Barrierärmer posten
Worum geht der Artikel
Ich hatte den Inhalt mal als Thread auf Twitter gepostet, der Social-Media-Nutzenden einige Tipps mit Erklärung gibt, was sie tun können, um Social Media für verschiedene Personengruppen barrierärmer zu gestalten. (Entsprechende Personengruppen können sich auch überschneiden!) Ich teile hier, was ich im Laufe der Zeit durch Zuhören gelernt habe und lerne.
Zwei Anmerkungen, wie ich mir wünsche, dass ihr hiermit umgeht:
- Natürlich gibt es auch generell sich widersprechende Bedürfnisse, also nehmt diesen Artikel nicht als Regelwerk, um euch darauf überall zu beziehen, sondern als Ausgangspunkt, um weiter zuzuhören. Die Vorschläge sind nicht perfekt. Es gilt überhaupt nie etwas allgemein. Es ist wichtig, niemanden zu bevormunden.
- Und an Menschen, die etwas umsetzen möchten, aber Angst haben, es nicht hinzukriegen: Sicher passieren auch Unachtsamkeiten. Manches braucht Übung. Aber auch Versuche gestalten die Welt schon inklusiver und willkommener.
Struktur
- Bezüglich Sehbeeinträchtigungen.
- Bezüglich Geschlecht.
- Bezüglich belastender Themen.
- Bezüglich Interpretationsschwierigkeiten durch Subtext.
Sehbeeinträchtigungen
ScreenReader
Ich nutze sie, aber nicht ausschließlich und eher für lange Texte. Was ich hier aufzähle, ist hauptsächlich, was ich zusammengesammelt habe. Deshalb verlinke ich hier den Blog von @MeinAugenlicht, der sich auf das Thema Blindheit und Social Media fokussiert.
- Bilder in Social Media können oft mit einer Bildbeschreibung versehen werden, auch Alt-Text genannt.
- Bildbeschreibungen werden von den meisten Nutzenden in der Sprache des Posts erwünscht.
- Dabei kann auch, je nach Plattform, für den Post ein Tag für die Sprache ausgewählt werden. Dann weiß der Screenreader gegebenenfalls, welche Aussprache zu den Wörtern gehört.
Wie das Bild beschreiben?
Es gibt viele Tipps zum Schreiben von Bildbeschreibungen, darunter oft, dass das Bild nicht interpretiert werden möge. Ich habe oft mitbekommen, wie die Tipps ohne viele Beispiele nicht sehr hilfreich sind, denn wo zum Beispiel fängt interpretieren an? Wenn eine Figur auftaucht, die Sehende sofort als eine bekannte Persönlichkeit erkennen würden, ist es schon eine Interpretation, einfach zu benennen, um welche es sich handelt? Oder sollte die Figur so beschrieben werden, dass die blinde Person sie aus der Beschreibung vielleicht interpretieren kann?
Ich denke, dass sich darüber nicht einmal alle einig sind. Daher kann ich hier nicht gut so allgemeine Tipps geben. Was von meiner Seite Leuten oft geholfen hat:
- Das wichtigste zuerst! Warum postest du überhaupt das Bild, was willst du, was Leute darauf sehen?
- Dem Prinzip folgend: Wird ein Text auf einem Hintergrund gepostet, dann den Text zuerst, vor allem, wenn der Hintergrund nur Zierde ist. Es ist müßig, erst eine Beschreibung des ganzen Geglitzer und Blumen außenrum zu lesen, bevor ich erklärt bekomme, dass es eigentlich ein Buchzitat ist, das Werbung für ein neues Buch machen soll.
- So simpel der Vorschlag klingt: Mach dir Gedanken, wie du das Bild einer Person beschreiben würdest, die du kennst, die aber gerade nicht da ist (zum Beispiel über Telefon).
Was mit Screenreader stört:
- Smilyfluten. Insbesondere in Nametags.
- Sonderzeichen statt Buchstaben, die wie ein besonderer Font wirken.
- Text nach vielen Hashtags oder Nametags.
- Sperrschreibweise (das bedeutet, die Buchstaben eines Wortes werden durch Leerzeichen getrennt).
- Abwechselndes Groß- und Kleinschreiben aller Buchstaben innerhalb der Wörter, auch bekannt als Mocking-Spongebob-Meme. (Die Schreibweise wird häufig genutzt, um eine Person nachzuäffen oder eine Aussage als sehr unsinnig oder ironisch zu markieren. Sie ist außerdem gegebenenfalls sanistisch.)
- Ständig sich wiederholende Wörter oder Sätze im selben Post. (Eine blinde Person kann nicht auf den Post gucken und sehen, dass da zwölfmal das Gleiche steht, sondern müsste zu Ende hören, um zu wissen, ob da noch was hinterkommt.)
Was mit Screenreadern hilft:
- Hashtags in CamelCase schreiben. Das heißt, jeder Buchstabe eines neuen Wortes im zusammengeschriebenen Hashtag wird groß geschrieben. (Für viele ist es eine visuelle Erleichterung. Screenreader lesen sie dann als einzelne Wörter, während sie, wenn alles kleingeschrieben ist, denken, es wäre ein einzelnes Wort, das sie als solches, also oft schwer verständlich aussprechen.) Beispiel: #DiesIstEinHashtag.
- Im Fall, dass eine Person schwer, aber visuell lesen kann, helfen oft gut strukturierte Texte mit Absätzen oder Listen.
- Auch Nummerierungen von Posts von Threads auf Social Media mit beschränkter Zeichenzahl helfen, sowie eine Angabe im ersten Post, wie viele Posts folgen werden.
Geschlechter
Generisches Maskulinum schließt nicht alle Geschlechter ein. “Lehrerinnen und Lehrer” ist für zum Beispiel nicht-binäre Menschen oft noch unangenehmer bis hin zu sehr schmerzhaft, weil explizit ausschließend.
Es gibt die Möglichkeit der geschlechtsinklusiven Sprache:
- Lehrer*innen,
- Lehrer_innen,
- Und der neutralen: Lehrkräfte oder Lehrende. (Lehrkräfte ist sogar im Singular neutral, Lehrende nur im Plural!)
Lehrer*innen und die neutrale Schreibweise Lehrkräfte/Lehrende haben die von den meisten als am angenehmsten empfundene Bedeutung.
Leider sind alle Sonderzeichen für jeweils manche Menschen mit Behinderungen schwer bis nicht lesbar. Es ist ein komplexes Thema für sich, das ich hier nicht im Detail ausbreite. Ich habe mein Wissen dazu mal in einem Artikel über viele Perspektiven niedergeschrieben. Grob zusammengefasst: Es gibt leider gar nicht so wenige Menschen, die sich gegen geschlechtersensible Sprache stellen wollen und sich daher nun plötzlich für behinderte Menschen interessieren, um deren Bedürfnisse in die Diskussion für sie einzubringen, weil sich da dann ja niemand gegen stellen könne. Das ist problematisch. Gleichzeitig ist problematisch, dass die durchaus real existierenden Probleme mancher Menschen von der anderen Argumentationsseite oft nicht mehr gesehen werden, während gegen die Instrumentalisierung vorgegangen wird.
Letztendlich wird geschlechtersensible Sprache ein Kompromiss sein, der leider nicht von Anfang an für alle ausreichend gut sein wird. Meine Entscheidung ist daher, ein Gemisch zu fahren, aber ich finde auch okay und verständlich, wenn Menschen zu verschiedenen Schlüssen kommen.
Im Folgenden rede ich über Möglichkeiten:
Ein so praktisches Wort wie Lehrkräfte gibt es nicht immer, aber es gibt eigentlich immer Möglichkeiten, neutral zu formulieren. Gute Hilfen dafür bietet die Seite Geschickt-Gendern. Eine weitere Möglichkeit ist es, aktiver zu formulieren: Ich arbeite in der Wissenschaft. Statt: Ich bin Wissenschaftler.
Belastende Themen
Belastende Themen können bei Menschen schlimme Emotionen oder auch bloß Stress hervorrufen, für den sie gerade keine Kraft haben. Damit sie besser filtern können, helfen Content Notes, oder auch kurz CN. Auf manchen Social Media gibt es Möglichkeiten, Inhalte mit einer Content Note zu versehen und sie zu spoilern. Manchmal heißt das Feld dafür auch CW für Content Warning oder TW für Trigger Warning. Die Bedeutungen der jeweiligen Bezeichnungen sind leicht verschieden, aber auch je nach Kontext oder Umfeld nicht immer so gleich, dass ich eine klare Definition liefer könnte.
Ein Beispiel: CN: Tod
Weil CNs von Nutzenden maschinell gefiltert werden, hilft es manchen nur, wenn die CN für jeden einzelnen Post in einem Thread gesetzt wird.
Für manche Menschen bilden stattdessen gesetzte CNs eine Barriere, aber in den allermeisten Fällen haben sich Communitys, die sich damit befassen, soweit ich das mitbekomme, sich geeinigt, dass CNs zu setzen den wichtigeren Vorteil bringt.
In diesem Zusammenhang ist bei CNs das Thema Essstörung gesondert zu betrachten. Für ähnlich viele Menschen, soweit ich das wahrnehme, ist die CN sehr wichtig, wie sie für andere sehr belastend ist. Bei dem Thema kollidieren die Schwierigkeiten und Bedürfnisse, ob CNs vorteilhaft oder nachteilhaft sind. Hier ist mir kein besserer Ansatz bekannt, als die eigenen Followenden dahingehend kennen zu lernen.
Interpretationsschwierigkeiten durch Subtext
- Manche Menschen haben Schwierigkeiten, Sarkasmus oder Ironie zu erkennen oder Gesichtsausdrücke zu lesen. Für mich hilft die Gefühlsinterpretation eines Bildes als (Bild)beschreibung. Beispiel “ein fröhliches Gesicht”.
- Ist ein Post sarkastisch, hilft es, ein /s oder /sarkasmus ans Ende des sarkastischen Texts zu hängen. Auch für Ironie ist es hilfreich, den Post als ironisch zu kennzeichnen.
- Besonders unschön ist ironisches Reagieren auf eine Reaktion, die durch Nichtverstehen der Ironie zustande kam!
Abschließend
Ihr merkt vielleicht, dass es an einigen Stellen mit widersprüchlichen Bedürfnissen hakt. Und dennoch glaube ich, dass die Hinweise helfen können, überhaupt erstmal auf Probleme aufmerksam geworden zu sein. Hört euch weiter um, schaut, in was für Umgebungen ihr euch bewegt, an welche Menschen ihr euch richtet und fragt vielleicht eure Timeline, was sie sich von euch bezüglich Barrieren wünscht. Zeigt, dass ihr safe seid, um sich mit entsprechenden Schwierigkeiten an euch zu wenden.