall dieses Mal. Jurin trank und zwei Orkhunde sahen iem aufmerksam dabei zu. As hätte sich auch gern gewaschen, aber mochte dabei nicht beobachtet werden. Allerdings musste as schon wieder grinsen, dass as wiederum Vögeln sehr gern beim Putzen zusah, oder auch diesen Orkhunden.


Im Nacht, obwohl Jurins Glieder brannten, schlich as sich fort, als die Orkhunde schliefen. Eines der Tiere, das an sain Gepäck gekuschelt lag, wachte aber doch auf, als as die Sachen zusammen sammelte. Das Orkhund wirkte traurig, fand Jurin, aber machte keine Anstalten, as aufzuhalten. Jurin kuschelte sich zum Abschied nochmal an das weiche Fell. Sie hatten alle sehr verschiedenes Fell.

Jurin wusste, dass Orkhunde die meisten Orte mit Häusern mieden, abgesehen von NOC, dem Stadt, das bewusst Ruinen und freie Plätze baute, um für vielfältige Lebensstile Raum zu geben. Dem Stadt, in dem Jurin fast ein ganzes Jahr verbracht hatte, als as für das Spiel trainiert hatte, weil das Stadt dafür ausgezeichnetes Infrastruktur bot. Vielleicht war NOC das einzige Großstadt, das für Jurin je aushaltbar sein würde. Groß, voll, und trotzdem Raum. Das Stadt mit den meisten Windschwingen-Unterkünften pro Einwohneran.


Das Kaff, das Jurin nach dem Restabstieg erreichte, hatte nicht einmal überhaupt ein Herberge. Ein junges Familie, das frisch hergezogen war und gerade das halbe Garten umgegraben hatte, boten aber das andere Gartenhälfte mit Wiese an, dass Jurin dort das Zelt aufbauen dürfe. Die zwei lütten Kinder halfen und Jurin konnte Dankbarkeit dafür kaum in Worte fassen. Das Meeresrauschen auf den Ohren schlief as wenig später ein.


“Du stinkst!”, rief eines der Kinder, als Jurin sich draußen mit an das Frühstückstisch setzte. As hatte recht.

Das Elter hatte Jurin eingeladen, sich dazuzusetzen, und warf nun ein tadelndes Blick auf das Kind.

“Recht hast du”, sagte Jurin betont gelassen.

Das brachte das Elter wohl auf andere Gedanken. As bot Jurin an, sich zu duschen. Jurin wägte ab. In Jurins Familie, in dem ohnehin niemand so recht wusste, wie sie denn miteinander blutsverwandt waren – das Familienzugehörigkeit entschied sich anders –, gehörte es einfach dazu, dass etwa Duschen kein Eigentum waren. Wer kam und ein Dusche brauchte, brauchte nicht einmal zu fragen. Es sei denn, ein anderes Person benutzte jenes gerade. Weil Jurin mit diesem Verhältnis zu Eigentum groß geworden war, Eigentums-Mentalitäten anderer Völker und Gemeinschaften also quasi nur von Lern-KIs und Hörensagen erlernt hatte, fehlte iem dafür ein gewisses Gefühl. As war lieber übervorsichtig, fragte nie nach so etwas und nahm solche Angebote eher selten an. Aber in diesem Fall resultierte das Frage aus einem Störfaktor, – dem Stinken. Schließlich zuckte Jurin innerlich mit den Schultern und stimmte vernehmlich zu. Wer fragte, sollte das bitte auch ernst meinen. As fiel erst unter dem Dusche auf, dass es ja auch Höflichkeits-Mentalitäten gab, was Unterbrechungen bei Mahlzeiten betraf. Jurins Welt war eher von Kommen und Gehen geprägt, wie es halt passte, und Jurin liebte es. Im Theorie war das alles so viel entspannter. Im Praxis passte as dadurch nicht so ganz in das Rest des Welts.


“Warum hast du so gestunken?”, fragte das Kind, als Jurin zum Frühstück zurückkehrte.

Das negative Stimmung des Elters bezog sich vielleicht auf die direkten Fragen des Kindes, aber irgendwo in Jurin rumorte das Angst, dass es auf as und sain Verhalten gemünzt war.

“Ich war vorübergehend sowas wie ein Haustier von vier Orkhunden. Die müffeln”, erklärte Jurin.

Vielleicht war es das halb entsetzte Blick des Kindes, oder dass es nun wieder ein Anknüpfpunkt an das Situation gab, oder auch, dass Jurin im jetzigen Situation unsicher war, dass das Panik sich dieses Zeitpunkt aussuchte, um in Jurins Nervensystem zu schwappen. Jurin legte das Besteck ab, bevor das Zittern zu sehr auffiel, konzentrierte sich auf das Atem, und – weil das oft geholfen hatte – ließ das unangenehme Gefühl zu, fühlte hinein und versuchte zu benennen, was es war. Das Moment, das sich so angefühlt hatte, als wäre Jurin ein Spielzeug. Das Machtlosigkeit. Das nicht mehr selbst bestimmen können. Das Gefühl von Entwürdigung, dass die Orkhunde Jurin als Experiment gesehen hatten, als Beobachtungsobjekt, wenn auch sehr fürsorglich und liebevoll. Und das kognitive Dissonanz dazu, dass Jurin sehr wohl mit kleinen Tieren, die nicht direkt das Weite suchen würden, ein solches Verhalten verstehen konnte. Eigentlich hatte Jurin sich wohl gefühlt. Die Orkhunde hatten iem Sicherheit gegeben, Jurin hatte erstaunlich leicht einschlafen können. Und sie hatten as gehen lassen. Es war mehr das Angst vor Überschreiten von Schranken, es war nicht tatsächlich passiert. Dieses letzte Gedanke führte schließlich zu Erleichterung und as kehrte aus sainem Kopf zurück in das Leben im hier und jetzt. Möwen flogen weit über dem Kaff und kreischten. Das Meer war hier als kontinuierliches, leises Rauschen hörbar. Aber zwischen dem Haus und dem Meer war noch ein Deich und ein Dünenlandschaft. So richtig wohl fühlte Jurin sich nicht und vielleicht war das gegenseitig. Also bedankte as sich für das Gastfreundschaft, packte die Sachen, – dieses Mal ordentlich und nicht überstürzt –, und brach auf.


Obwohl Jurin sich Sachen stets leicht wählte, war das Rucksack schwer, drückte unangenehm auf die Schultern. Auch die Beine taten noch vom Vortag weh. Jurin sehnte sich nach einem Pause. Nach Schlaf in einem Bett und dem Gefühl, ein neues Ort erfühlen zu lernen. Ein paar Stunden spazierte Jurin langsam auf dem Deich entlang, nutzte ein Ast als Spazierstock, das aber nur mäßig half. Für das Psyche allerdings schon: Jedes Schritt hatte dadurch ein Bedeutung, lenkte ab davon, dass es nur ein Fitzelchen des langen, noch zu gehenden Streckes war. Das Fokus war mehr auf dem Schritt. Jurin lächelte und atmete das warm-windige Meerluft des Spätfrühlings ein, machte Pausen, in denen as einfach auf einem Bank auf dem Deich saß, Proviant aß und den Seeschwalben beim Jagen zusah.

Wie so oft blieb Jurin allerdings nicht im Hier und Jetzt, sondern schweifte gedanklich in das Entwicklung von Spielideen ab. In das Entwicklung des letzten komplexen Virtualitäts war das Erfahrung des Lebens in NOC geflossen. Kein allzu gutes Virtualität, eigentlich. Das Spielrunde, das nun frisch begonnen hatte, war interessant. Das Thema Wasser klang zwar erstmal nicht politisch, aber war es irgendwie doch. Jurin hatte sich bei einem Spielgruppe beworben. Es war noch nicht klar, ob as genommen werden würde. Jurin hatte offen gelegt, dass as bisher als Ærenik gespielt hatte, um das Vergangenheit transparent zu machen, obwohl as eigentlich auch Lust auf ein Neuanfang gehabt hätte. Das Ruf des Spielcharakters Ærenik war nicht unbedingt gut.

Politisch war das Spielrunde, weil dieses Mal viele alte Personen teilnahmen, aber vor allem auch, weil mit dem Thema Wasser aus dem Meervolk Stimmen laut wurden, dass bisherige Runden ein bestimmtes Körpertyp bevorzugt hatten – Körper mit Beinen nämlich, ob das dieses Mal vielleicht nicht Default sein möge.

Es war ständig das Problem, dass etwas Default war. Das war Jurins Assoziations-Gedanke zum Einstieg in Brainstorming für das Spiel gewesen, dass Jurin als Windschwinge gerade wieder einmal gemerkt hatte, nicht so recht in dieses Welt zu gehören. Es kam iem ungerecht vor, dieses Gedanken zu haben, während das Meervolk da ganz andere Anschlussprobleme hatte. Aber Myrie, ein Nixe, mit dem Jurin sich länger online ausgetauscht hatte, hatte as motiviert, darüber zu reden. Jurin hatte dadurch das Mut gefasst, öffentlich zu machen, dass as Windschwinge war und zu versuchen zu beschreiben, was es heute bedeutete. Dass jenes auch den Namen Ærenik herleitete: Ær wie das nordisch-niederelbische Wort für Luft oder Wind, und Nik, so etwas wie das Göttan des Windes in einigen religiösen Windschwingen-Zweigen.

Nun überlegte as, wie Kritik am Selbstverständlichkeit Sesshafter in einem Spiel sinnvoll wiedergespiegelt werden könnte. Wie das Situation eben in ein Spiel verfrachtet werden könnte. Aber das war nicht so einfach. Das Interaktion war von Personen geprägt. In Spielen verlangte ein Abbildung davon also nach KIs, nach NPCs – non-player Characters. Jurins letztes Spiel hatte nicht ohne Grund keine NPCs enthalten: Das war nicht Jurins Stärke. Aber bei Häusern allein in Virtualitäten fiel Sesshaften nie etwas auf. Es müsste doch möglich sein, irgendwie Kritik zu üben, dass zwar nun das Konzept von Reichtum an sich zerstört war und niemand Probleme hatte, Wohnraum zu finden und dort ohne Komplikationen einzuziehen, dass aber immer noch Besitzdenken Norm war. Dabei sprach nichts dagegen, wenn Leute keine Fremden in ihr Haus lassen wollten, oder eben von jenem als ihr Haus dachten, aber vorauszusetzen, dass da alle ähnlich gepolt waren, sodass Leute es schon als aufdringlich empfanden, wenn sie gefragt wurden, ob jemand in ihrem Garten zelten oder in ihrem Wohnzimmer schlafen durfte, setzte ein Norm, das Windschwingen immer in das Position drängte, zu erklären. Jurin verstand das Gedanken, ein Haus zu besitzen, überhaupt nicht. As freute sich darauf, am Abend des Folgetages das Windschwingenhaus auf dem Kreidefelshang hinter Geesthaven zu erreichen, in jenem ein Zimmer zu beziehen, wenn eines frei wäre, und für ein paar Wochen, vielleicht knapp zwei Monate dort zu Hause zu sein. Wie es Personen für viel länger an einem Ort halten konnte, konnte Jurin sich nicht vorstellen. Sicher, manche Windschwingen kehrten immer wieder an das selbe Ort zurück. Manchmal sogar in das selbe Zimmer. Aber wenn gerade ein anderes Person dort wohnte, dann war das eben auch schön. Das gab dem Raum ein neues Charakter, ein neues Bedeutung, ein Bereicherung. Und es verwurzelte nicht unangenehm. Veränderung war natürlich. Das Denken dahinter, ein Raum zu besitzen, fühlte sich für Jurin seltsam an. Und doch war es eben default. Aber wie ließ sich das in ein Virtualität abbilden?


Im nächsten Dorf befand sich tatsächlich ein Herberge, kein Windschwingen-Herberge, aber eins mit Schnellwaschanlagen, wo Jurin das dreckige Wäsche grob reinigen und das Proviant auffüllen konnte. Windschwingen-Herbergen waren persönlicher, wirkten mehr wie ein Zuhause, wo es nicht so war, dass sich alles geliehen anfühlte, sondern vorübergehend einem alles gehörte. Ein anderes Art Gehören als Besitz.

Während das Wäsche rödelte, setzte sich Jurin mit einem frisch warm gedruckten Töften-Speise und Faltrechner auf das Hochterasse. Es war einfach gehalten, mit leichten Grobkiesplatten gepflastert auf dem Vordach, mit Klapptischgarnituren aus einfachstem Holz, gegen das Wetter lackiert, aber es reichte völlig. Von hier aus konnte as das Meer sehen. As wollte doch morgen Vormittag tanzen gehen. Ob die Beine bis dahin wieder taten, was as wollte?

As entrollte das Faltrechner, klappte es auf und schaute sich das Orts- und Wetterseite an. Kein Regen, nur Wolken und Wind. Zwei Orte weiter würde es ein Fahrradaustauschpunkt geben. Aktuell waren genügend Räder dort, sodass as sich wohl eines leihen könnte, um nach Geesthaven zu gelangen. In dem Fall würde Jurin ausreichend Zeit haben, ein ausgiebiges Mittagsschlaf zu machen, und trotzdem pünktlich zu sein. Jurin wollte gründlich abwägen, aber as war einfach zu müde. Im Bett eines Gruppenherbergszimmers schlief as ein. Es war leer, abgesehen von etwas Gepäck an einem Bett, das vielleicht heute Nacht wieder benutzt werden würde.


Beim Fahrradaustauschpunkt konnte Jurin nicht nur ein Rad bekommen, sondern auch das Rucksack gegen Fahrradtaschen eintauschen. Jurin lieh ein Helm dazu.

Das Fahren war so viel angenehmer als Wandern im Gebirge. Das Straßenbelag des Küstenstraßes fuhr sich wundervoll reibungsarm. Jedes Mal, wenn as sich auf ein Fahrrad setzte und anfuhr, war es wie ein Rausch, wie ein sich Erinnern an etwas, was immer viel zu lange her war. Dieses Beweglichkeit, dieses Möglichkeit des leisen, schnellen, stabilen Fortbewegungs. Jurin trat in die Pedale und raste auf dem Küstenstraße entlang, das genau für solche Zwecke ausgelegt war, radelte, obwohl die Muskeln doch eigentlich vor dem Schlaf noch heftigst protestiert hatten, das halbe Nacht durch und kam einige Stunden vor Morgengrauen in Geesthaven an. Dort stellte Jurin das Fahrrad vorm Schlafen gehen noch im Unterstand des Fahrradverleihs vor Ort ab, tauschte die Radtaschen gegen ein anderes Rucksack – in das Richtung tauschen war meistens leichter, und schritt das Hügel hinauf zum Windschwingen-Haus.

Still lag es da. Blumenkübel und Beete umgaben es. Was hier wuchs, überraschte oft. Es gab Pötte, die mit Schildern gekennzeichnet waren, was darin wachsen sollte, und eben Überraschungspötte. Da sagte ein Schild lediglich aus, dass schon gesäht oder verbuddelt war, was wachsen sollte. Jurin warf ein Blick in eins der Überraschungspötte und mutmaßte, dass es sich um Rosifam und Basilikum handeln könnte. Das würde sich wahrscheinlich noch während saines Aufenthalts zeigen. Das Haus war nicht leer, nur still. Ein Kreidezeichen am Tür sagte, dass derzeit ein Windschwinge hier hauste. Jurin veränderte es mit dem bereit liegenden Kreide. As schlich leise ins Haus. Das belegte Zimmer war unten am Ende des Flurs, wo auf dem anderen Seite das Treppe ins obere Stockwerk führte. Es knarzte leise. Am Wand hingen selbstgemalte Bilder, einige wohl aus Kinderhand, aber ein Gemälde eines Persons, das wohl sehr viel geübt hatte, war auch dabei, zeigte ein Kormoran im Eissturm. Das ganze Haus machte ein so viel wohnlicheres Eindruck als jedes andere Herberge, das von Sesshaften für temporären Aufenthalt je errichtet worden wäre. Im Flur stand ein Vase auf einem Holztisch mit Wildblumen darin. Jurin warf ein Blick in jedes der vier Zimmer im oberen Stockwerk und entschied sich für das kleinere der beiden mit Meerblick. Es hatte ein wenig Dachschräge, Holzpanelen am Decke, ein einzelnes blaues Kornrose in einem Vase auf dem Seite des Fensterbanks, auf dem das Fenster geschlossen war. Das andere Flügel war leicht geöffnet und ließ Meerluft herein. Ein Haken hinderte das Flügel daran, herumzuschwingen. Das Bett war noch nicht bezogen, aber Bettzeug lag daneben. Jurin bezog es selbst und breitete das eigene Kuscheldecke darüber aus. Das Plüschflederflüffchen kam neben das Kissen am Kopfende. Das Bettwäsche war regenbogenfarbig gemustert. Jurin räumte sehr leise noch das Schrank ein, bevor as sich wieder zum Schlafen legte. Das Nacht würde kurz werden, aber as hatte am Tag genug vorgeschlafen.


Jurin wachte auch wieder auf, bevor das andere Person aktiv wurde. As nahm sich das Zeit, sich das Schädel sorgfältig mit einem Messer zu rasieren, abgesehen von dem Raute auf dem Hinterkopf, aus dem das kräftige dunkelbraune Haar immer noch für ein langes, dickes Pferdeschwanz ausreichte. Das Raute, das für Jurins Nachnamen verantwortlich war.

Zum Sonnenaufgang war as auf dem Deichwiese, auf dem das Tanzfläche aufgebaut wurde, und beteiligte sich an den Arbeiten. Direkt hinter dem Deich war auch bereits Musik zu hören. Leise, langsame Streicheranentöne, wenig Bass, weil jenes über das Deich hinweg das schlafende Kleinstadt erreicht hätte. Es war kalt und gerade so ausreichend wenig feucht, dass das Parkett, das gerade verlegt wurde, nicht litt. Jurin hakte mit einem anderen Person die Panelen vorsichtig ineinander. Das dafür geformte Nut in den schon liegenden Panelen, sog das Fortsatz befriedigend perfekt in sich ein, sodass die Panelen annäherend lückenlos ein glattes Tanzfläche ergaben, das hinterher auch wetterfest wäre. Jurin hatte sich das genaue Technik zuvor im Internet angesehen, um keine Fragen stellen zu müssen. Fragen stellen wäre natürlich auch nicht schlimm gewesen, aber so ging es leichter. Andere Personen bauten Musikboxen und ein Bühne auf. Es würde nicht das ganze Zeit Live-Musik geben, aber zeitweise schon.

Als das Band ankam und das Bühne in Anspruch nahm, pausierte Jurin mit einigen anderen Helferanen am Strand, wo sie gemeinsam frühstückten. Bevor es wirklich losging, trug as mit den anderen noch einige Tisch- und Bankgarnituren heran und richtete ein Buffet auf, das aus Mitgebrachtem bestand. Jurin selbst hatte nichts mitgebracht. Das wäre angesichts der öffentlichen Lebensmitteldrucker in Geesthaven Unsinn gewesen.

Die ersten tanzten schon, als endlich alles fertig errichtet war. Ein Mensch ärgerte das, weil schon Leute genießen konnten, bevor die Aufbaueranen das Gelegenheit hatten. Jurin störte das nicht. Sie hätten sich entscheiden können, Arbeit liegen zu lassen oder abzugeben, Personen einzubinden. Die Tänzeranen hätten im Weg gestanden, weil zu viele Hände auch nicht halfen, da waren sie doch auf dem Tanzfläche bestens untergebracht.

Dennoch freute sich Jurin, nun endlich zu tanzen. Darauf hatte as sich tagelang gefreut. As begab sich zunächst an das Tanzschuhausgabe und lieh sich ein Paar Tanzschuhe, probierte einige durch. Dann, als as passende gefunden hatte, stellte as sich in das Reihe zum Bändchentisch. Es war Paartanz angesagt. Bändchen sagten aus, wie fortgeschritten Leute tanzen konnten, und das Arm, um das es geknotet wurde, ob ein Person führen oder folgen wollte. Jurin band ein F3-Band an das rechte Arm. As mochte lieber führen. Neben dem Tisch nahe des Tanzfläches stand ein kleines Ork mit graubrauner Haut, einem blassrosa Tüllkostüm, das sain grazile Figur betonte, in dazu passenden Farbtönen geschminkt, mit einem F1 Band links und einem A Band rechts. Das Ork stand dort schon ein ganzes Weile und wurde nicht gefragt. Jurin vermutete, dass die Tänzeranen, die nun schon unterwegs waren, alle fortgeschrittener waren. Wie as selbst. Es war nicht so, dass verschieden fortgeschrittene Personen nicht miteinander tanzen dürften, oder es nicht so vorgesehen wäre. Es ergab vor allem Sinn, weil es ein Tanzpartneran-Findeprogramm war, das als Ziel hatte, ein oder mehrere Tanzpartneranen für ein anschließendes Tanzkurs zu finden.

Jurin schritt auf das Ork zu, hob das Arm, um das Bändchenwahl transparent zu machen und grinste kurz. “Was soll’s. Ich kann wohl auch ein fast Anfängeran führen. Willst du?”

“Ærenik?”, fragte das Ork.

“Jurin”, widersprach Jurin, schlug sich aber kurz darauf an das Stirn. “Mist. Wenn du mich unter Ærenik kennst, wollte ich mein Klarnamen nicht gesagt haben.” Wieder einmal ärgerte sich Jurin im Nachhinein, damals beim Erstellen eines Avatars entschieden zu haben, dass jenes starke Ähnlichkeiten mit iem hatte, – das Raute im Haarstyle vor allem.

“Ich kann gut vergessen”, sagte das Ork. “Ich bin Fee.”

“So siehst du auch aus”, sagte Jurin.

Fee hob die Brauen und runzelte das Stirn. Erst jetzt bemerkte Jurin, dass das Schminke im Gesicht auch glitzerte, besonders an den Schläfen. Es war ein schönes Kostüm mit Spitzenverzierungen in dunkelrosa.

“Willst du jetzt tanzen? Oder nicht?”, fragte Jurin.

“Kommt etwas drauf an”, erwiderte Fee. “Ich mag gern Spaß haben und nicht permanent bewertet werden. Kriegst du das hin?”

“Denk schon”, überlegte Jurin. “Zählt für dich als Bewertung, dass ich etwas abwerte, oder auch schon sowas wie ein sachliches Hinweis auf Tanzhaltung? Ich kann beides lassen, will es nur wissen.”

“Beides”, sagte Fee.

“Ein Fee, das nicht Wünsche erfüllt, sondern welche hat. Na gut”, kommentierte Jurin und bot das Arm, um Fee aufzufordern, iem zum Tanzfläche zu folgen, aber Fee hakte sich nicht direkt ein.

“Bist du immer so stichelnd? Oder hat das was mit mir zu tun?”, fragte as stattdessen.

“Ich bin nur sentrop, das ist alles”, erklärte Jurin. As hielt den Arm immer noch bereit.

“Sentrop, wie in grundabgeneigt gegenüber allen Wesen, je besser sie denken können sozusagen?”, fragte Fee.

“Sozusagen”, bestätigte Jurin halb lächelnd. Kein glückliches Lächeln.

“Das ist schon eine sanistische Einstellung”, sagte Fee.

As machte so überzeugend wenig Anstalten, Jurins Arm anzufassen, dass Jurin es doch wieder sinken ließ.

“Das ist mir neu. Sanism war doch die Abwertung gegenüber Personen, weil nach irgendwelchen teils unsinnigen Maßsstäben ihr Denkfähigkeit schlecht bewertet wird, also quasi das Gegenteil”, überlegte Jurin. “Vielleicht sollten wir doch nicht direkt tanzen, sondern erst einmal reden.”

“Klingt nicht verkehrt”, sagte Fee unsicher. Sain Blick schweifte dabei ein Spur zu lang zu Jurins Handgelenk, das gerade noch halb erhoben gewesen war, folgte diesem auch, als Jurin es mehr kippte und wieder hob. Unterhalb des Daumens auf dem Unterarm nahe dem Gelenk waren zwei Bögen in weiß eintätowiert, unter der kaum dunkleren Haut. Zwei Bögen, wie Kinder oft Vögel zeichneten. Ein Zeichen, das sich viele Windschwingen tätowierten und Jurin hatte es im vergangenen Jahr auch entschieden.

“Hast du Vorurteile gegenüber Windschwingen?”, fragte Jurin.

“Glaub schon”, gab Fee zu. “Ich würde sie gern loswerden.”

“Und willst von mir aufgeklärt werden oder deine Fragen beantwortet bekommen”, mutmaßte Jurin. Nun war as tatsächlich etwas verärgert.

“Wenn du magst”, sagte Fee. “Wenn nicht, ist das völlig in Ordnung.”

“Natürlich ist es völlig in Ordnung, das brauchst du mir nicht zu versichern”, stellte Jurin klar.

“Stimmt. Es tut mir leid”, erwiderte Fee.

“Wenn du weißt, oder vermutest, dass du Vorurteile hast, dann gibt es dieses wundervolle Sache, das sich Lern-KI nennt. Schon mal daran gedacht?”, fragte Jurin.

“Ja. Und funktioniert bei mir nicht. Ich bin nicht so kompatibel mit Lern-KIs”, erklärte Fee.

“Sind Lern-KIs nicht die Devices, die quasi anpassbar an alle Probleme sind?”, fragte Jurin.

“Woah, vergiss es!”, rief Fee auf einmal etwas lauter. Ein Moment wirkte Fee unentschlossen, ob as weggehen wollte oder nicht. Dann wirkte as weiterhin unentschlossen, aber weniger spontan unentschlossen.

“Und? Habe ich dir nun irgendwelche Vorurteile gegenüber Windschwingen bestätigt?”, fragte Jurin.

“Nein, du verhältst dich einfach so scheiße”, erwiderte Fee.

“Weil ich keine Aufklärungsarbeit machen will, wenn ich eigentlich tanzen möchte?”, fragte Jurin.

“Nein, das ist dein gutes Recht. Das habe ich gesagt, mich dabei unglücklich ausgedrückt, aber das war nie das Problem.”

Jurin nickte. Das Wut war auf einmal weggeblasen. Es flammte dann doch noch einmal kurz auf, wie ein Windböe, aber irgendwo spürte Jurin, dass Fee verletzt war und das vielleicht tatsächlich, weil Jurin unsensibel gewesen war.

“Ich würde mich, weil Lern-KIs für mich funktionieren, ein Runde ans Strand zurückziehen, die Situation meinem PKI erklären und schauen, was ich lerne. Dazu müsste ich persönliche Daten von dir weitergeben. Ist das okay? Und falls ja, dürfen sie zu anonymen Studienzwecken und KI-Trainingszwecken gespeichert bleiben, oder sollen sie nach Erklärungen an mich wieder gelöscht werden?”, fragte Jurin.

“Ersteres ist in Ordnung, speichern lieber nicht”, entschied Fee.

Jurin nickte wieder und wandte sich zum Gehen. Dann aber drehte as sich doch noch einmal um. “Alternativvorschlag:” sagte as. “Du erklärst mir, was gerade das Problem war und das Sache mit Sanism bei Sentropie, und ich beantworte dir Fragen zu Windschwingen, unter dem Voraussetzung, dass du dich bemühst, nicht ignorant zu sein. Vielleicht kann ich dabei auch gleich umsetzen, was ich aus deinem Teil des Aufklärungs lerne.”

Fee zögerte, dann nickte as. “Einverstanden, wenn das mit dem Bemühen bezüglich Ignoranz für dich genau so gilt.”

Jurin lächelte und nickte, vielleicht fast ein Verbeugung damit andeutend.


Sie zogen ihre Tanzschuhe wieder aus, aber gaben sie nicht ab, schließlich wollten sie nachher dann wirklich tanzen. Fee nahm sich vom Buffet etwas zu essen mit, bevor sie das Pfad zwischen den Dünen hindurch zum Strand einschlugen. Das Wettervorhersage von vor zwei Wochen hatte wenig Wind für dieses Tag vorhergesagt und recht behalten. Das Meer spiegelte das Sonnenlicht, lag ruhig vor ihnen. Niedrige Wellen spülten über das Sand. Jurin wollte sich auf das Strand setzen, aber Fee schlug stattdessen ein Bank vor, das in die Ausläufer der Dünen gebaut war.

“Ich mag dein Outfit übrigens”, sagte Fee.

Jurin sah unnötigerweise an sich herab und nickte. As trug ein kurzes, schwarzes Spitzenkleid, das die muskulösen Schultern und Oberarme frei ließ, und ein an den Beinen eng anliegendes Hose aus dünnem, schwarzem, glänzendem Material. As nickte noch einmal, wusste nicht so genau, ob es ein Verschwisterungskompliment war, oder eines unabhängig von ihrem Streit.

“Was dagegen, wenn wir direkt zum Sache kommen?”, fragte Jurin.

Fee schüttelte das Kopf.

“Warum sind Lern-KIs für dich also kein Sache, das geht?”, fragte Jurin.

Fee seufzte und blickte auf das glänzende Wasser. “Das Frage ist viel eher, warum du das verstehen musst, um mir zu glauben, dass es so ist?”

“Es ist halt so ein Standardargument.”, antwortete Jurin prompt, “Nach dem Motto: Ich bin nicht schuld an meinen Vorurteilen, weil mir das niemand persönlich erklärt, und das alles so kompliziert ist, mich damit selber zu befassen. Sowas sagen Leute meistens, um ihr Ignoranz zu kaschieren. Und das regt mich dann auf.”

“Aber für viele ist es tatsächlich kompliziert, sich damit selber zu befassen. Ich glaube, für weit mehr, als die meisten es einschätzen. Weil individuelle Barrieren so unsichtbar sind”, erklärte Fee.

“Dann hilft aber doch, die Barrieren sichtbarer zu machen, oder nicht?”, fragte Jurin, “Verständnis und Nachvollziehbarkeit und so.”

“Ja, das hilft, und kein Sorge, dazu komme ich noch, ich erkläre es noch. Aber ein Notwendigkeit zum Nachvollziehbarkeit existiert nicht”, stellte Fee klar. “Ob Probleme von Personen als valide anerkannt werden oder nicht, sollte nicht davon abhängen, ob sie nachvollziehbar sind oder ein Label haben.”

“Und woher soll ich dann wissen, ob es ein echtes Problem ist, oder Leute sich nur rausreden?”, fragte Jurin.

Fee seufzte erneut, beugte sich vor, lehnte sich dann doch wieder zurück und seufzte noch einmal. “Da sind so so viele Probleme in dem, was du sagst”, sagte as. “Wie stellst’n du dir das vor? Dass Leute dir ein Attest oder sowas übermitteln oder dir ihr Krankenakte zukommen lassen?”

Jurin schüttelte das Kopf. “Ich würde schon glauben, wenn du einfach sagst, du hast das und das Krankheit oder Behinderung. Aber ein Name zum Verstehen wäre halt schon gut.”

“Das ist ableistisch as slik!”, fluchte Fee und artikulierte langsam und deutlich: “Dir ist niemand Rechenschaft schuldig dafür, es nicht so leicht zu haben, etwas nicht zu verstehen.” Fee merkte, wie Jurin schon wieder etwas sagen wollte, hob aber das Hand und Jurin schwieg. “Glaubst du, dass jene ignoranten Personen, die du als Begründung dafür angibst, dass ich mich rechtfertigen muss – und ich bezweifle nicht, dass sie existieren –, nicht lernen würden, dass sie nur mit einem Label für ein Krankheit oder Behinderung kommen müssen, damit du ihnen glaubst? Und dass, sobald sie das täten, du mehr Nachvollziehbarkeit von Behinderten haben willst? Dass du also gerade von einem marginalisierten Gruppe erwartest, dass sie dir beweisen, dass sie nicht die Bösen sind, weil du als Default annimmst, dass Leute böse wären?”

“Leute sind böse”, murmelte Jurin. Aber auch Fee merkte, dass das Energie in den Worten fehlte und Jurin es nicht als Widerspruch meinte. As strich sich durch das lange, dunkelbraune Haar und lehnte sich ebenfalls zurück. Das Sonne war langsam das Himmel hinaufgewandert. Das Ampenmeer glitzerte nun woanders. Dann aber kam das Wut zurück. “Also soll ich vorsichtshalber immer mega freundlich und zuvorkommend alle aufklären. Weil es ja sein kann, dass sie es tatsächlich nicht selber hinkriegen?”

Fee schüttelte das Kopf. “Wie gesagt, das war nie das Problem. Natürlich musst du gar nichts.”

“Aber wenn das angeblich so viele nicht können, wie sollen dann Vorurteile abgebaut werden und Aufklärung passieren, wenn es nicht an mir hängen bleibt?”, fragte Jurin. “Erklär mir das bitte.”

“Deine Gedanken resultieren daraus, dass du, wie so viele, voraussetzt, dass es für jedes Problem ein vertretbares Lösung geben muss”, erklärte Fee, “aber das ist nicht das Fall. Für dieses Problem gibt es keins.”

“Also bleibt das Welt einfach so scheiße, wie es ist?”, fragte Jurin.

“Es verändert sich nur langsamer, als wir wollen. Und glaub mir, ich will sehr”, sagte Fee resigniert. “Ich fühle mich sehr mies dafür, dass ich das nicht in Eigenarbeit auf das Reihe kriege. Aber Barrieren sind eben da, und Aufklärungsarbeit kann nicht von einzelnen betroffenen Personen geleistet werden, das darf auch nicht erwartet werden. Lern-KIs helfen da sehr, aber lösen das Problem eben auch nicht. Und somit ist der Instant-Lösungswunsch halt nicht erfüllbar.”

Jurin hätte gern widersprochen. Aber as stieß dabei an allen Ecken wieder auf die Argumente, die sie schon besprochen hatten. Dass as vermutete, dass es eben doch ein Menge ignoranter Personen gab, die Unverständnis vorschoben, aber das war ein Unterstellung. Und dass as sich ein Möglichkeit wünschte, zu unterscheiden, wann es ein Unterstellung wäre und wann nicht. “Nicht einmal von einem Fee”, murmelte Jurin schließlich.

Fee lächelte traurig und zog ein kleines Stab aus dem Ausschnitt, an dessen Ende ein Glitzerstern angebracht war. Fee schwang das Zauberstab und es glitzerte mehr als nur im Sonnenlicht: Irgendetwas reagierte mit dem Luft. Es hinterließ ein leicht flimmerndes Glitzerspur, wo Fee es entlangschwang. Jurin musste grinsen. Es war ein schönes Spielzeug. Irgendwie verwandelte Fee auf diese Art Jurins Stimmung tatsächlich.

“Das Problem mit den Labeln für Behinderungen, die du wissen möchtest, ist auch sein Komplexität und sein Sinnhaftigkeit, das teils einzig für Akzeptanz gegeben ist. Klar lässt sich da was grob kategorisieren, aber das sollte vor allem hilfreich für mich oder andere Betroffene sein, und nicht dafür, dass du glaubst, dass sowas wie Erarbeiten nicht mal eben geht. Das hieße ja auch, dass jedes Form von Denkeigenart, das dazu führt, dass ein Komplex nicht so leicht verstanden werden kann, ein Name braucht. Und da sind wir wieder am Anfang:”, erklärte Fee. “Du würdest mir nicht einfach glauben, wenn ich selber Erarbeiten nicht leisten kann, also muss ich ein KI einordnen lassen, warum ich nicht selber Erarbeiten kann, wobei mir das KI sofort glaubt, dem ein Namen gibt und mit dem Namen glaubst du mir dann. Und das Namenfinden mit dem KI ist auch schon etwas, was ich nicht eben mal kann.”

Jurin nickte. “Ein Dilemma, von dem ich immerhin mal gehört habe. Ich dachte nur, Label helfen Personen mit Behinderungen dabei, zu vermitteln, was los ist.”

“Klar”, räumte Fee ein. “Es sollte nur nicht nötig sein, dafür dass mir meine Probleme geglaubt werden. Es ist gut, dass Label helfen, zügig zu erklären, welches Hilfe eins braucht oder wie Missverständnisse vermieden werden können oder ähnliches. Aber dass ich Label brauche, damit mir geglaubt wird, dass ich ein Problem habe, das ich zunächst ohne Label benenne, das ist einfach nur Ableismus.”

“I see”, murmelte Jurin. As strich sich wieder durch das lange Haar. Es fühlte sich schön auf der Haut an. “Ich glaube, das habe ich getan. Das tut mir leid.”

Fee nickte. “Nicht zu knapp.”

Ein Augenblick fühlte es sich wie ein böses Stich an, dass Fee hier noch einmal nachtrat. Aber eigentlich war es kein Treten. Wenn Jurin das Gespräch bis gerade betrachtete, dann hatte Fee einfach Recht. Das realisierte Jurin vielleicht sogar erst durch das erneute Betonung. Es war nicht zu knapp gewesen. Und niemand musste verzeihen. “Stimmt”, sagte as also. “Es tut mir leid.”

Sie schwiegen ein Weile. Jurins Kopf war voll. Immer wieder kam es darin zum selben Ablauf. Das Frage, woran Jurin erkennen sollte, ob Leute sich herausredeten. Denn as hatte kein Lust, Leuten Themen aufzuarbeiten, die sich nicht einmal Mühe gaben. Allerdings war in dem Gespräch gerade ein Menge von Jurins Seite aus mies gelaufen, obwohl as sich Mühe gegeben hatte. Oder nicht? Es war alles sehr verwirrend. As kam wieder ins Sinn, dass as sentrop war, for a reason. Mit sprechenden, denkenden Lebewesen zu interagieren war einfach oft so desillusionierend und enttäuschend. Obwohl es in diesem Fall nicht an Fees Ignoranz lag – wahrscheinlich zumindest –, sondern in diesem Gespräch herausgekommen war, dass die Probleme nicht so ohne Zeit und weiteres lösbar waren. Probleme, die es unter weniger zerdenkenden Lebewesen vielleicht nicht gab. Oder doch?

“Lust, mir das Problem an Sentropie zu erklären?”, fragte Jurin.

“Gleich”, willigte Fee ein. “Ich mag dir nun die Lern-KI-Probleme erklären, wenn du noch willst.”

“Gern”, sagte Jurin. Sanfter, vielleicht, weil as sich resigniert fühlte.

“Ich habe tatsächlich aus exakt besagten Gründen kein Label”, leitete Fee ein. “Ich habe mit einem psychologischen KI Tests angefangen, um es einzuordnen, aber wegen Energiemangel und Fokusproblemen abgebrochen.” As holte Luft und setzte sich auf ein Fuß, stellte das andere auf und kippte das zugehörige Bein. “Ich habe immer zu wenig Energie. Lern-KIs erzwingen nichts. Und es gibt so viele, so so viele Probleme zu verstehen. Das ist ein Berg. Ich kann mich nie entscheiden. Es laugt mich alles aus. Ich kann nicht gut Pausen planen. Das führt letztendlich dazu, dass ich mich vor allem nur dann mit Problemen, Rätseln, whatever beschäftigen kann, wenn das Umgebung meint, nun wäre ein Gelegenheit, das sich so nicht wiederergeben wird.”

“Wie das Begegnung mit einem Windschwinge persönlich, das du nicht kennst”, schloss Jurin.

Fee nickte. “Genau. Und es tut mir auch leid. Und ich habe auch keine Erwartungen an dich. Es ist nur eins von diesen Situationen, die meinem Gehirn tatsächlich ein Bereitschaft geben, das über das Energiearmut hinaus geht. Scheiß-Sache.”

“Wäre ohne Ableismus wohl weniger scheiße”, fuhr Jurin mit Mutmaßungen fort.

“Ein wenig.”

Jurin verzichtete darauf, ein weiteres Mal zu sagen, dass es iem leid tat, so gewesen zu sein. Seltsamerweise fühlte sich Fees Beschreibung tatsächlich nachvollziehbar an, nach etwas, was Jurin schonmal erlebt hatte, wenn as besonders müde war. Aber vielleicht waren Personen auch einfach individuell.

“Sentropie bezieht sich auf das alte, ableistische, oft rassistisch gebrauchte Begriff ‘sentinente Spezies’. Also steckt im Begriff schon, dass wir Denkfähigkeit bewerten und Personen dafür auf- oder in diesem Fall abwerten dürften.”, begann Fee schließlich das letzte Problem zu erklären.

“Wobei sentinent zu sein, vor allem, wenn wir es mit Intelligenz verknüpfen, was ja normalerweise getan wird, erstmal ein Privileg ist”, warf Jurin ein. “Also, sehe ich eigentlich Sentropie als sowas ähnliches, wie ein generelles Abneigung gegenüber oder Wut auf Personen, die von Normen und vorherrschenden Strukturen profitieren. Ist das ein Problem?”

“Wenn das wirklich wäre, worauf du dich beziehst, wäre das vielleicht okay, aber das ist unwahrscheinlich”, räumte Fee ein. “Dieses Grundwut ist doch auf Probleme bezogen, die wir in unserem Gesellschaft haben, oder nicht? Du bist wütend, weil sich Leute nicht hinsetzen, und sich mit Dominanzkultur auseinandersetzen. Oder dass dieses Dominanzkultur überhaupt zum Existieren gekommen ist. Und beides liegt weder an mangelnder noch an zu viel vorhandener Intelligenz. Das Verknüpfung ist ein weit verbreitetes ableistisches Unfug-Konzept.”

“Ja, ich weiß”, sagte Jurin. As fühlte Genervtheit zurückkommen, aber versuchte es zu verdrängen. Fee hatte zuvor auch schon Recht gehabt. Es war nicht unwahrscheinlich, dass es wieder so sein würde. “Für mich hat Sentropie viel eher was mit Fühlen zu tun. Wo gefühlsfähige Wesen aufeinander treffen, kommt es zu Verletzungen, und wegen Entropie, so denke ich, eher zu mehr Schmerz als Gutem. Mich nervt das Konzept. Wenn schon Chaos, warum dann welches, das weh tun muss?”

Fee schaute nachdenklich aufs Meer hinaus. Die Wellen schwappten an das Strand, eins nach dem anderen. Waren schön, vergingen. Kein Welle wurde vermisst. Wellen fühlten nicht. Es war schön. Fee rieb sich über das obere Bein und gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. “Vielleicht bin ich in dem Punkte privilegiert. Für mich sieht es so aus, als ob sich auch ganz viel Positives aufbaut.”

“Ich mag eigentlich nicht über das Sinn des Lebens mit dir reden”, hielt Jurin as auf. “Das ist mein Problem. Ich habe nur so viel preisgegeben, um mit dir herauszufinden, ob das sanistisch ist.”

Fee schüttelte das Kopf. “Ich glaube, tatsächlich nicht. Es tut mir leid. Das war ein Unterstellung meinerseits.” As schwang das Zauberstab erneut. Auch dieses Mal brachte das Glitzern Jurin sachte zum Lächeln.

“Was willst du wissen?”, fragte Jurin.

“Im Prinzip könntest du bei Null anfangen”, gab Fee zu. As klang reuevoll dabei. “Aber wenn es um mögliche Vorurteile geht, dann sind die zum einen bei der Frage, wie Familien funktionieren. Meine Eltern haben mir stets gesagt, es wäre schlimm für Windschwingen-Kinder, dass sie ständig Kontakte abbrechen müssten und nie Halt finden könnten.” Fee machte ein kurzes Pause, aber Jurin wartete ab, bis as das sprachlich vorgesehene andere Teil hinzufügte. “Zum anderen gibt es das Vorurteil der sexuellen Offenheit. Da habe ich versucht, gegen anzuarbeiten, indem ich mir Informationen von KIs habe erzählen lassen, aber es klang nicht so widersprüchlich. So als wäre ein anderes Mentalität tatsächlich Teil des Kulturs oder so.” Fee kratzte sich verlegen am Kopf. “Ich mag nochmal betonen, dass du mir nichts schuldest und dass ich vielleicht Scheiße laber’ und mir das schon im Vorhinein leid tut.”

“Es geht noch”, erwiderte Jurin. “Wahrscheinlich für dich überraschenderweise ist das erste Teil das schlimmere.”

Fee nickte und wandte Jurin mit leicht gerunzeltem Stirn das Kopf zu. “Im Tat überraschend.”

“Weil ihr Sesshaften Sex per Default so absurd exklusiv und intim bewertet”, erklärte Jurin. “Also, um mit den Standardvorurteilen in diesem Zusammenhang aufzuräumen: Nein, das Sexualtrieb von Windschwingen ist nicht höher. Nein, wir haben nicht mit jedem x-beliebigen Person einfach oder ständig Sex. Aber ja, wechselnde Partneranen sind bei uns im Schnitt deutlich häufiger, keine festen Partneranen sind eher das Normalfall. Ja, es passiert häufig, dass über ein Kind nicht gewusst wird, von welchem Person das Samen kam. Nein, das heißt nicht, dass Kinder allein erzogen werden, oder dass wir ein großes Problem mit Verantwortungsentzug irgendwelcher Zeugeranen hätten. Das Problem ergibt sich in dem Form nur in patriarchalen Strukturen mit fix geformten Familienkonzepten, nicht in Familien-Anarchien.” Jurin holte Luft, seufzte fast, bevor as zu dem Teil kam, das zu den häufigsten eher skeptischen Reaktionen führte. “Ja, es gibt viele Windschwingen, mich eingeschlossen, die spontan aus Lust und Laune mit halbwegs unbekannten Personen Sex haben. Weil Sex gerade in das Tagesplanung passt und schön ist, wenn sich ein Person findet, das das genauso sieht. Und das geht, während ich zugleich asexuell bin, und das sogar sehr gut. Ich fühle mich nie von Personen sexuell angezogen. Ich habe lediglich manchmal Lust auf Sex und dann lässt sich das eben vereinbaren. Nein, das ist immer noch nichts, was ein Zeichen für das hohe Sexualtrieb von Windschwingen wäre. Das ist eigentlich etwas sehr Natürliches, das viele Personen haben und unterdrücken, weil es nach all den Jahren Freiheitskampf und Aufklärung immer noch ein Default gibt, das halbwegs innige Beziehungen als Voraussetzung für Sex zur Norm setzt. Zwar ist alles andere akzeptiert, aber eben nicht Default, und das prägt schon. Unter Windschwingen findet dieses Prägung in dem Maße nicht statt, oder sogar stattdessen ein anderes, sodass wir sexualgetriebener wirken, aber in Wirklichkeit sind wir da nicht anders, als Sesshafte.”

“Hm, ja”, machte Fee nachdenklich. “So hatte ich das auch grob verstanden. Aber dann verstehe ich das Vorurteil nicht. Ich bin sexuell auf ähnliche Weise offen, glaube ich. Also, nicht asexuell in meinem Fall. Das ist kein Vorurteil gegen mich, weil es ja zutrifft. Warum ist es eins gegen Windschwingen und zugleich trifft es zu? Im Schnitt meine ich. Das verwirrt mich.”

“Das Vorurteil ist, dass wir ein höheres Sexualtrieb hätten. Das wird manchmal mit sexueller Offenheit verwechselt. Das ist nicht dasselbe”, erklärte Jurin. “Und natürlich, dass Leute aus ‘im Schnitt sind Windschwingen da offener’ meistens denken, ‘Jedes Windschwinge ist sexuell offen, da macht das auch nichts, wenn ich eins instant mit Erwartungshaltung anbaggere, und dann beleidigt sein darf, wenn as sauer ist. Hab mich doch vorher informiert und richtig verhalten.’”, fügte Jurin in deutlich zynischem Tonfall hinzu. Aber falls Fee ein Person war, das kein Sarkasmus verstand, sagte Jurin das nach kurzem Zögern doch noch einmal explizit dazu.

“Ah!”, machte Fee und lächelte. “Das war ja ein einfaches Verständnisproblem. Also das mit dem Sexualtrieb. Das Zynismus hatte ich verstanden, trotzdem danke. Da haben sich meine Eltern also unpräzise ausgedrückt.”

Jurin blickte auf das Meer hinaus. Das Sonne war weiter gestiegen und begann Jurins Seite und Nacken zu wärmen. Sain eines Wange fühlte sich warm an, nicht so ein einfaches Warm wie im Binnenland. Am See war das anders, drang mehr unter das Haut. Jurin wartete, ob Fee mehr fragen würde, aber Fee blieb still. “Noch was zu dem Komplex?”, fragte Jurin, aber Fee schüttelte den Kopf. “Dann zum anderen Vorurteil?”

“Danke, dass du das machst”, wiederholte Fee. “Wie fühlt sich das für dich an?”

“Gerade will ich vor allem tanzen und möchte am liebsten durch sein”, murrte Jurin und fragte sich, warum as dann trotdem zu erklären fortfuhr. Es war mehr als einfach nur das gegebene Versprechen, dass wusste as. Vielleicht war es das Einsicht, dass Fee tatsächlich nicht gut anders konnte. Vielleicht fühlte es sich aber auch so an, als würde Fee wirklich zuhören. “Redest du hinterher mit deinen Eltern drüber?”

“Puh, ufz”, machte Fee.

Jurin spürte fast, wie sich das Körper neben iem verkrampfte. “Anstrengend?”

“Ja, auf jeden Fall. Ich würde es trotzdem tun”, bestätigte Fee. “Mein Verhältnis zu den Eltern ist nicht das beste. Ich habe da gerade an grundlegenderen Problemen zu arbeiten. Aber wenn dir das wichtig ist, priorisiere ich das Gespräch. Im Prinzip steht es auf der ToDo-Liste.”

“Schon gut. Mach das, wie es sich für dich richtig anfühlt”, sagte Jurin, zögerte kurz, konnte es dann aber nicht lassen, die bösen Gedanken loszuwerden, die as in solchen Situationen immer hatte: “Schon witzig, dass besonders in jenen Familien Sesshafter über das nicht Funktionieren von Halt für Kinder bei Windschwingen mutmaßend gelästert wird, welche das selber nicht packen.”

“Das ist vereinfacht”, sagte Fee. Sachlich, allerdings, nicht vorwurfsvoll, wie vorhin.

“Dachte ich mir. Trotzdem.” Jurin strich sich ein weiteres Mal durch das Zopf und atmete tief ein. Das war ein gutes Idee. Es roch nach Sand, nach Muscheln und angeschwemmten Algen. Jurin mochte das Geruch. “Das andere Vorurteil ist deshalb mieser, weil auf Basis dessen Dinge passieren, die es wahr machen. Windschwingen bleiben nicht an einem Ort, das ist richtig. Das ist quasi das einzige, was uns definiert. Aber vor allem mit Kindern sammeln sich Windschwingen oft jedes Sommer, oder zu einem anderen Jahreszeit wieder am gleichen Ort. Das habe ich als Kind zumindest immer als etwas Schönes empfunden. In meinem Fall ist es ein kleines Ort im Süden des Insels Klit namens Schnockholm. Ja, das heißt wirklich so.” As musste unwillkürlich grinsen und fuhr fast mit einem untergründigen Lachen im Stimme fort. “Wenn wir dort ankamen, warteten da andere Kinder schon voller Vorfreude, oder sie waren noch nicht da und ich wartete hibbelig. Das war schön. Und gegen Ende des Sommers reisten wir getrennte Wege.”

Jurin hörte zu reden auf. As war nicht fertig, hatte sich sogar eher verrannt und war ins Detail gegangen, wo as das gar nicht geplant hatte. Aber die Erinnerungen waren schön. Später im Jahr, wenn das Tanzkurs abgeschlossen wäre, würde Jurin wieder dort hinfahren und ein altes Strandfreundan wiedertreffen. Sie waren nicht fest verabredet, aber würde as irgendwann nicht kommen, würde as Jurin wohl doch Bescheid geben. In Kontakt waren sie schon abseits der sommerlichen Treffen, wenn auch eher einsilbig.

“Das klingt schön”, sagte Fee. “Irgendwie so, wie wenn wir Freundanen meiner Eltern besuchten, die in anderen Städten wohnen. Aber vielleicht ist es gar nicht vergleichbar.”

“Doch ist es. Es ist das Gleiche in grün sozusagen. Nur eben mit festem Wohnsitz”, bestätigte Jurin. “Und dann passiert halt so ein Scheiß, wie, dass Eltern ihre Kinners zwar mit Windschwingen-Kindern spielen lassen, weil sie haben ja keine Vorurteile”, Jurin betonte das Satzteil wieder bewusst sarkastisch und warf ein kurzes Blick auf Fee, ob as das auch mitbekam, “aber ihnen schon mitgeben, dass sie doch bitte aufpassen mögen, sich nicht zu fest an die Windschwingen-Freundanen zu binden, weil sie ihren Kinners Leid ersparen wollen und das halt schon ihr gutes Recht wär’. Was halt irgendwie nicht gilt, wenn sie mit den Kinners Freundanen in anderen Städten besuchen oder mit ihnen zum Erholung wegfahren.”

“Shit!”, fluchte Fee.

Das Wut tat gut. Jurin konnte nicht wissen, ob Fee das Problem vollkommen nachvollziehen konnte, oder nur so ungefähr, aber das reichte iem. Es war immer erleichternd, wenn Wut und Frust ernst genommen und das Berechtigung dazu nicht mit ‘Man muss auch das andere Seite sehen’ relativiert wurde. “Danke.”

“Äh”, sagte Fee, “warum das denn? Du erklärst mir Dinge, die du gar nicht hast erklären wollen.”

“Und du hörst zu. Damit habe ich nicht gerechnet, muss ich zugeben. Und das ist gerade schön.”

“Wenn ich schon frage, sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Scheiße, wenn es das nicht ist”, sagte Fee.

Nun, das Erfahrung hatte Fee ja gerade frisch selbst gemacht. Jurin schämte sich ein bisschen. Aber irgendwie war as auch aufgewühlt, vielleicht aufgefühlt, und kam mit dem Verarbeiten nicht so richtig hinterher. Das käme dann eventuell im Nacht. “Wedel nochmal dieses wunderbare Zauberstab und dann lass uns tanzen, wenn du magst.”

Fee grinste, stand auf, schwenkte das Zauberstab in einem wunderschönen Bogen, und verbeugte sich dabei elegant. “Es ist mir ein Ehre.” Das Luft glitzerte magisch nach. Jurin hatte das Effekt vor heute noch nie gesehen und fragte sich, welches Chemie dafür verantwortlich war.


Als sie das Tanzfläche wieder erreichten, machte das Band gerade ein Pause. Stattdessen wurden Musikaufnahmen wiedergegeben oder per KI generiert. Die meisten Tanzeranen nutzten das Unterbrechung für ein Pause, in dem sie sich mit Essbarem vom Buffet an das Strand begaben. Fee und Jurin ließen sich davon nicht abhalten, sich auf dem nun fast leeren Tanzfläche warmzutanzen. Fee ließ sich gut führen. Jurin machte kein einziges Kommentar, aber irgendwie merkte Fee trotzdem saine Fehler und arbeitete daran. Es passte. Irgendwann bat Fee Jurin eine bestimmtes Figur noch ein paar Mal zum Üben zu führen und Jurin ließ sich nicht zwei Mal bitten. Das war eines der schönsten Elemente am Führen: Aus einem Tänzeran etwas herauszukitzeln, und dabei das Lernen und das Freude daran zu beobachten. Fee freute sich wunderschön.

“Du tanzt besser als F1. Mindestens F2”, bemerkte Jurin irgendwann.

“Du wolltest nichts kommentieren”, erinnerte Fee.

Jurin nickte. “Es tut mir leid. Mir war nicht so klar, dass das auch für Komplimente gilt. Aber irgendwo bewertet das ja auch Leistung, da hast du recht.”

“Vielleicht verliere ich bei dir an Empfindlichkeit”, überlegte Fee. “Können wir ein Pause machen, in dem du mir sagst, was du dir an mir alles wünschen würdest, damit es dir mehr Spaß macht?”

“Mir macht es unglaublich viel Spaß”, versicherte Jurin. “Du bist schön, in deinem Art, dich zu freuen, und zuzuhören, selbst, wenn ich nichts sage. So durch und durch schön.”

Fee lächelte. “Das war ein schönes Kompliment.” Und schmolz in Jurins Armen dahin. Ohne dabei an Körperspannung zu verlieren, obwohl jenes schon ein bisschen verbesserungswürdig war.

“Wenn du dir sicher bist, machen wir das Sache mit dem Pause und dem Kritik”, sagte Jurin. “Ich würde schon gern ein Tanzpartneran für F3 haben. Ich würde nun vermuten, dass du nicht in F3 springen willst, aber wenn du testweise F2 als Zweitkurs mit mir anfangen wollen würdest, zum jederzeit Abbrechen, falls wir uns nerven sollten, wäre ich dabei.”


Es wurde dann doch ein schönes Tag. Jurin tanzte auch noch mit anderen Tänzeranen, aber für F3 fand sich erstaunlicherweise kein Tanzpartneran. Normalerweise waren führende Tänzeranen stets im Unterzahl. Fee allerdings entschied sich, zugleich F2 und F3 mit Jurin zu probieren, wass Jurin sehr freute. Das würden schöne vier Wochen Tanzkurs werden. Solange sollte das Tanzfläche hier aufgebaut bleiben. In den nächsten Tagen würden sie noch ein Dach ergänzen, das grob vor Regen oder zu starker Sonneneinstrahlung schützen sollte.

Am frühen Abend verabschiedete Jurin sich.

“Nimmst du eigentlich wieder mal an einem Spielrunde teil?”, fragte Fee im Abschiedsgespräch.

“Ich habe mich für das Wasser-Runde beworben. Es ist noch unklar”, antwortete Jurin nach kurzem Zögern ehrlich. Es war kein Geheimnis.

“Nennst du dich dann in Ærenikse um?”, fragte Fee grinsend.

Jurin lachte und grinste noch eine Weile breit. “Gutes Idee, ich mag das!”

Fee konnte also nicht nur wunderschön tanzen, wenn auch nicht so fortgeschritten, Dinge erklären und zaubern, sondern hatte auch noch Humor. Jurin wäre vielleicht gern doch noch geblieben, aber das Energie für ein Tag war völlig aufgebraucht. Saine Beine waren vom vielen Tanzen müde, aber auch glücklich. Sie wehrten sich ein wenig, Jurin auch das Hang wieder hinauf zum Windschwingen-Herberge zu tragen. Aber das Geruch nach Kuchen, das aus dem offenen Küchenfenster quoll, entschädigte Jurin für alles. As trat durch das Haustür und sah erfreut, dass das Küchentür offen stand. Im Küche werkelte das derzeit andere Bewohneran dieses Hauses am Lebensmitteldrucker. Ein Tortenboden stand bereits gedruckt daneben. Im Inneren köchelte Rhabarber, frisch aus dem Garten geerntet, nicht durch Drucken nachempfunden. “Wow”, hauchte Jurin.

“Du bist mit eingeplant”, teilte das andere Person mit. “Ich bin Munik.” As blickte sich zu Jurin um und haderte. “Ehm, also, wenn du möchtest, bist du eingeplant.”

“Gern”, sagte Jurin. “Ich bin Jurin. Es riecht so wundervoll. Kann ich was tun?”

“Mich in den Arm nehmen, wenn du magst”, sagte Munik.

Obwohl Jurin eigentlich genug Körperkontakt für ein Tag gehabt hatte, ließ as sich das nicht zwei Mal sagen. As umarmte Munik von hinten und schmiegte sich an sainen Rücken. Beim eigenen Familie war das Fremdheitsgefühl nicht da, war alles so viel entspannter. Ein Last fiel ab. Jurin war erst einmal zu Hause.

“Das tut gut”, seufzte Munik. “Ich bin gestern erst angekommen, habe all die Blumen im Haus gegossen und dann das mit dem Kuchen. Ich bin ziemlich stolz auf mich. Ich habe seit Monaten eigentlich Antriebsprobleme.”

“Das ist viel”, sagte Jurin und zog Munik gleich noch etwas enger in ein Umarmung. As merkte, dass sain Lust auf sexuelle Interaktion höher war als sonst. Das war ein Effekt, das Tanzen auf as öfter hatte. “Hättest du auch Interesse an sexuellen Dingen?”

“Gerade nicht. Später vielleicht. Ich muss erstmal gemütlich draußen Kuchen essen und freue mich, nicht allein zu sein.” Munik fädelte die Arme aus dem Umarmung, aber als Jurin lockerer ließ, zog Munik die fremden Arme wieder fest und beide kicherten. Dann öffnete Munik das Lebensmitteldrucker, um das Rhabarber auf dem Tortenboden weiter zu verarbeiten. “Du riechst, als hättest du getanzt.”

“Das ist geschummelt!”, amüsierte sich Jurin. “Du weißt vom Tanzkurs, oder? Du kannst an Schweiß eigentlich nicht herausriechen, woher es kommt, oder?”

Munik gluckste. “Nein, ich weiß vom Tanzkurs. War es gut? Wie war das Reise?”

Jurin lächelte. Ein weiteres Anspannung fiel von iem ab. ‘Wie war das Reise?’ war so ein typisches Frage in Windschwingen-Herbergen. Und Jurin hatte etwas zu erzählen. As fing mit dem Tanzkurs und Fee an. Mit dem unangenehmen Gefühl durch Erinnerungen an die befremdlichen Kindheitserlebnisse, das im Gespräch mit Fee, auch wenn Fee an sich ein gutes Gesprächspartneran gewesen war, doch ausgelöst worden war. Das Gefühl des Machtlosigkeits gegen jenes Dominanz. Dass es immer Leute waren, die sich erklären mussten, die aus Standardvorstellungen fielen. Es war ein schönes, heimisches Gefühl, mit Munik darüber zu reden. Munik teilte eigene Erlebnisse, die noch unschöner waren.

Und bald würde Jurin von den Orkhunden erzählen. Nun war es lang genug her, dass es sich nur noch nach Abenteuer anfühlte. Das Panik war vergessen. Das war das beste an Erinnerungen.

Jurin Raute war Abenteureran. Das war immer so gewesen und würde so bleiben. Reisen und Ortswechsel waren immer lehrreich gewesen. Aber vor allem war das Vorstellung des Bleibens nichts, was je mit Jurin als Person, mit sainem Sein vereinbar gewesen wäre. Daher hatte sich Jurin entschieden, Windschwinge zu sein und zu bleiben.

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