Kanta wurde von Jentel aus dem Wasser gefischt und ist seit dem an Bord. Sie befasst sich viel mit Sprachen.
Content Notes:
Lebensmüde Gedanken.
Strichrichtung
Kanta
Als das Assassinan Kanta aufforderte, ihr in die Kapitänskajüte zu folgen, konnte Kanta ihr Unbehagen nicht mehr verdrängen, dass sie seit ein paar Tagen untergründig spürte.
War ‘Assassinan’ überhaupt die richtige Bezeichnung für Amira? Kanta hatte das Gespräch zwischen Jentel und ihr mitbekommen, in dem es um Pronomen und Endungen gegangen war. Jentel sprach selten mit anderen Crewmitgliedern, außer vielleicht mit Nixen. Und mit Janasz. Jentel mied besonders Kanta. Aber mit Amira hatte as gesprochen. Daher wusste Kanta, dass die Endung ‘-an’ an geschlechtsspezifischen, – oder dadurch eben unspezifischen – Bezeichnungen für Amira richtig war.
Und eigentlich war sich Kanta auch recht sicher, dass Amira Assassinan war. Sie hatte einen durchtrainierten Körper, war sehr gut darin, nicht im Weg zu stehen, es sei denn, sie wollte es, und selbst Kanta fiel es schwer, sie zu bemerken, wenn sie sich anschlich. Es war wahrscheinlich nicht einmal beabsichtigt, dass sich Amira anschlich, gehörte einfach zu ihren Gewohnheiten. Und dann waren da die Messer. Sie waren so in die Kleidung integriert, dass sie gut greifbar waren, aber nicht direkt als Messer erkennbar. Die Kleidung war perfekt auf den Körper zugeschnitten, robust und durch und durch darauf ausgelegt, praktisch zu sein. Selbst das Kopftuch hatte einen praktischen Zweck. Aber die Ösen, die auf den ersten Blick wie Verzierungen ausgesehen hatten, hätten keinen gehabt. Also hatte Kanta genau beobachtet und schließlich mutig gefragt, was sie für eine Bedeutung hatten. Amira hatte länger gezögert, bevor sie eines der Messer herausgezogen hatte, um es Kanta zu zeigen. Und das hatte Kanta schließlich davon überzeugt, dass Amira nicht aus ähnlich harmlosen Gründen wie sie an Bord war. Amira war hier aus einem gefährlichen Grund. Kanta wusste nur nicht, für wen gefährlich.
Kanta war nicht so leicht unwissend zu halten, wie sich der größte Teil der Crew das vorstellte. Sie wusste zwar immer noch nicht, wie die Fernangriffe funktionierten, aber mit Nixen an Bord waren da plötzlich viel mehr vorstellbare Optionen. Vielleicht tauchten die Nixen Janasz und Ashnekov an die anderen Schiffe heran, wo sie irgendwie an Bord klettern konnten. Dass Janasz und Ashnekov beteiligt waren, wusste Kanta daher, dass die beiden bei Überfällen nie an Deck waren.
Aber wie genau die Überfälle abliefen, war zwar interessant, aber ebenfalls weniger spannend, als sich die Crew das für sie vorstellte. Die wesentlichen Informationen lagen darin, welche Schiffe sie ausraubten. Diese Information hätte Kanta höchstens vorenthalten werden können, wenn ihr verboten worden wäre, während eines Überfalls an Deck zu sein. Aber das Gegenteil war der Fall: Sie war sogar angehalten dazu, während der Überfälle sichtbar zu sein. Damit sie Befehle erhalten könnte, war die Hauptbegründung, aber Kanta zweifelte nicht, dass die Informationen, die sie unter Deck hätte bekommen können, einfach noch viel mehr gewesen wären, also einer der Gründe war, dass sie nicht herumschnüffelte.
Manchmal fragte sich Kanta, ob das ganze Misstrauen ihr gegenüber nicht sehr gerechtfertigt wäre. Denn neugierig war sie. Sie hielt sich an alle Auflagen, ohne je zu murren. Aber was sie innerhalb der Auflagen erfahren konnte, sog sie auf wie ein Schwamm. Wie sie es immer getan hatte. Und sie zog eben ihre Schlüsse.
Es versuchten immer noch Schiffe aus Minzter an ihnen vorbeizukommen. Sie hatte mangels Fernglas nie Gelegenheit gehabt, zu sehen, ob Arwin auch an Bord gewesen wäre, aber sie glaubte daran. Sie erkannte das Schiff, auf dem sie selbst gekommen war, bei mindestens zweien der Überfälle.
Kanta konnte sich denken, dass die staatliche Finanzierung für Forschungsreisen nicht so lange gegeben gewesen wäre, wie für jenes Forschungsprojekt augenscheinlich weiter welche floss, wenn die Reisen zwecklos erschienen wären. Hinter den Versuchen, an ihnen vorbeizukommen, steckte also mehr als die geringe Hoffnung, irgendwann eben doch an ihnen vorbei und vor Grenlannd anzukommen. Sie forschten die Geisterschiffe aus, schloss Kanta. Und Teil der Strategie, um die Geistercrew zu erforschen, – auch da war sich Kanta recht sicher –, war, die Überfälle zu provozieren und zu beobachten, was dabei genau passierte.
Manchmal fragte sie sich, ob sie versuchten, sie zurückzuholen, aber Kanta hatte kein Interesse zu gehen. Und ohne, dass sie von sich aus aktiv würde, um die Schattenmuräne zu verlassen, war jeder Versuch aussichtslos. Dazu agierte Sindra zu durchdacht – Kanta konnte nicht umhin, die Kapitänin zu bewundern, wie rasch und kontrolliert sie Entscheidungen mit genau der richtigen Vorsicht fällte, und wie präzise und auf die jeweilig angesprochene Person abgestimmt sie Befehle erteilte. Und schließlich war dieses Nixenschiff zu unsagbar schnell, als dass ein Forschungsschiff es jemals eingeholt hätte. Manchmal hatte Kanta das Gefühl, die Schattenmuräne selbst lebte, wenn sie sich aus dem Wasser erhob – das tat sie tatsächlich um ein paar Meter –, und plötzlich ganz anders durch die Wellen schnitt als zuvor, oder manchmal auch mit ihnen lief, von ihnen geschoben wurde.
Im Nachhinein war Kanta eine Idee gekommen, wie sie sie damals einfacher hätten an Bord schmuggeln können: Wenn sie sie unter Vorräten begraben in einer der Kisten oder Säcke versteckt hätten, die geklaut werden würden. Vielleicht war Amira auf diese Weise an Bord gekommen. Aber selbst wenn, glaubte Kanta nicht, dass Amira zu ihrer ehemaligen Forschungscrew gehörte oder sie von jener beauftragt worden wäre. Das war zumindest damals nicht deren Stil gewesen. Amira war außerdem ein Mensch, von weiter aus dem Norden. Das musste nicht zwingend etwas heißen, aber es legte es weniger nahe, dass sie von Minzter aus geschickt worden wäre. Kanta konnte sich auch nicht vorstellen, dass Amira ohne ein hübsches Sümmchen Geld hier hergelangt war, das von einer Hand in eine andere geflossen war. Wahrscheinlich ohne, dass Amira davon je etwas abbekommen hätte, von ihrer Ausrüstung und Ausbildung abgesehen. Geld, das ihre Forschungscrew von damals sicher nicht gehabt hätte.
Aber so ganz erschloss sich Kanta das alles noch nicht. Ob Amira an Bord war, weil sie hätte morden sollen und es dann doch nicht getan hatte, oder weil sie es noch vorhatte, oder von wem sie dann geschickt worden war, wenn nicht von ihrer Forschungsorganisation, war Kanta alles unklar. Es war lediglich wahrscheinlich, dass es nun eine weitere Interessengruppe gab, die sich auf die Jagd der Schattenflotte fokussiert hatte, auf ungemütlichere Weise. Oder Amira war im Auftrag der Kapitänin an Bord, aber das glaubte Kanta eigentlich auch nicht. Das wiederum passte nicht zur Schattencrew. Sindra selbst erschloss sich Kanta als Charakter allerdings nicht.
Amira hatte, seit sie hier war, noch niemanden umgebracht. Aber das hieß nicht, dass Amira nicht irgendwelche Todesdrohungen ausgesprochen haben könnte und auf diese Weise die Kapitänin oder irgendeine andere Person an Bord im Griff hätte, die jetzt täte, was Amira jeweils wollte. Es war Kanta zum Beispiel aufgefallen, dass Rash keine Briefe mehr geschrieben hatte, seit Amira sichtbar in Erscheinung getreten war. Rash und Kanta unterhielten sich über Formulierungen. Kanta bekam immer mit, was und wann Rash schrieb. Sie wusste nicht, wie die Post verschickt wurde, aber es gehörte mit zu den Dingen, die Kanta an Bord am liebsten geworden waren, mit Rash formulieren zu üben: Rash war eine interessante Person, formulieren machte eben viel Spaß und Rash vertraute ihr. Mehr zumindest als irgendwer sonst an Bord. Kanta hatte nicht gewusst, wie sehr sie das Gefühl gebraucht hatte, dass sie jemand ernst nahm und sie nicht so behandelte, als wäre sie außen vor, wie alle anderen. Rash hatte ihr versichert, die anderen bräuchten bloß Zeit, teils viel Zeit. Vertrauen sei im Kontext von Piraterie nicht einfach aufzubauen.
Und nun bat Amira sie, ihr in die Kapitänskajüte zu folgen. Kantas frisch und zaghaft aufgebaute Welt kam wieder ins Wanken. Und das war etwas, was sie auf See, wo sie keine Möglichkeit hatte, zu fliehen, durchaus beunruhigte.
Sie betrat die Kapitänskajüte. Amira hielt ihr dabei die Tür auf. Es war Kanta unbehaglich, dass sie dabei hinter ihr stand. Sindra saß auf ihrem Stuhl, eine Tasse Tee in der Hand, die Beine angewinkelt. Kanta war schleierhaft, wie eine Person so sitzen konnte. Zu ihrer Erleichterung stellte sich Amira nicht hinter sie, sondern schräg hinter Sindra, als sie der Kapitänin gegenüber Platz nahm.
“Du kennst Amira bereits.”, leitete die Kapitänin ein. “Aber du weißt nicht, warum sie hier ist, nehme ich an?”
War das eine Art Prüfung? “Sie ist Assassinan.” Kanta versuchte die Vermutung genau zwischen Frage und Feststellung klingen zu lassen. Amira schien das nicht zu beeindrucken.
Die Kapitänin hob die Brauen und nickte. “Habt ihr euch schon vorgestellt?”
Nicht nur Kanta schüttelte den Kopf, sondern auch Amira, außerdem durch ablehnende Geräusche zu verstehen gebend, dass dies nicht der Fall gewesen war.
“Ist das irgendwodurch offensichtlich für dich?”, fragte die Kapitänin.
Kanta nickte vorsichtig. Sie fühlte sich sehr unbehaglich. Sie hätte es also nicht wissen sollen. Nun würde ihre Neugierde vielleicht als noch gefährlicher eingestuft werden.
“Ich habe ihr ein Messer aus meiner Kleidung gezeigt.”, setzte sich überraschend Amira für sie ein.
Was mochten bloß ihre Motive sein?
Die Kapitänin nickte und senkte die Brauen wieder. Aber die Skepsis fiel nicht ganz von ihr ab. “Amira ist Assassinan. Und hat einen Mord an mir verhindert. Indem sie ihn nicht ausgeführt hat, aber letzteres müssen wir nicht überbetonen.”
Sollte das ein Witz sein? War das ein subtiler Hinweis auf irgendetwas? Ein Hilferuf vielleicht? Sollte Kanta versuchen, irgendwie durch Rätsel mit der Kapitänin zu sprechen, durch irgendwelche Informationen, die zwischen Kanta und der Kapitänin bekannt waren, die Amira aber nicht wissen konnte?
Kanta nickte erst einmal einfach. Sie versuchte, sich alles genau einzuprägen und hochkonzentriert mitzudenken, damit ihr nichts entginge. Und das, obwohl sie Angst hatte, dass sie für zu neugierig gehalten werden konnte. Es gab Dinge, die gingen vor.
Die Kapitänin band einen Umschlag aus braunem, weichem Material auf und legte ihn so in Kantas Blickfeld, dass das Schriftbild des darin befindlichen Briefs für sie richtig herum lag. Es war prinzipiell Rashs Schrift, das erkannte sie. In Kanta zog sich alles zusammen.
“Denk laut.”, befahl die Kapitänin.
Kanta blickte auf, konnte die Wut und Verzweiflung, die sie fühlte, vielleicht nicht so gut verbergen. Aber vielleicht war das auch okay, weil es ja auch eine Form des lauten Denkens war. “Ist damit gemeint, dass ich alles sagen soll, was ich denke? Am besten die ganze Zeit reden soll?”
Die Kapitänin nickte.
Deutlicher konnte sie Kanta wohl kaum mitteilen, dass sie andernfalls ein Lügenkonstrukt erwartete, für das Kanta sich eben Zeit hätte nehmen müssen, es zu erstellen. “Ich denke an blaugrüne Flederflüffe.”, sagte Kanta spitz. “Ich will damit sagen, dass ich mein Gehirn darauf trainiert habe, auf Dinge zu fokussieren, auf die ich mich fokussieren möchte. Der Trick würde bei mir eher mäßig schlecht funktionieren. Ich kann sowohl sehr bewusst an bestimmte Dinge nicht denken. Da habe ich Übung mit, weil ich sonst an zu viele schlimme Dinge denke, die mir widerfahren sind. Als auch kann ich während des Lesens oder Redens relativ gut an andere Dinge gleichzeitig denken.”
“Ich verstehe.”, sagte die Kapitänin. Keineswegs glücklich.
Kanta spürte, wie ihr die Angst die Kehle zuschnürte. “Ich mag aber sagen, was ich denke, wenn ich darf.”, sagte sie mutig. Im selben aggressiven Tonfall wie eben.
“Ich bitte darum.”, forderte die Kapitänin sie dazu auf, ihrem Wunsch nachzukommen.
“Ich habe Angst.”, sagte Kanta klar. Das hatte sie der Kapitänin nie so direkt gesagt. Aber vielleicht war das jetzt gut. Ihr war auch egal, dass das Assassinan dabei zuhörte. Es war alles egal. “Ich habe Angst, dass ich nun beseitigt werden soll. Dass das Misstrauen der Crew oder dein persönliches dazu führt, dass ich nicht mehr leben darf.” Ihr fiel erst dadurch, dass sie es sagte, auf, dass sich etwas grundlegend in ihrem Leben geändert hatte. “Ich habe, seit ich an Bord bin, das erste Mal, seit ich mich zurückerinnern kann, tatsächlich einen Lebenswillen.” Kanta glaubte, dass ihre Stimme eigentlich hätte zittern müssen, aber das tat sie nicht.
“Wer hat die Nachricht geschrieben?”, fragte die Kapitänin.
Kanta fragte sich, wie eine Person nach einer solchen Ansprache so unbarmherzig sein könnte. Stand tatsächlich schon im Raum, dass sie sie vielleicht hinrichten würden? Kanta senkte den Blick auf das Papier. Sie wusste, wie Rash Buchstaben malte. “Ich weiß es nicht.”, sagte sie.
“Kennst du die Handschrift?”, fragte die Kapitänin.
Kanta zögerte. Hatte es einen Sinn? “Du möchtest hören, dass es Rashs Handschrift ist.”
Die Kapitänin schüttelte den Kopf. “Eigentlich wünschte ich mir, es wäre eine andere.”, sagte sie leise, weicher. “Was meinst du damit? Ist es nur eine ähnliche?”
Waren sie wirklich nicht selbst in der Lage, zu sehen, was hier los war? Dass das zwar Rashs Handschrift war, aber Rash das nicht geschrieben hatte? Sollte sie es sagen? Würde es ihre Überlebenschancen verbessern oder eher verschlechtern?
Sie glaubte kaum, dass dieses Detail, das sie hier so offensichtlich sah und die anderen nicht, plötzlich ein großes, spürbares Vertrauen in sie aufbauen würde.
Und dann verknüpfte sie ganz andere Informationen miteinander: Der Schriftverkehr war mit dem sichtbaren Erscheinen von Amira eingestellt worden. Auf Basis dieses Schriftstücks dann wohl. Amira war hier mit dem Schriftstück eingetroffen, und vielleicht ausgelöst durch das Schriftstück. Sie war Assassinan, und wenn die Kapitänin recht hatte, eines, das einen Auftragsmord an selbiger nicht durchgeführt hatte.
Amira würde vielleicht nicht das letzte Assassinan sein, das auf die Schattenmuräne geschickt würde, wenn ihr Auftrag nicht erfolgreich wäre.
“Es geht um Leben und Tod der Crew.”, formulierte Kanta vorsichtig. Sie konnte schnell denken. Sie vermutete, es hatte kaum ein paar Sekunden gebraucht von der Frage der Kapitänin bis zu ihrer Reaktion.
Amira nickte sofort. Die Kapitänin zögerte, tat es dann aber auch.
“Rash fängt manche Buchstaben von woanders an aufs Papier zu bringen.”, informierte Kanta. “Ich sehe es, wenn Rash schreibt, wie Rash die Feder zieht. Das Papier hier hat leicht haarige Fasern, fast wie ein Fell, die sich unter dem Druck des Stifts in eine bestimmte Richtung gelegt haben. Die Strichrichtung stimmt nicht überall mit der von Rash überein und ist auch in sich nicht konsistent.”
“Was heißt konsistent?”, fragte Amira.
Wieso durfte das Assassinan eigentlich sprechen? Vielleicht erlaubte Amira sich das einfach. Es spielte eigentlich keine Rolle. “Nicht überall gleich. Die Person hat für die selben Buchstaben mal die eine und mal die andere Strichrichtung benutzt.”
“Das ist sehr interessant.”, sagte die Kapitänin nachdenklich.
Es war das erste Mal, dass Kanta das Gefühl hatte, dass sie sie als eine Person wahrnahm. Sie fragte sich, ob sie ihr den letzten Gedankenschritt auch noch abnehmen musste oder ob sie selber darauf kam.
“Ich würde raten, dass eine Person abgepaust hat, die selbst nicht flüssig schreiben kann?”, fragte sie.
Sie war also selbst daraufgekommen. “Das war auch mein Schluss.”, sagte Kanta.
“Aber müsste dann nicht eine Originalnachricht von Rash existieren?”, fragte die Kapitänin.
Kanta hatte gerade angefangen, sich zu entspannen, aber nun zog es sich in ihr wieder heftig zusammen vor Angst. Dieses Mal um Rash. Das war ein naheliegender Schluss, das hätte ihr klar sein müssen. Sie hatte eigentlich gehofft, Rash dadurch entlasten zu können.
Sie nickte vorsichtig. “So etwas in der Art.”
“Sprich aus, was du weißt.”, forderte die Kapitänin sie auf.
“Ich habe eher eine Frage: Warum sollte eine Person einen Brief abpausen?” Kanta rang die Hände. Es konnte doch nicht sein, dass die Information, dass die Briefe aus abgepausten Buchstaben bestanden, Rash nicht entlastete.
Die Kapitänin blieb still und musterte Kanta nachdenklich.
“Zum Kopieren?”, fragte Amira.
“Unwahrscheinlich.”, antwortete die Kapitänin, ohne sich umzusehen. “Das ergibt nur dann einen Sinn, wenn es zwei Parteien gibt, von denen eine die Originale bekommt, und von der zweiten nichts weiß, die die Kopien anfertigt, während die einzigen Personen der zweiten Partei, die Zugang zu den Unterlagen der ersten Partei haben, nicht schreiben können. Andernfalls wäre Kopieren durch eine Person, die schreiben kann, viel einfacher.”
Das war eine erstaunliche Schlussfolgerung und erklärte Kanta einiges.
“Gibt es nicht so manche Partei, die die Schattenflotte am liebsten zerstört sehen will?”, fragte Kanta, was sie sich vorhin schon überlegt hatte.
Die Kapitänin nickte. “Schon.”, sagte sie. “Aber ich glaube eigentlich an eine einfachere Begründung für das Abpausen.”
“Eine bestimmte, oder erstmal nur, dass eine einfachere Begründung da sein könnte, von der du noch nicht weißt, wie sie aussehen könnte?”, fragte Kanta.
“Letzteres.”, antwortete die Kapitänin. “Hast du noch eine Idee?”
Kanta wühlte in ihrem Gehirn. “Eine merkwürdige.”, sagte sie schließlich. “Vielleicht geht es darum, im Zweifel Rash zu belasten.”
“Erkläre dich genauer?”, forderte die Kapitänin.
“Es gibt keine Originalnachricht, aber die Personen, die diesen Brief erzeugt haben, haben Schriftmaterial in Rashs Schrift.”, kam Kanta dem Befehl nach. “Entsprechend pausen sie Buchstaben ab, sodass sich ein neuer Brief ergibt, der aber, falls er in die falschen Hände gerät, Rash belastet, und nicht eine andere Person.”
“Das ist eine interessante Idee.”, sagte die Kapitänin. Aber glücklich wirkte sie dieses Mal nicht. “Nur dass dann wieder wahrscheinlich eine Person zum Abpausen gewählt worden wäre, die schreiben kann, bei der die Strichrichtung konsistent wäre. Vielleicht nicht mit Rashs, aber innerhalb des Briefs.”
Das stimmte. Warum hatte Kanta daran nicht gedacht?
“Aber dein Hinweis ist trotzdem wertvoll.”, versicherte die Kapitänin. “Du hast dabei ins Spiel gebracht, dass die Buchstaben einzeln abgepaust werden können, und trotzdem ein stimmiges Schriftbild herauskommt.”
“Bei Rashs Handschrift schon.”, stimmte Kanta ohne Umschweife zu. “Kazdulan ist dabei auch eher ein Vorteil.”
“Vielen Dank für all das, was du uns anvertraut hast.”, sagte die Kapitänin. “Du kannst gehen. Wenn dir noch etwas einfällt, bist du mit jedem Hinweis hier sehr willkommen.”
Kanta stand langsam auf, drehte sich aber nicht direkt um. Der Gedanke, Amira könnte ihr ein Messer in den Rücken werfen, sobald sie sich umdrehte, flackerte unaufgefordert durch ihre Vorstellungen. “Besteht für mich die Gefahr, dass ich hingerichtet werde?”, fragte sie. Sie musste das fragen.
“Du hast mein Wort, dass ich und meine Crew, solange ich das Kommando habe, niemals eine Person hinrichten werden.”, versicherte die Kapitänin. Leise und gelassen, aber in einem Tonfall, bei dem Kanta sich fühlte, dass ihr das hätte sehr klar sein müssen.
Kanta schluckte. “Danke.”, murmelte sie. Aber obwohl sie der Kapitänin glaubte, fühlte sie sich in keinster Weise beruhigt, als sie die Kajüte wieder verließ.