Interview zum Hörbuch - Der Feuervogel von Istradar
Ich durfte Ria Winters Slavic-Fantasy-Roman "Der Feuervogel von Istradar" einlesen (Link zum Hörbuch "Der Feuervogel von Istradar"). In diesem Interview stellt sie mir einige Fragen zu meinem Vorgehen und meinen Gefühlen dabei.
Wie bist du darauf gekommen, den “Feuervogel von Istradar” als Hörbuch einzusprechen?
“Der Feuervogel von Istradar” ist eines meiner Lieblingsbücher. Also, nicht einfach eins meiner hundert Lieblingsbücher, sondern eher so eins meiner vier Lieblingsbücher (meine eigenen Werke ausgenommen, zu denen ich eine ganz andere Bindung habe).
Ich habe ursprünglich angefangen, Hörbücher einzulesen, weil ich nicht gut visuell lesen kann (Sehbeeinträchtigung und begrenzte Aufnahme-/Verarbeitungsfähigkeit) und es deswegen wirklich selten schaffe, ein Buch ein zweites Mal zu konsumieren. Manche Bücher lieb’ ich aber so sehr, dass ich das möchte. Meine Lösung dafür ist, sie mir als Hörbuch einzulesen, wenn es sie nicht schon als solches gibt. Auf diese Weise kann ich sie wieder und wieder hören, ohne meine Augen zu bemühen. Und sollte meine Sehfähigkeit in Zukunft noch viel stärker flöten gehen, dann habe ich hoffentlich als alter Fisch trotzdem noch meine liebsten Bücher bei mir.
Wie es so ist, wenn dieser Fisch irgendwie… inzwischen acht Hörbucher eingelesen hat, entwickelt sich diese Fähigkeit vor sich hin, sodass ich nicht mehr irgendwie lese, sondern tatsächlich durchaus eindrucksvoll. (Mir mangelte es schon seit jeher an Bescheidenheit.)
Auf diese Weise kann ich Ria Winters Werk “Der Feuervogel von Istradar” nicht nur einen Platz in den Büchern schenken, die mir für wiederholtes Erleben erhalten bleiben, sondern ich kann dem Werk eine eigene Interpretation und einen eigenen Ausdruck schenken, ein bisschen was von dem zurückgeben, was es mir gegeben hat. (Gerade dieser erste Band hat mir in einer sehr depressiven Phase die Dunkelheit zum Atmen gegeben, die ich zum Leben brauche, und schließlich eine Freundschaft.)
Wie hast du dich auf die Arbeit am Hörbuch vorbereitet?
Diese Frage ist vielfältig. Ich breche sie auf:
Wie habe ich mich auf die Arbeit an konkret diesem Hörbuch vorbereitet?
- Ich habe im Vorfeld nach Aussprachen bestimmter Wörter, Namen, Orte gebeten und jene Audiodateien einige male angehört. Ich habe dann die Worte als erstes geübt, aufgenommen, mir meine eigenen Aufnahmen angehört, abgeglichen und mit diesem Prozedere fortgefahren, bis es passte.
- Ich habe mir besonders für dieses Hörbuch viele Gedanken zu Stimmen für die Charaktere gemacht. Das ist später ein Extra-Punkt, deshalb führe ich ihn hier nicht aus.
- Es hat mich besonders nervös gemacht, ein Buch einer anderen Person zu interpretieren. Tatsächlich habe ich den Prolog in mehreren Versionen eingelesen, ein paar Monate liegen lassen, ihn anderen zum Hören gegeben, bis ich mich irgendwann wirklich daran getraut habe. Es fühlt sich immer noch so persönlich an. Aber es war eine gute Reise, ich würde es wieder tun!
Wie bereite ich mich generell auf die Arbeit an einem Hörbuch vor?
- Ich lese den Abschnitt, den ich aufnehmen möchte, inzwischen einmal vorher laut vor. Selten zweimal. Ich möchte mit dem Text so warm sein, dass ich weiß, was kommt und was mich andernfalls irritieren könnte. Aber nicht so vertraut, dass ich versehentlich in Gedanken abdrifte, während ich vorlese. (Erstaunlicherweise macht das einen Text nicht komplett ausdruckslos, aber es ist schon besser, wenn ich aufpasse.)
- Vorm Einlesen eines Abschnitts, sehe ich zu, dass mein Mund nicht so wässert, ich gurgle Wasser und trinke, und zwar langsam und gründlich (nicht unbedingt viel).
- Ich hänge die tickende Uhr von der Wand und verfrachte sie in einen anderen Raum.
- Ich ziehe mir eine weiche Hose an.
Welche langfristige Vorbereitung fließt in die Arbeit des Aufnehmens?
- Prinzipiell ist jedes eingelesene Hörbuch eine Übung fürs nächste. Ich höre mir das Feedback der Leute an oder versuche mir auch konkret welches von anderen Sprechenden einzuholen. (Kommunikation mit anderen ist meine beste Ressource zum Lernen wegen besagter Seh-/Aufnahmebeeinträchtigung.)
- Leider gibt es sehr wenige andere Sprechende, die mit mir über das Thema reden. Um genau zu sein, kenne ich nur eine weitere Person, mit der ich persönlichen Erfahrungsaustausch habe. Ich mache manchmal auf Social Media Posts mit dem Ziel, mehr Menschen für entsprechenden Austausch kennenzulernen, aber ich bin leider nicht so gut darin. Das war bisher erfolglos. Es steht mir leider im Weg, dass ich auch (berechtigte?) Angst habe, wegen meiner Behinderung nicht ernst genommen zu werden.
- Ich höre mir Vlogs zu Mundgeräuschen und Atemtechnik an. Ich setze mich mit dem Thema auseinander, wann immer ich Ressourcen dafür übrig habe (was leider relativ wenig ist.)
- Ich lese mir Artikel zu der Software durch, die ich benutze, zu Techniken wie Compression und anderem. Ich lese auch möglichst einiges zu Abschirmung von Rauschen im Vorfeld und zu der Hardware die ich habe. Auch dazu komme ich nur begrenzt viel. Es fällt mir sehr schwer, denn leider gibt es diese technischen Inhalte wirklich selten als Hörmedium, und sie lassen sich für mich auch eher schwer mit Screenreader erfassen, weil ich bisher nur gelernt habe, Fließtext mit Screenreader aufzunehmen.
- Ich habe mir im Laufe der Zeit immer ernstzunehmendere Technik angeschafft (auch dazu später).
Wie bist du dabei vorgegangen?
Nach der Vorbereitung zum Lesen, geht es ans eigentliche Lesen. Früher und auch in diesem Hörbuch noch habe ich kapitelweise eingelesen. In Zukunft werde ich vermutlich kürzere Abschnitte nehmen.
Wegen besagter Sehbeeinträchtigung kann ich einen Text visuell höchstens so schnell erfassen, wie Menschen üblicherweise laut sprechen, wenn sie nicht schnell reden. Das führt dazu, dass ich nichts vorhersehen kann. Beziehungsweise, ich lese den Text ja zuvor einmal, aber das bringt bei meinem Gedächtnis auch nur begrenzt viel.
Entsprechend mache ich ungefähr in jedem dritten Satz einen Lesefehler. Und das ist keine Übertreibung. Vielleicht sind es mal vier oder fünf fehlerfreie Sätze, aber dann habe ich wieder einen Satz mit drei Fehlern darin.
Mein Trick ist, dass Geduld meine Superkraft ist, und dass ich stoisch Dinge fast exakt gleich betont einfach wiederholen kann. Ich steige also in einer Stimmpause aus (nicht unbedingt direkt in Glottisschlägen, aber wo halt keine Stimme klingt, auch mitten im Satz), und setze an einer der vorherigen Stellen wieder ein, wo eine solche Stimmpause war. Dann wiederhole ich gleichbetont die Stelle.
Nach dem Einlesen des ganzen Abschnitts/Kapitels schneide ich die Datei, und dabei reduziert sie sich oft um so ein Drittel oder auch auf die Hälfte (In diesem Fall auf durchschnittlich Faktor 0.56 des Ausgangsmaterials). Ich schneide alle drei Sätze einen halben Satz raus, und meistens mehrfach denselben, weil ich es auch bei der Wiederholung nicht direkt hinbekommen habe.
Ich musste lernen, dass andere Sprechende sich das kaum vorstellen können. Wenn ich das dargelegt habe, habe ich eine Reihe Tipps bekommen, wie jedes Mal zu Schnipsen oder zu Klatschen, wenn ich etwas falsch einlese, damit ich die Stelle später beim Schneiden wiederfinde. Das ist wie, wenn du in einem Wald bei jedem Baum eine riesige, Bäume überragende rote Fahne aufstellst, damit du die Bäume im Wald wiederfindest.
Es mag sich frustrierend anhören, und ist es auch ein wenig. Aber ich habe nunmal diese Behinderung und will trotzdem Hörbücher einlesen, also ist das mein Weg. Und solange ich nicht gerade frisch dabei war, meinem Herzwesen zuzuhören, wie es einfach mal eben einen Text vom Blatt fast zwei Minuten lang fehlerfrei einliest, geht es mir damit durchaus recht okay.
Des weiteren gibt es verschiedene Mundgeräusche, die ich zu vermeiden gelernt habe. Manchmal ist es kaum möglich, ein gewisses, nasses Geräusch zu unterdrücken, aber ich kann kontrollieren, dass es in Stimmpausen zwischen Wörtern passiert, wo ich es rausschneiden kann. Manche Wörter muss ich ein paar mal wiederholen, damit ich darin kein halbes Schnalzen erzeuge. Habt ihr mal energisch “Fluss” gesagt, aber ohne dass die Zunge mit einem Fastschnalzen auf dem Munduntergrund landet?
Ich schneide am Ende nicht nur Mundgeräusche und Wiederholungen heraus, sondern manchmal, wenn ich nicht aufgepasst habe, flicke ich irgendwas. Wenn ich zum Beispiel ein “sagte Alina” vergessen habe oder darin einen falschen Namen untergebracht habe, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht klein, dass ich einen solchen Schnipsel noch einmal in der Datei finde und ersetzen kann.
Manche Wörter haben versehentlich zu viel Wind bekommen (bei hauchigen Klängen), das ich einigermaßen gut rausschneiden kann. Und manchmal, selten, finde ich Stellen, wo ich fast händisch ein paar Tonkurven nachzeichne, sodass sie ein Störgeräusch nicht tun. Meistens ist das nicht nötig oder unmöglich.
Welche Technik (Software, Hardware) hast du benutzt?
Software: Audacity.
Audacity ist eine kostenfreie Software mit niedriger Einstiegshürde, die ich mal sehr toll gefunden habe. Ich wollte schon länger Ardour ausprobieren, weil mir das aus guten Gründen empfohlen wurde (zum Beispiel bleiben die originalen Tonspuren beim Anwenden von Effekten erhalten), aber die Einstiegshürde ist einfach enorm. Audacity ist leider irgendwie zu der bösen Seite übergegangen: Ich habe nicht genau im Kopf, wie, aber die Policy hat sich sehr ausbeutend und unfreundlich gegenüber Nutzenden entwickelt, sodass ich die Software eigentlich nicht mehr benutzen möchte. Aber ich schaffe den Umstieg noch nicht.
Hardware: Ein Steinberg-Audio-Interface und ein Mikrofon für Audioaufnahmen, das ausgerechnet den Namen Corona hat. (Sowie ein Mikrofonkabel und einen Laptop.)
Was hat dir dabei am meisten Spaß gemacht?
- Ich habe große Euphorie dabei gehabt, die Streitgespräche zwischen den beiden Hauptcharakteren zu lesen. Oder auch die Tonfälle zu wählen, in denen Machtgefälle oder Verächtlichkeit rüberkommt. Gleichzeitig hat mich das auch emotional mitgenommen. Das war interessant!
- Firayas Stimme hat mir etwas anderes als Spaß gemacht, eine gewisse Euphorie. Ich habe mich auf diese Weise mit diesem Charakter noch verbundener gefühlt. Ich mag die Dunkelheit und den Atem dieser Figur.
Was waren für dich die größten Herausforderungen?
Interessanterweise war eine neue Herausforderung, dass mich gewisse Machtlosigkeit beim Lesen mitgenommen hat, weil ich mich zu sehr in die Situation reinfühlen musste.
Außerdem recht klassisch: Aussprachen, jene auch beibehalten, mich an Stimmen erinnern, die selten vorkommen, gute Stimmen für die Hauptfiguren wählen.
Prinzipiell könnte ich hier auch meine Sehbeeinträchtigung einbringen, s.o., aber die bin ich inzwischen gewohnt. Ein bisschen herausfordernd fand ich aber schon, bei meiner Recherche immer wieder auf Infos zu stoßen und Replys zu bekommen, die in einer Selbstverständlichkeit davon ausgingen, dass ich flüssig lesen können müsste (aka auch mal 10 Minuten am Stück fehlerfrei vorlesen kann, statt lediglich höchstens 3 Sätze), dass es sich oft devalidierend angefühlt hat. Ich hatte leider meistens den Eindruck, bei diesem Problem gegen Wände zu reden…
Wie hast du entschieden, wie du welche Figur sprichst?
- Personen, die häufig reden, bekommen Stimmen, die mir leicht von der Hand gehen (aus dem Mund und der Brust kommen).
- Personen, die häufig gleichzeitig auftreten, sollten nicht zu ähnliche Stimmen bekommen.
- Ich habe das Skript nach dem Stichwort “Stimme” durchsucht und mich versucht, an der Beschreibung zu orientieren.
- Ich habe versucht, bei der Wahl die richtige Kreuzung aus passend und nicht immer stereotyp für die Rolle zu wählen, denn Menschen haben zufällige Stimmen, die nicht unbedingt von ihrer Rolle im Leben abhängen.
- Und vielleicht habe ich meinem Lieblingscharakter eine meiner liebsten Stimmen verpasst .)
Wie lange hast du durchschnittlich gebraucht, um ein Kapitel fertigzustellen?
Ich erinnere mich vage, dass es so um die zwei Stunden waren, aber ich bin nicht sicher. Die fertigen Kapitel sind im Schnitt 17 Minuten lang.
Was hast du bei diesem Projekt gelernt?
Ich habe einige Dinge über Mikrofone gelernt, sowie über Nachbearbeitung (Compressor, Normalizing), aber bin noch nicht bei einem Resultat, dass ich meine Erkenntnisse so darlegen könnte, dass ich zufrieden damit bin. Ich habe auf jeden Fall mehr Übung darin bekommen, Mund- und Atemgeräusche zu unterdrücken, oder an den richtigen Stellen zu machen, sodass ich sie rausschneiden kann.
Ich habe bemerkt, wie ich auch bei diesem Werk wieder ruhiger und ausdrucksstärker als beim vorherigen gelesen habe. Immer noch merke ich eine stete Steigerung. Das ist auf der einen Seite schön. Auf der anderen Seite heißt es auch, dass alle vergangenen Hörwerke irgendwann am liebsten nochmal eingelesen werden wollen – aber das ist mir fast immer zu viel Arbeit. (Myrie Zange werde ich trotzdem nochmal von vorne einlesen.)
Ich bin eine dieser seltsamen Personen, die (deshalb) nicht unbedingt mögen, stetig dazuzulernen, sondern bevorzugen, Dinge lieber gleich mit nicht allzu viel Spiel nach oben gut zu können. Und meine übliche Lernkurve für die meisten Dinge betrachtend, ist das, hm, sonst eher tatsächlich, was bei mir passiert? Am Anfang tue ich mich mit Neuem überdurchschnittlich schwer und Leute zweifeln manchmal, was sie da beobachten, was ich alles tatsächlich nicht verstehe. Und wenn ich über diese Hürde hinweg bin, ist meine Lernkurve oft extrem steil, und wieder zweifeln Leute manchmal, was sie da beobachten.
Ich habe den Eindruck, beim Einlesen ist es bei mir eher nicht so steil. Das ist ein kleines bisschen frustrierend, aber es wird mich trotzdem nicht im mindesten davon abhalten, weiter Hörbücher einzulesen und gewisse Menschen mit meiner Stimme in fremdvertraute Welten zu verführen, wenn sie möchten und meine Stimme zu ihren Bedürfnissen passt. Ich freue mich auf die Sammlung, die in Zukunft auf diese Weise erlebbar, und für mich trotz Sehbeeinträchtigung wiedererlebbar, wird.