Janasz kocht für die Crew. Er hat vor nicht allzu langer Zeit angefangen, sich mit Jentel, der Mastkorb-Nixe, während des Essens zu unterhalten.
Content Notes:
Depressive Stimmung.
Jammerübungen
Janasz
Ashne massierte ihm den Rücken. Sein ausgeschriebener Name war Ashnekov, aber von Leuten, die er mochte, mochte er lieber Ashne genannt werden. Mit einem ‘e’ wie in Scherben.
Janasz seufzte, als sich Ashnes Finger in seinen Rücken bohrten, rieben, kreisten, aber so richtig kam Ashne nicht gegen die Verspannungen an. Es waren Verspannungen aus Frust, Angst, zu viel Arbeit, und nicht zuletzt kamen sie davon, dass heute das Schiff besonders unruhig durch die Wellen stampfte. Nicht, dass es gestürmt hätte. Der Wind hatte in der Nacht gedreht, sodass nun Dünung nicht zur Windrichtung passte. Erstere brauchte immer ein bisschen, um sich einzupendeln. Janasz spürte, wenn das nicht zusammenpasste. Sein Körper reagierte darauf sensibel. Ashnes Hände kamen da nicht gegen an. Schließlich ließ Janasz sich nach hinten gegen ihn fallen und erhielt dafür eine Umarmung. Sie würden nicht lange so verharren können. Es gab so viel zu tun.
“Ich fühle mich ausgebrannt.”, murmelte Janasz. “Als würde ich die Arbeiten dreier Crewmitglieder ausführen, nicht nur, was eine Person gut leisten kann.” Er beschwerte sich selten und fühlte sich schlecht dabei.
Ashne streichelte ihm fest über die Schultern und Arme. Er hatte so eine unendliche Geduld mit ihm. Janasz mochte keine zarten Berührungen und Ashne hatte sich so lange Zeit genommen, Janasz zu fragen, bis Janasz sich das erste Mal getraut hatte, über seine Bedürfnisse zu reden. Jetzt übten sie es jeden Tag. Janasz sagte jeden Tag einen Satz, in dem er sich überwand, etwas in Worte zu kleiden, was sich für ihn ungemütlich anfühlte.
“Das Ausrauben.”, zählte Ashne auf. “Das Kochen. Und das Erfragen nach Vorlieben beim Essen.”
“Das dritte zähle ich nicht, stattdessen das Ausräumen und Buch führen.”, korrigierte Janasz.
Wobei Rash beim Buchführen geholfen hatte. Janasz konnte nicht schreiben. Nicht so gut jedenfalls. Dafür hatte Janasz Rash beim Formulieren von Briefen geholfen, was Rash wiederum schwerfiel. Es wirkte so unrealistisch, dass Rash etwas schwerfiel. Manchmal fragte sich Janasz, ob Rash das anfangs nur behauptet hatte, um seine Gesellschaft zu haben und etwas gegen sein Gewissen zu tun, weil Rash ihm ja bei einer Arbeit half, die eigentlich seine Aufgabe war. Seit Kanta an Bord war, war es anders. Kanta hatte auch Aufgaben übernehmen sollen, die aber möglichst nicht zu viel über ihre Vorgehensweisen verraten sollten. Wie sie die Überfälle durchführten, war sehr wertvolles Wissen, das nur sparsam geteilt wurde. Nun half sie Rash stattdessen beim Formulieren, behauptete Rash zumindest, und saß, während Janasz und Ashne ausluden und Ladung sortierten, mit in der kleinen Kombüse und später in den Vorratskammern, um den Schreibanteil der Buchführung nach Diktat zu übernehmen. Ihre Schrift war gut lesbar und schön. Sie sprach, ähnlich wie die Kapitänin, allerlei Sprachen fließend. Janasz hatte kein Sprachtalent. Manchmal fühlte er sich, als hätte er überhaupt keine Talente.
Er fand Kanta durchaus nett. Mit seiner stillen Art war er wohl gut in der Lage, ihr nichts zu verraten, was sie nicht zwingend wissen musste. Von der Arbeitserleichterung fühlte er jedoch wenig, im Gegenteil. Zum einen, weil eben Rash zuvor schon geholfen hatte, und zum anderen, weil es ein Routinebruch war.
“Strengt dich überhaupt nicht an, nach Essgewohnheiten und -wünschen zu fragen?”, fragte Ashne.
Er hatte recht. “Doch, schon.” Aber es war trotzdem etwas anderes. “Mir fällt reden schwer. Aber es lohnt sich. Es macht Leute glücklich. Und es bringt mich zum Kennenlernen.”
“Wieso zählst du dann kochen?”, fragte Ashne. Er versenkte sein Gesicht von oben in Janaszs festes, stabiles Haar. Das musste doch pieksen oder kitzeln.
“Den Teil von Kochen, der glücklich macht, mag ich sehr. Aber kochen ist auch heiß und eng und passiert unter Zeitdruck.”, erklärte Janasz. Er fühlte sich wirklich nicht gut, sich ausgerechnet über Kochen zu beschweren. “Reicht das für heute?”
Ashne gluckste. Janasz fühlte die Bewegung des Bauchs und der Brust an seinem Rücken. “Wir haben ohnehin keine Zeit mehr.”
Ashne hatte gute Ohren. Er hatte Janasz gerade losgelassen, als Kanta in der Kombüse für die Buchführung erschien. Sie trug einen Rock, der so roch, als wäre er gerade noch feucht gewesen, und darüber ein Oberhemd.
“Wir haben keine Kleider an Bord, die dir passen, schließe ich.”, sagte Ashne.
Das würde den Kleidungsstil erklären. Ashne war sehr gut darin, mitzudenken. Janasz eher weniger.
Kanta nickte. “Rash hatte einen Rock, diesen, den Rash mir abgegeben hat. Damit habe ich genau zwei Kleidungsstücke mit Rock unten. Ich trage wirklich nicht gerne Hosen.”
Hosen an Deck waren aber praktisch, dachte Janasz. Trotzdem konnte er auf einer gewissen Ebene nachvollziehen, dass selbst unpraktische Kleidung Vorzüge haben konnte, die nicht jede Person gleich verstand.
Sie machten sich an die Arbeit. Säcke öffnen und wiegen, Kisten und Fässer untersuchen, aufschreiben, was drin war, und einen groben Plan darüber machen, was er daraus kochen könnte und wie lange es reichen würde. Janasz hielt sich nie an den so erstellten Kochplan. Das wussten alle. Es war ein Plan, der nur dazu da war, einen Überblick abzuleiten, wie viele Tage Janasz die Crew mit mehr oder weniger abwechslungsreichen Gerichten versorgen könnte.
Das einzige, was Janasz an dieser Arbeit Spaß machte, waren die Überraschungen. Es war manchmal etwas Ungeplantes im Diebesgut dabei. Manchmal gab es eine Kiste mit frischem Gemüse. Einmal hatten sie aus Versehen eine Kiste erwischt, in der statt Einmachgläsern Porzelangeschirr verstaut gewesen war. Heute war die Ziege dabei gewesen. Sie war vorhin aufgewacht und mähte nun erstmal orientierungslos an Deck. Wobei sie unter Deck, bevor er sie mit einem Blasrohrpfeil in Schlaf versetzt hatte, auch nicht sehr orientiert gewirkt hatte. In einem Kartoffelsack fanden sie außerdem ein großes Halstuch. Ashne fand, es passte zu Kanta und reichte es ihr. Janasz hatte sie, seit sie hier war, noch nie so gerührt gesehen. Und das war nun immerhin mehrere Wochen her, oder war es schon länger als ein Monat?
Sie strich sachte über den Stoff. “Ich darf etwas haben?”, fragte sie.
“Wenn du es magst, schon, denke ich.”, sagte Ashne freundlich. “Ich habe den Eindruck, du könntest eine Freude gebrauchen.”
Kanta wirkte auf einmal sehr traurig. Vielleicht hätte Janasz vorher auffallen sollen, dass ihr etwas fehlte.
“In der aktuellen Woche ist Marah mit Essgewohnheiten dran.”, sagte er. “Möchtest du danach dran sein?” Eigentlich war er selber danach dran. Daher konnte er die Woche abgeben, ohne eine Person enttäuschen zu müssen.
Ashne sah ihn sanft aber vielleicht auch eine Spur böse an. Nur einen Moment. Er hatte Janaszs Plan wohl im Kopf und wusste, was er vorhatte.
“Ach, ihr seid so lieb!”, erwiderte Kanta.
Aber eine Antwort auf die Frage war das nicht. Er würde wieder fragen, wenn es soweit war.
Janasz machte keine Pause nach der Buchführung, sondern ging direkt zum Kochen über. Heute war Nixenküche an der Reihe, denn Marah war dran. Nun, das war vereinfacht gesagt, wie Janasz wusste, seit Jentel endlich über saine Vorzüge geredet hatte. Bei den Essgewohnheiten der Nixen gab es wohl genauso weitreichende Unterschiede, wie bei denen aller anderen Völker auch. Jentels Wünsche machten Janasz Spaß, aber sie waren nicht einfach zu erfüllen. Marah half ihm dabei, bei der Beschaffung der Zutaten. Marah war ziemlich hilfsbereit aber auch ein bisschen distanziert. Sie hatte allerdings einen guten Draht zur Kapitänin und hätte vielleicht jeden Antrag auf Ladungsaustausch mit der Schattenscholle durchgekriegt. Sie setzte ohnehin etwa alle ein oder zwei Monate einmal über.
Janasz musste an Jentel denken, als er Seetang mit in die Nudelsuppe rührte. Das hieß bestimmt auch anders auf Siren, irgendetwas ohne ‘See-‘ davor.
Er würde as fragen, wenn er ihm das Essen brachte und mit ihm im Mastkorb speiste. Er mochte mit Jentel essen. Er konnte sich neben der zurückhaltenden Nixe besser darauf konzentrieren, was er eigentlich aß. Und Jentel hatte immer ein wenig interessanten Stoff zum Nachdenken. Stoff, der ein bisschen weiter weg war vom Alltag hier, der sich daher gut anfühlte.
Spät in der Nacht kippte Janasz dann endlich ins Bett. Er hatte Kopfschmerzen. Er war im Mastkorb sogar kurz eingedöst.
Er schlief mit Ashne zusammen in einer Schlafnische in einem der beiden Schlafräume. Sie schliefen auf einer Kiste, die gerade so breit genug für zwei war. Rash schlief auf der zweiten Kiste im selben Raum. Sie durften nicht zu laut knutschen, hatte Rash gesagt, was sie ohnehin nicht taten. Sonst störte sich niemand daran, dass sie sich nachts aneinander schmiegten. Kanta schlief mit der Kapitänin im zweiten, kleineren Schlafraum. Kanta machte das nicht so glücklich, aber die Kapitänin war immerhin ausschließlich zum Schlafen dort. Auf diese Weise hatte Kanta eigentlich vergleichsweise viel Privatsphäre.
Ashnes Arme legten sich fest um Janasz und hielten ihn einfach. “Atme.”, flüsterte er.
Janasz atmete und die Kopfschmerzen ließen eine Spur nach. “Wie hältst du mich aus?”, flüsterte er in Richtung von Ashnes Ohr.
“Du bist das Gegenteil einer Last für mich.”, versicherte Ashne leise.
Janasz konnte sich das nicht so richtig vorstellen. Er teilte seine Schwermütigkeit nur mit ihm. Und überhaupt alles. Beziehungsweise noch nicht alles. Aber jeden Tag ein bisschen mehr.