Diagnostik und Diskriminierung
Content Notes: Gate Keeping, Dysphorie, Ableismus, Queerfeindlichkeit, Schmerz, Erwähnung: Geschlechtsangleichende OP, Misgendern, Genitalien
Worum geht es?
TL;DR: Dignostik hat Biase. Diskriminierung führt oft zu Fehldiagnosen. Der Artikel geht um Erfahrungen damit mit Fokus auf Autismus und trans Sein.
Diagnostik ist eine gute und hilfreiche Sache in der Medizin und Psychologie, um
die Ursachen eines Leidens, eines Problems oder ähnlichem einzuordnen und
passende Hilfestellung zu bieten. Es geht dabei allerdings um Menschen. Um
Menschen in einem System, in dem wir zu einem großen Teil Diskriminierungsformen
internalisiert haben, also unbewusst diskriminieren, weil bestimmte Glaubenssätze
darüber, wie Menschen wären oder nicht wären, zu unserer Sozialisierung gehören. Unser
System baut auf diesen Glaubenssätzen zu einem großen Teil auf. Wenn
du dich noch kaum mit einer Diskriminierungsform, die dich nicht selbst betrifft,
auseinandergesetzt hast, dann ist es wahrscheinlich, dass du dich regelmäßig
diskriminierend verhältst. An diesen Strukturen müssen wir alle arbeiten, sofern
wir können.
Bestimmte Symptome, zum Beispiel für Autismus typische Verhaltensweisen, sind oft
nicht direktes Resultat aus Autismus, sondern Traumaresponse auf eine für neurotypische
Personen designte Welt, die sich bei unterschiedlich noch anders marginalisierten
Gruppen unterschiedlich zeigt. Dieses Problem zieht sich auch durch viele
andere Diagnoseverfahren auf Basis von Symptomen durch. Die
Diagnostik hat dadurch Biase (so etwas wie Voreingenommenheit). Einer
davon zum Beispiel führt dazu, dass Frauen oft fehldiagnostiziert werden. In diesem Satz steckt
bereits eine klassische Unvollständigkeit, denn es ist recht offenliegend, dass
der Bias bezüglich Geschlechter sich nicht nur auf Frauen bezieht, auch wenn
meistens nur jener untersucht wird, sondern natürlich auch auf alle
trans, inter* und nicht-binären Menschen mitbezieht, wobei es durch die
weitere Marginalisierung der Trans- und Interfeindlichkeit, Binarism
und Biologismus wieder zu zusätzlichen Problemen kommen kann. Es ist
komplex.
Auch Rassismus spielt in Fehldiagnostik eine große Rolle, sowie Ableismus, besonders
auch Fatshaming, und viele weitere -ismen, die zu schlimmen Fehldiagnosen
führen, sind bekannt. Tatsächlich ist bekannt, dass in der Diagnostik von
medizinischen Problemen, die mit Schmerz zusammenhängen, autistische Menschen
oft fehldiagnostiziert und nicht ernst genommen werden, weil sie ihr Leiden
meist eher sachlich und nicht stereotyp leidend ausdrücken. Zum Geschlechterbias
in der Autismus-Diagnostik gehören häufige Fehldiagnosen mit Borderline.
Dieser Text geht speziell um Diskriminierung im Zusammenhang mit
Diagnostik im Bereich Autismus und trans Sein. Es geht um Überschneidungen und Unterschiede
der Erfahrungen und Entwicklung im Diskurs bezüglich dieser Identitäten. Der Artikel
befasst sich überwiegend mit meiner persönlichen, eigenen Erfahrung und soll einen Einblick
darein geben, warum ich und so viele andere mehrfach-marginalisierte Menschen
die Notwendigkeit sehen, Selbstdiagnose als valide zu verteidigen.
Persönliche Erlebnisse als trans nicht-binäre Person, die sich um Autismus-Diagnostik drehen
Der Diagnosebias, den es bezüglich Geschlecht in der Autismusdiagnostik gibt, ist meiner Hausärztin und anderen Personen im medizinischem Kontext bekannt. Eine häufige Fehldiagnose ist Borderline.
Als ich vor einer Weile auf Therapiesuche war, ging ich dazu zu meiner
Hausärztin, um über den dafür notwendigen Konsiliarbericht zu sprechen. Dabei
erfuhr sie, dass ich autistisch bin, weil das mit auf der Diagnosenliste
stand. Sie fragte mich, ob ich zusätzliche Schwierigkeiten
zu den üblichen auf dem Weg einer Diagnostik gehabt hätte, weil Autismus
bei Frauen oft obwohl zutreffend nicht
diagnostiziert würde. Sie sprach davon, dass ich viel Glück gehabt hatte, dass
ich dabei okay behandelt und ernst genommen worden wäre. Sie
kannte sich mit dem Thema einigermaßen aus, weil sie
Anlass hatte, sich damit auseinanderzusetzen, und hatte bei anderen Personen
miterlebt, dass sie ihres Geschlechts oder ihrer Sozialisierung wegen
entsprechende Hürden gehabt hatten, oder mehrfach zunächst fehldiagnostiziert
worden wären. Ich erwähnte, weil ich das in diesen Situationen immer mache, dass
ich keine Frau bin. Sie mutmaßte, dass es im Zusammenhang von Autismusdiagnostik
wahrscheinlich keinen Unterschied mache, ob ich Frau wäre oder mir das
Geschlecht nur fälschlich teils unterbewusst zugeschrieben würde.
Ich werde das nicht selten von Personen im medizinischen Kontext und auch
von diagnostizierten autistischen Personen gefragt, die von diesem
Diskriminierungsproblem mitbekommen haben. Ich habe einige autistische
Personen im Umfeld, die dieser Diskriminierung ausgeliefert waren, die
zunächst fast alle mit Borderline und später mit
verschiedenen anderen Diagnosen fehldiagnostiziert worden sind und
massiv darunter gelitten haben, bis die Diagnose Autismus und darauf abgestimmte
Behandlung tatsächlich half.
Barrieren und bekannte Biase auf dem Weg zu Diagnostik bei mehrfach-marginalisierten Menschen
TL;DR: Diskriminierung und andere Hürden, die durch Mehrfach-Marginalisierung zu Stande kommen, erschweren den Weg zur Diagnose sehr.
Es gibt Paper und ganze Bücher zum Thema, dass Autismusdiagnostik Frauen diskriminiert. Ich habe Bücher speziell darüber gelesen, was mir schwer fiel, weil sie überwiegend sehr binär verfasst sind und Transfeindlichkeit reproduzieren. Leider gibt es keine oder kaum Literatur zur Autismusdiagnostik bezüglich Diskriminierung von trans, nicht-binären oder inter* Personen, oder welche, die jene überhaupt sichtbar machen und nicht sprachlich schon ausschließen. Aber nicht nur meine Hausärztin fand diesen Schluss naheliegend, dass ich als trans nicht-binäre Person von der gleichen Diskriminierung oder sogar schlimmerer betroffen bin. Diese Intersektionalitätsprobleme und Komorbiditäten sind kaum erforscht und führen auch ohne einen meiner Erfahrung nach wahrscheinlichen, expliziten Zusammenhang (wie etwa, dass Personen aus der Sicht manchen medizinischen Fachpersonals nicht zugleich trans und autistisch sein könnten) dazu, dass eine Diagnostik erschwert wird. Denn Behördenfoo, Auseinandersetzung mit neuen Leuten, Reisen mit Bus oder Bahn, Therapiesuche und vieles mehr sind so große Hürden, dass es schwierig ist, zwei bis drei dieser Wege wegen mehrerer Behinderungen, Erkrankungen oder anderen Beeinträchtigungen zugleich zu gehen. Es ist sehr auslaugend. Ich habe da noch einige medizinische Probleme rumliegen, die eigentlich wichtig wären, aber die ich nicht packe, weil eine geschlechtsangleichende OP neben Barrieren dadurch, dass ich autistisch bin, auch schon eher zu viel Problem ist.
Response vom lokalen Autismus-Verein auf den Diagnose-Bias
TL;DR: Die Schwierigkeit ist auch Autismus-Vereinen und -Gruppen bekannt. Sie reagieren darauf, indem sie auch ohne Diagnose entsprechende Hilfsangebote machen.
Dieses Jahr kam mit der Pandemie eine Sammlung neuer Verhaltensregeln, Brechen alter Muster und Routinen oben drauf, sodass ich es unter der Belastung nicht einmal geschafft habe, mich krankschreiben zu lassen, als ich es brauchte. Ich habe mich deshalb an den lokalen Autismus-Verein gewandt. Eine der ersten Dinge, die mir zugesichert wurden, ohne dass ich überhaupt danach gefragt hätte, war, dass ich für ein Inanspruchnehmen der Hilfestellung keine Diagnose bräuchte. Auch hier kam die Schwierigkeit der Diagnostik wieder zur Sprache, und dass es speziell Zentren für autistische Frauen gäbe. Auch hier sagte ich, dass ich keine Frau bin. Die Gesprächsperson kannte sich damit aus, konnte mir sogar einiges über Erfahrungswerte von nicht-binären Geschlechtsidentitäten im Zusammenhang mit Autismus erzählen, und all dies war für mich wertvoll und Premiere: Ich habe noch nie in medizinischem Kontext mit einer Person über Nicht-binärsein gesprochen, die ich nicht im Vorfeld habe selbst aufklären müssen, abgesehen von dem Psychologen, der die Transindikation ausgestellt hat.
Über Diskriminierung bezüglich trans Sein, Parallelen und Unterschiede
TL;DR: Räumlichkeiten und Sprache sind für Menschen gemacht, die weder nicht-binär oder trans, noch autistisch sind.
Es ist eine spannende Zeit, diese zwei Entwicklungen parallel zu erleben. Mein
Geschlecht ist definitiv keine Behinderung. Ich bin einfach nicht-binär. Trotzdem
brauche ich eine medizinische Behandlung in dem Zusammenhang, weil ich Dysphorie
habe. Aber die behandelt halt meinen Körper, nicht mein Geschlecht.
Die zugehörige Diskriminierung (Transfeindlichkeit, Binarism und
Biologismus) sind in ähnlicherweise schlimm beeinträchtigend wie Ableismus. Zu
einem großen Teil passieren die Diskriminierungen auf verschiedenen Ebenen, sodass
sie nicht eins zu eins vergleichbar sind. Trotzdem hilft vielleicht ein
Einblick ein bisschen dabei, warum für mich Autismus und Geschlecht
Parallelen haben.
Es gibt für mich oft keine Toillette und ich muss auf eine gehen, die nicht für
mich gedacht ist. Sprache schließt mich regelmäßig aus, oder Leute drücken sich
regelmäßig in einer Art aus, die zeigt, dass nicht-binäre Menschen
nicht in den Köpfen der meisten existieren. Die Unsichtbarkeit
in Sprache ist eine für binäre cis Menschen oft kaum vorstellbare
Gewalt, und dabei rede ich nicht von Gendern, sondern von zum
Beispiel der Beschreibung einer weiblichen Stimme, die in den
meisten Fällen eine gewaltvolle Geschlechtszuschreibung macht.
Sprache ist aber auch bezüglich Menschen mit Behinderungen, auch
autistischen Menschen, oft gewaltvoll und ausschließend. So würde es mir
sehr helfen, wenn Ironie oder Sarkasmus gekennzeichnet wären. Oder
wenn keine Allaussagen dastünden, die wieder nur neurotypische Denkweisen
abbildeten, weil auf die Minderheit nicht Acht gegeben werden müsse. Ich
lege auch wert auf Wörter wie neurotypisch, um sie neuroatypisch
entgegenzusetzen, damit es nicht heißt, neuroatypische Menschen und
normal denkende Menschen. "Normal" ist oft eine wertende Vokabel, häufiger
ab- als aufwertend aber beides ist othernd und unangenehm. Auch
würde es helfen, Räume barriereärmer zu gestalten. Für mich sind Großveranstaltungen
kaum machbar, aber wenn es bezüglich Reizüberflutung dafür
gedachte Rückzugsräume gibt, macht es das schon wesentlich besser. Ich
habe diesen Unterschied erlebt, und er führt dazu, dass ich mehr teilhaben kann. Immer
noch weit entfernt von vollständig, aber eben überhaupt und das ist ein großer
Unterschied.
Über Ableismus, Vergleich und Unterschiede zu Binarism und Biologismus
TL;DR: Ableismus und Transfeindlichkeit, die ich erfahre, haben gewisse Parallelen.
Behinderungen sind zum einen körperliche oder geistige Abweichungen von einem
Default, die dazu führen, dass einiges schwer bis unmöglich wird, manche Leute leiden direkt unter
der Behinderung selbst, weil sie zum Beispiel schmerzhaft ist oder andere schwer
erträgliche Symptome mit sich bringt (als Beispiel: Executive Dysfunction).
Behinderungen sind aber auch Be_hinderungen von außen. Dass unsere Welt ausgelegt
ist auf einen Default an Fähigkeiten und Wesensarten, sodass sie für die
meisten accessible ist, aber für Menschen, die aus diesem abled, neurotypischen
Muster herausfallen, eben nicht. Sie könnte da aber angepasst werden. Der
Mangel an Bereitschaft für eine Umsetzung und Gestaltung der Welt zu einem Ort, der auch
für uns accessible wäre, ist großer Teil von Ableismus, einer Diskriminierungsform. Insofern
sind Teile der Schwierigkeiten, die ich dadurch habe, dass ich neuroatpyisch
bin, sehr ähnlich zu jenen, die ich dadurch habe, dass ich nicht-binär bin, auch
wenn das zwei verschiedene Teile meiner Identität sind. Ja, ich schreibe
hier Identität, weil es eben beides etwas ist, was definitiv nicht weggeht, wenn
Leute nur laut genug brüllten, ich wäre aber doch eine Frau oder ich
wäre doch "normal". Es ist Teil von mir. Ich mag mich damit.
Unterschiede in der Diagnostik bezüglich Autismus und trans Sein
TL;DR: Auch autistische und Geschlechts-Identität haben gewisse Parallelen. Der Diskurs zur Diagnostik ist aber sehr verschieden. Der Diskurs bezüglich Selbstdiagnose und bezüglich Autism-Pride reproduziert häufig transfeindliche und binaristische Narrative.
Interessant ist, dass ich als nicht-binäre, autistische trans Person
Autismus und mein Geschlecht als einen jeweils ähnlichen Teil von mir
wahrnehme, weil beides einfach da ist und ich damit eben leben muss, aber
die Herangehensweise der Diagnostik sich stark unterscheidet. Die
Berechtigung für diese Unterschiede wirken erst einmal auf der Hand liegend:
Autismus kommt mit einer Symptomatik, die auch ohne den Diskriminierungsaspekt
eine Behinderung darstellt. Zum Beispiel würde ich Overloads auch in einer auf mich
zugeschnittenen Welt haben, weil sie auch bei für meine Mental Health
notwendiger Interaktion passieren werden.
Trotzdem ist es nicht ohne Grund so, dass autistische Personen häufig
Identity First Language bevorzugen, weil es eben auch etwas ist, was uns
mit ausmacht. Dieser Teil ist für mich vergleichbar damit, wie das bei
meinem Geschlecht der Fall ist.
Nicht-binärität als Thema ist allerdings nicht im Diagnosesektor angekommen (beziehungsweise ist dort noch dabei, viel zu langsam anzukommen), weil medizinisches Fachpersonal etwas beobachtet hätte, Symptome gesammelt hätte, um dann die Ursache Nicht-binarität zu entdecken und zu erforschen. Es ist umgekehrt: Nicht-binäre Menschen wissen eigentlich, dass sie nicht-binär sind, müssen sich aber gegen die eigene internalisierte binaristische Lebensanschauung und gegen der anderen wehren, bis ihnen geglaubt wird. Erst durch die Information nicht-binärer Menschen, die sich mit sich selbst und Diskriminierung auseinandergesetzt haben, kommt das Thema überhaupt in der Diagnostik an, wo wiederum versucht wird, das ganze auf Symptome runterzubrechen, was vielleicht gar nicht mal so eine gute Idee ist. Denn, die Leute, die das runterbrechen, stecken ja in diesem System drin. Aus den meisten Texten über trans Personen in medizinischem Kontext, vor allem wenn es um Symptome und Diagnosekriterien geht, geht hervor, dass Binarism, Sexismus, Biologismus und Transfeindlichkeit tief im medizinischen System steckt und sich darin wiederspiegelt. Der Kampf dagegen wird von trans, inter* und nicht-binären Menschen geführt, von wem sonst?
Ich weiß nicht, wie sehr anders das ist, wenn es um Autismus geht. Die
Diagnostik wird jedenfalls von einem großen Teil aktivistischer, autistischer
Menschen für objetiv oder zumindest objektiver gehalten. Zu Autismus gehört, wie öfter
erwähnt, eben auch eine Behinderung.
Es wurden für die Autismus-Diagnostik Symptome ermittelt, die nun gemessen
werden, indem sie erfragt werden, aber wie Fragen aufgefasst werden oder
wie sich Symptome zeigen, kann zum Beispiel je nach Sozialisierung sehr
verschieden ausfallen. Einige der Symptome sind eben Coping-Symptome. Die
Coping-Mechanismen sind teils geprägt von anderen
Diskriminierungsformen, die Menschen erleben. Es gibt, wie gesagt, statistische
Unterschiede zum Beispiel im Zusammenhang mit Geschlecht. Und generell steckt Forschung
bezüglich Komorbidität, Intersektionalitätsproblemen und Diagnostik
in diesem Land in den Kinderschuhen. Ich befasse mich intensiv mit Wissenschaft und
habe einigermaßen einen Überblick, wie das abläuft. Da liegt noch viel viel Arbeit
vor uns. Ich verstehe nicht, wie Diagnostik in der Struktur, in der wir leben, und
mit dem Wissen über die weitreichende Fehldiagnostik, objektiv genannt werden kann.
Trotzdem sieht der gesellschaftliche Diskurs
zur Diagnostik bezüglich Autismus großflächig anders aus. Es gibt diese grässliche
SelfDx-Debatte (SelfDx steht oft für Selbstdiagnose oder Selbsteinordnung). Da es bei dem
Thema Autismus nicht (oder nicht direkt) um Geschlecht geht, und
nicht einfach alle autistischen Personen durch jenes selbst oder eine gewaltvolle
Zuweisung eines falschen Geschlechts marginalisiert sind (wie das bei nicht dya
cis Geschlechtsidentitäten der Fall ist), ist der Diagnosebias
einem großen Anteil autistischer Menschen nicht bewusst.
Transfeindliche Narrative werden teils
auf autistische Identität und Pride kopiert, eben weil es da
Parallelen gibt, die von queeren, autistischen Personen oft wahrgenommen
und benannt werden. Aber statt die Narrative selbst anzufechten, grenzen
sich einige nicht queere, autistische Personen von
manchen Identitäts- und Pride-Begriffen lautstark ab, die entsprechende
Parallelen sichtbar machen, vielleicht weil
sie dadurch Angriffsfläche fürchten. Die Angriffsfläche gibt es, - wegen
Transfeindlichkeit und Binarism. Die Distanzierung passiert
oft mit einer gleichzeitigen Reproduktion und damit Validierung der
transfeindlichen Narrative.
Was gegen die internalisierten -Ismen hilft, ist nicht die Diagnostik, sondern in erster Instanz Sichtbarkeit und erst später Wissenschaft, - vielleicht
TL;DR: Sichtbarkeit im Fall von nicht-binären und trans Geschlechtsidentitäten führt zu Gesetzen und Diagnosekriterien, nicht umgekehrt.
Die Akzeptanz nicht-binärer Personen passiert jedenfalls im ersten Schritt dadurch, dass nicht-binäre Personen sich selbst sichtbar machen und über sich reden. Aber der Glaube daran, dass es uns gibt (bin kein Gott, aber manchmal frage ich mich, ob die Existensfrage dann mehr zu meinen Gunsten beantwortet würde), passiert erst, wenn es wissenschaftliche Nachweise gibt, oder selbst dann nicht, weil Leute lieber erstmal sowas sagen wie: Penis, Vagina, du fühlst dich nur so, hast du schonmal an eine Therapie gedacht?, ist das heilbar? Unsere Geschlechter werden erst überhaupt angefangen, ernst genommen zu werden, wenn es im Gesetzestext steht, dass es uns gibt, aber wir sind auch vorher schon da, verflixt.
Autistische Identität
TL;DR: Autismus-Diagnosen verhelfen zwar zu Hilfestellung, aber die Barrieren, an solche zu gelangen, sind oft schlimmer, als was jene einbringen, besonders wenn auch das Umfeld unterstützt. Wesentlich für viele autistische Menschen ist aber auch, sich selbst zu finden, zu erfahren, dass wir nicht das Problem sind, Communities, die unserer Mental Health gut tun, und für einige von uns ein Pride-Kontext.
Zurück zum Thema Autismus: Autismus ist nun tatsächlich auch eine Behinderung. Gegebenenfalls bedarf es dafür Hilfestellung vom medizinischen System. Dafür sind Diagnosen wichtig. Aber wenn es dieser Hilfestellung nicht bedarf oder viel eher das System die passenden einfach nicht bieten kann, weil vielleicht die Barrieren bis dahin viel schlimmer sind, als zum Beispiel Unterstützng aus dem persönlichen Umfeld, dann ist Autismus immer noch etwas sehr eigenes. Etwas, was eine Person mit ausmacht. Etwas, was einem über das halbe Leben ein Fremdheitsgefühlt gibt, das Wrong-Planet-Phänomen zum Beispiel. Und wenn eins dann in Gruppen mit anderen autistischen Personen landet, ist es oft ein sehr befreiendes Gefühl, ein Gefühl, das einem sagt, ich bin gar nicht falsch. Ich bin nicht das Problem. Diese Erkenntnis, das Sichtbarmachen und dann auch Trotzen gegen die Diskriminierung, mit dem Gedanken, "ich bin nicht das Problem", ist etwa das, was das englische Wort Pride ausdrückt.
Fazit
TL;DR: SelfDx ist grundsätzlich valid.
SelfDx (Selbstdiagnose) ist grundsätzlich valid und für manche die einzige Möglichkeit, sich zu finden und Hilfe zu bekommen. Ein Diagnoseverfahren braucht für viele Mehrfachmarginalisierte mehrere Jahre bis Jahrzehnte und für manche ist sie gar nicht möglich. Diagnostik ist eine feine Sache, aber gehört auch grundlegend überarbeitet. Wenn eine Person autistisch ist, die diesen Weg aus verschiedenen Gründen nicht gehen kann, dann werde ich nicht ankommen und entscheiden, dass die Person nicht autistisch wäre. Das ist übergriffig und hilft dem Thema überhaupt nicht. Es wäre Gate Keeping und fügt Menschen erheblichen Schaden zu, da rede ich aus mehrfacher, schmerzhafter Erfahrung. Ich habe, als ich anfing, über autistische Wahrnehmung zu schreiben, befürchtet, dass ich das nicht tun sollte, weil ich das schon vor der Diagnose tat. Aber wir brauchen auch diese Seiten. Natürlich kann irgendwo Unfug passieren. Aber wie soll die Diagnostik überarbeitet werden, wenn wir nicht zuerst Perspektiven sehen, die uns helfen, unsere Diskriminierung und jene Intersektionalitätsprobleme zu hinterfragen? Ich weiß nicht, dass ich autistisch bin, weil es auf einem Zettel steht und ich dafür Dinge gefragt worden wäre, sondern weil ich unter neuroatypischen Menschen herausgefunden habe, wie unsere Kommunikation funktioniert, warum ich von was überlastet werde, was ich tun muss, was effektiv hilft, und dass ich nicht alleine bin. Weil ich dann Bücher gelesen habe, mich mit dem Thema und meiner Behinderung über einen langen Zeitraum intensiv auseinandergesetzt habe, differenziert und reflektiert habe. Die Diagnose kam viel später.