Jentel ist die Mastkorb-Nixe. As hat einen sehr guten Sehsinn und bezeichnet sich deshalb auch manchmal als Nachtsicht-Nixe.
Content Notes:
Narben, Interfeindlichkeit, Genital-OP - erwähnt, Operation im Zusammenhang mit Rassismus, Romantik zwischen Geschwistern - erwähnt, toxische Beziehungen, Misgendern, Luftnot.
Sinken
Jentel
Jentel bekam eine Gänsehaut, als as die Stimme hörte. As musste grinsen. Janasz hatte as irgendwann, als sie angefangen hatten, mehr miteinander zu reden, gefragt, ob as auch eine Gänsehaut bekommen könnte.
Es stimmte wohl: Nixen waren durchschnittlich weniger behaart, als das meiste Landvolk. Aber Jentel stammte von Zwergen ab. As hatte durchaus feine Härchen auf den Armen, die sich aufstellten. Wenn as Sirenu hörte, zum Beispiel. Oder eine Marlyrie. Wenn as mit Marah zusammen sang. Oder wenn as diese Stimme hörte. Diese alt vertraute Stimme saines Geschwisters.
Jentel legte den tiefenentspannten Wels ins Seegras neben sich und tauchte ab. Auch darüber musste as grinsen: Bis gerade hatte as mit einer liebevollen Gründlichkeit die Barteln des Briefwelses – also auch eine Art Haare – geputzt. Nicht, dass die Barteln Putzen nötig gehabt hätten. Aber dieser Wels liebte die Form der Aufmerksamkeit, hatte dabei ganz still gehalten und die Augen geschlossen. Er öffnete nur ein Auge, als Junita die Hand für ihn ins Wasser hielt. Und schloss es wieder, als er bemerkte, dass Jentel sie stattdessen berührte.
Jentel ließ einen Finger zart über die Handinnenfläche streichen, ergriff sie dann ganz und streckte den Kopf aus dem Wasser. Junitas Gesichtsausdruck verwandelte sich in, hm, einen emotionalen. Jentel war nie so richtig gut darin gewesen, Emotionen zu lesen, vor allem nicht, wenn es viele auf einmal waren. Jedenfalls wirkte sie glücklich oder so etwas.
As musste ein weiteres Mal in saine Gedanken hineingrinsen. So, wie Junita auf dem Steg lag und as darunter, wirkten sie, wie aus so einem romantischen Buch entnommen, in dem sich ein Mensch in eine Nixe verliebte. Nur war hier alles anders: Sie war ein Zwerg und kein Mensch. Und sie war auch eine Nixe. Außerdem war sie weiblich und as Neutre. Die Geschlechtsstereotypen solcher Geschichten waren nicht erfüllt. Und as liebte sie nicht auf romantische Weise. Nicht, dass sie sich darum geschert hatten, dass romantische Gefühle zwischen Geschwistern irgendwie Tabu waren oder so etwas. Jentel hatte noch nie romantische Gefühle empfunden und fühlte sich mit dem Gedanken durchaus einverstanden, dass sich das nicht ändern würde.
Junita war da allerdings anders. War das eine Träne in ihrem Gesicht?
“Bist du verliebt?”, fragte Jentel.
“Was?” Junita wirkte verwirrt. Und überrumpelt?
“Du wirkst glücklich.”, erklärte Jentel. “Und weinst.”
“Ich bin sehr froh, dich zu sehen.”, erklärte sie. “Und traurig, dass ich nicht viel Zeit habe.”
So schlecht Jentel darin war, Emotionen aus Gesichtern abzulesen, so sehr fielen ihm aber doch gelegentlich interessante Elemente in der Kommunikation auf. Junita hatte nicht widersprochen. “Bist du verliebt?” Dieses Mal betonte as die Frage etwas anders, mehr auf dem Verb.
Junita schloss die Augen. “Ich weiß es nicht. Ich glaube schon.”
“In mich?”, fragte Jentel.
Junita grinste und schüttelte den Kopf. “Du bist schon sehr erstaunlich.”, sagte sie. “In eine Person, die du nicht leiden kannst.”
Jentel musste nicht lange überlegen. “Die Zarin.”
Junita nickte und öffnete die Augen wieder. “Ich weiß auch noch nicht, was das soll.”, sagte sie. “Vielleicht trifft das Wort ‘verliebt’ auch nicht ganz den Punkt.”
“Viel wichtiger ist, dass ich dir an der Stelle zusichere,”, leitete Jentel ein, aber hatte die Worte oder auch den genauen Inhalt dessen, was nun wichtig war, noch nicht zu Ende gedacht. Deshalb stockte as. Mit dieser Einleitung ließ Junita ihm immerhin die Zeit. “Es ist sehr wichtig, dass ich dir zusichere,”, wiederholte as, “dass ich sie schon mögen lernen werde, wenn sie dir gut tut. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als nahestehende Bezugspersonen, die sich gegenseitig nicht akzeptieren.”
“Hast du dich doch schon einmal verliebt?”, fragte Junita überrascht. “Weil das so klang, als hättest du die Erfahrung, meine ich.”
<!--Hier ist ein gm in "einem"-->
“Es gibt verschiedene Weisen, auf die einem eine Person nahestehen kann.”, erinnerte Jentel. “Ich habe einfach vermutet, dass es bei Romantik irgendwie eine Parallele gibt.”
Junita lächelte. “Ich habe dich lieb.”, sagte sie. “Ich möchte nicht, dass du die Zarin auf einmal unkritisch siehst. Es ist für mich wichtig, die wenigen Male, die wir uns sehen, mit dir darüber reden zu können, wie sehr auch ich sie eigentlich nicht mag.”
Jentel runzelte die Stirn. “In Ordnung.”, sagte as. “Ich kann nicht sagen, dass mich das nicht verwirrt.”
“Ich glaube, mein Interesse ist oberflächlicher.”, sagte Junita. “Vielleicht ist es einfach nur Zärtlichkeit, die ich vermisse.”
Jentel, das immer noch ihre Hand hielt, strich sanft mit den Fingern an den Rändern selbiger entlang. “Das ist eigentlich nicht sehr oberflächlich.”, sagte as. “Es ist für manche Leute so wichtig wie essen. Oder für viele. Jedenfalls gibt es Personen, die daran kaputt gehen, wenn das Bedürfnis nicht gedeckt ist.”
Junita nickte. “So weit ist es bei mir noch nicht.”, sagte sie. Sie zog die Hand allerdings nicht weg. “Ich weiß nicht einmal, ob die Zarin dahingehend irgendetwas tun würde. Aber wenn, muss ich sehr, sehr vorsichtig sein. Das ist alles mit Stress verbunden.”
Jentel fuhr die feinen Narben an Junitas Fingerrändern nach. Ihre Familie hatte sich entschieden, als sie noch sehr klein gewesen war, die Schwimmhäute zu entfernen, damit Junita nicht auffiele. Das wäre gefährlich gewesen. Die Narben waren kaum sichtbar an den rauen Händen. Jentel hatte nie gewagt zu fragen, wie sie sich damit fühlte.
Junitas Augenfarbe war dunkel. Es fiel kaum auf, dass sie für Zwerge vielleicht einen überraschend hohen Orange-Anteil hatten.
Und dann waren da Junitas Brüste und andere Körpermerkmale, die atypisch waren. Wenn Zwerge mit einem Körper wie ihrem zur Welt kamen, entwickelten sie typischerweise während der Pubertät Brüste und eine weichere Körperstruktur, aber das war bei ihr nicht passiert. Das lag nicht daran, dass Junita eine Nixe war. Bei etwa einem in hundert oder auch dreihundertzwölf Zwergen – so sicher war sich die rudimentäre Forschung da nicht – gab es Variationen bei der Körperentwicklung während der Pubertät, die nicht so häufig bei Zwergen vorkamen, und Junita war eben einer davon. Es war lediglich ein ungünstiger Zufall, dass es gerade Junita betraf, eine Person, die möglichst wenig auffallen sollte.
Das war auch ein Grund dafür gewesen, dass ihr eines Elter mit ihr nach Mizugrad verzogen war. Mizugrad war eine eher prüde Stadt. Dort fiel es nicht auf, dass ein Kind einen Kleidungsstil hatte, der nicht viel Haut zeigte und viel der Fantasie überließ, und sich nie vor anderen zum Baden auszog oder bei der Hygiene eine gewisse Scham zeigte. Junita hatte gelernt, sie vorzuspielen.
In Junitas Leben war so einiges nicht gut.
Jentel nickte. “Pass auf dich auf. Ich sehe zu, dass ich dir Informationen zukommen lassen kann, sodass du aufpassen kannst, dass die Beziehung nicht toxisch wird, wenn sie entstehen sollte.” As würde Kamira fragen. “Oder wie du dich verhalten kannst, wenn sie es wird.”
“Danke.”, sagte Junita bloß. Sie zitterte. “Geschwisterherz, ich könnte dich eigentlich gerade wirklich zum Trösten gebrauchen, aber ich sollte nicht verheult sein, wenn ich zurückkehre und ich habe keine Zeit mehr.”
“Irgendwie sehen wir uns wieder.”, versprach Jentel. Aber sie wussten beide, dass das Risiko bestand, dass etwas dazwischen passieren könnte, oder es sehr lange brauchen würde.
Junita überreichte ihm einen Brief, der eigentlich für den Briefwels gedacht gewesen war. “Wenn alles gut geht, bekomme ich die Zarin morgen noch dazu, das Gespräch mit der Kapitänin auf der Schattenscholle führen zu wollen.”, sagte sie. “Als Gleichberechtigte reden und so. Gerade klang sie bereit, zu verhandeln. Aber egal wie sie sich entscheidet, es haben sich bei ihr Einstellungen zu unseren Gunsten geändert.”
Zum Morgengrauen war Jentel wieder im Hafen. Wenn alles gut gegangen war, dann hatte Junita auch noch geschafft, den Gefangenen einen Brief zuzustecken. Aber es war möglich, dass selbst dann Amira über den Plan nicht informiert wäre, weil sie ja in Einzelhaft gesteckt worden war.
Aber als sie tatsächlich am frühen Vormittag in den Hafen geführt wurden, stand Amira dicht neben Rash.
Es war Jentels Aufgabe, als einzige der Nixen überwiegend den Kopf über Wasser zu halten. Um zu lauschen und zu gucken. Wie es immer saine Aufgabe gewesen war. Aber in diesem Hafen unter so vielen Landleuten mit ihren Füßen konnte as nicht leugnen, furchtbare Angst zu haben.
Sindra ging neben Katjenka, umringt von vier Wachen. Die Zarin hatte wieder nicht mit Wachen gespart. Das machte den Plan heikel, aber weit entfernt von unmöglich.
Sindra nieste, zweimal und dann noch einmal. Sie konnte es absichtlich. Jentel hatte es schon geahnt – as war immer gut darin gewesen, Muster zu beobachten – , war aber erst im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen auch offiziell darüber informiert worden, dass Sindra es konnte und manchmal zur Kommunikation einsetzte. Wie auch nun.
Jentel tauchte ab und gab auf Sirenu die Nachricht an die anderen weiter, dass der Brief angekommen war und sich die Crew mit ihrem Plan einverstanden erklärte. Und tauchte wieder auf.
Rash ging direkt neben Amira, einen Arm um sie gelegt. Jentel wurde beim Anblick wärmer. Sie waren gut zueinander. Jentel hatte Amira fast von Anfang an gemocht. Und Rash sowieso. Es erleichterte as außerdem, sie dicht beieinander zu sehen, weil Rash so bestimmt in der Lage wäre, Amira über den Plan zu informieren, wenn sie ihn noch nicht kennen würde.
Amira trug ein Kleid, das ihr besser passte, als Sindra das Kleid, in dem diese steckte. Es war auch kein so bauschiges Kleid wie das von Sindra. Amira hatte also all die schönen Messer und die Uniform zurücklassen müssen. Immerhin hatten sie ihr das Kopftuch gelassen. Aber Jentel war davon überzeugt, dass es gründlich auf jegliche Form von Waffe untersucht worden war. Und genau so war as überzeugt, dass Amira auch ohne jegliches Messer recht tödlich sein könnte. Wenn sie gewollt hätte. Jentel hatte den Eindruck, dass ihr das Kleid eher wegen der dadurch ausgedrückten Geschlechtszuweisung zu schaffen machte, als dadurch, dass es keine Waffen enthielt. Dann wiederum konnte as das nicht aus ihrem Gesicht, ihrer Haltung oder sonstigem Ausdruck lesen, sondern nur durch frühere Konversationen mit ihr einschätzen und projizierte hier fröhlich herum. Es würde bald vorbei sein.
Die Zarin, die Wachen und die Gefangenen blieben zunächst gemeinsam vor der Schattenscholle stehen. Die Zarin hatte Skepsis, ob es so eine gute Idee war, eine Crew zurück auf ein Schiff zu führen, das sie gut kannte. Das war deutlich und verständlich. Die Skepsis hatte sie sehr zurecht. Sie sprach schließlich ihre Gedanken laut aus, was Jentel tatsächlich für eine sehr zielführende Idee hielt, wenn es um Verhandlungen mit sainer Kapitänin ging.
“Eigentlich wollen wir ja, dass ihr wieder zur See fahrt.”, sagte sie. “Solange meine Leute, die ich mit euch schicken möchte, zuerst auf dem Schiff sind, kann eigentlich nichts passieren, selbst wenn ihr wie magisch plötzlich alle Segel hisst und den Hafen verlasst. Ihr würdet sie nicht von Bord schmeißen. Ihr gefährdet keine Leben.”
“Wir gefährden keine Leben, außer unsere eigenen.”, korrigierte Sindra gelassen.
Jentel kannte ihre analytische Art und fürchtete fast, sie könnte dazu sagen, dass, Personen im Hafen von Bord zu werfen, keine Lebensgefährdung wäre. Aber die Zarin verstand es irgendwie auch ohne, dass Sindra es aussprach.
“Es ist vollkommen unrealistisch, wie wir an gestern gesehen haben, dass ihr alle Wachen zugleich überwältigt, ohne ihnen zu schaden.”, hielt sie fest. “Das schafft ihr nicht, bis ihr draußen auf See seid.”
Jentel lächelte. Die Kapitänin reagierte nicht, zumindest nicht für Jentel sichtbar, das sie ja nur von unten durch die Ritzen im Steg sehen konnte.
Katjenkas Plan war, über das Schiff geführt zu werden, gegebenenfalls erste Punkte für ihren Vertrag festzuhalten. Sindras Plan war das nicht.
Jentel wartete, bis das letzte Mitglied der Crew die Schattenscholle betreten hatte und gab das Zeichen, das unverzüglich Chaos auslöste. Die Mitglieder der Schattencrew hatten sich nahe der Reling verteilt. Das war tatsächlich etwas, was der Wache intuitiv gut vorgekommen war: Die Crew von den Niedergängen fernzuhalten, von den Schoten und allem. Als die Nixen im Hafen aber hohe Wasserfontänen zur Ablenkung spritzten und den Sinkmechanismus der Schattenscholle auslösten, konnte sich die Crew festhalten und sich unter Wasser ziehen lassen. Jentel überwachte, dass sich keine Person festhielt, die nicht zur Crew gehörte. Aber die Wachzwerge hatten da eine für sie vorteilhafte Intuition, lieber zu schwimmen und nicht in die Tiefe gesogen zu werden.
Jannam hatte die komplizierte Aufgabe, den Crewanteil mit Füßen rasch in das Unterdeck zu verfrachten, bevor es sich ganz schloss, bevor zu viel Luft entweichen konnte. Aber immerhin war das Tauchdeck leer gewesen, was ihnen etwas mehr Zeit verschaffte.
Jentel behielt die im Wasser schwimmenden Beine im Auge, die strampelnd die zugehörigen Personen Richtung Leitern und Ufer manövrierten. Nicht alle. Jentel hörte die wütenden Rufe und Schreie, schwamm etwas abseits, um noch ein bisschen zu Spritzen und sie davon abzulenken, wo eigentlich ihre Aufmerksamkeit hätte sein müssen, wenn sie etwas hätten verhindern wollen.
Dann hörte as den Befehl der Zarin selbst durch das klangabdämpfende Wasser hindurch: “Versperrt die Hafenausfahrt mit Schiffen und Netzen!”
Jentel grinste. Und trotzdem fühlte sich sain Körper vor Aufregung zittrig. Was, wenn irgendein kleines Angelboot, das sie nicht präpariert hatten, mit Angelhaken um sich warf? Jentel tauchte wieder zurück, wo die Schattenscholle gerade von den anderen Nixen Richtung Hafenausfahrt geschoben wurde. Es sah so aus, als könnte alles klappen. Sie hatte sich geschlossen und lag angenehm schwer und gleitbereit im Wasser. Jannam befestigte das letzte Segel darüber, schon während as anschob.
Jentel überlegte, ob das der Zeitpunkt wäre, in dem as aufhören könnte, den Hafen zu überwachen, was saine Aufgabe war, und stattdessen mitanpacken sollte. Es wäre saine Intuition gewesen, aber sie kannten as ja und hatten as immer wieder ermahnt, wirklich wachsam zu bleiben und das Schieben solange Aufgabe der anderen sein zu lassen.
As sah sich ein letztes Mal um. Und… erkannte ein Paar Beine, das dort nicht hingehörte. Zu lange Beine. Kantas Beine.
Es stimmte, Jentel hatte sie nicht an der Reling gesehen. As hatte sich gefragt, ob as sie einfach übersehen hätte und den Gedanken wieder verdrängt, als anderes wichtiger war. War sie nicht informiert gewesen? Nein, das war es nicht. Sie hatte sich dazu entschieden, nicht mit unterzutauchen.
Plötzlich war Jentels Kopf voller Gedanken. Warum tat sie das? Wollte sie von der Flucht ablenken? Wollte sie Informationsperson im Zarenreich der Zwerge werden? Aber hier hatten sie schon Junita. Auch wenn Jentel froh gewesen wäre, wenn Junita irgendwann frei sein würde.
War es abgesprochen?
Und dann schloss as: Sie hatten beim letzten Mal nicht alle in die Schattenmuräne gepasst. Kanta glaubte wahrscheinlich, dass sie eine Person zu viel wären. Es war auch sehr eng. Aber Yanil war ja nicht dabei. Yanil war an Bord der Schattenmuräne. Der Platz war da. Wahrscheinlich hatte Kanta nicht daran gedacht.
“Kommst du?”, rief Jannam ihm zu.
Jannam war mit den anderen und der Schattenscholle bereits bei der Hafenausfahrt. Die kleineren Schiffe, die auf Befehl der Zarin hin startklar gemacht wurden, versuchten, Richtung Hafenausfahrt zu gelangen, und begannen, ohne es zu wissen, Seile durch den Hafen zu spannen. Eines spannte sich zwischen ihm und Kanta. Aber es war nur ein Seil, kein Netz. Kein wirkliches Hindernis für eine Nachtsichtnixe.
“Schafft ihr das ohne mich?”, fragte Jentel.
Jannam gab ein zustimmendes Geräusch von sich. As vertraute einfach.
Und Jentel schoss unter dem Seil hindurch zu jenen Füßen. Den Füßen zwischen all den anderen Füßen in der Nähe, viel zu dicht. Jentel hielt sich einen Moment nur einen guten Meter unterhalb der aufgewühlten Wasseroberfläche auf, wo sie alle strampelten, aber entschied sich dann. As packte Kanta bei den Füßen und zog sie mit Wucht in die Tiefe. As legte rasch eine Hand über ihren Mund. Sie hatte natürlich Wasser geschluckt und as wusste, wie unangenehm es war, dann nicht noch eine Weile über Wasser husten zu können. Aber es musste auch so gehen.
Jentel griff sie, wie as es damals gemacht hatte, und legte ihr einen Finger zwischen die Zähne. Ihr Haar war bei dieser Rettungsaktion offen und streichelte schwebend um sainen Hals. Bis as Geschwindigkeit aufnahm. Das Wasser rauschte an ihnen vorbei, als Jentel um die Seile im Wasser und um aufbrechende und sinkende Schiffsrümpfe herum Slalom schwamm. Der Hafen war Chaos. Während größere Schiffe sich gegenseitig ihre vorgesägten Löcher aufrissen und Wassermassen in sich sogen, versuchten sich die kleineren auf Befehl der Zarin um die großen herumzuschlängeln. Einige Personen versuchten es sogar mit schwimmen und für Zwerge waren sie gar nicht so schlecht darin.
Trotzdem ließ Jentel mit Kanta im Arm die Schlacht binnen Sekunden hinter sich. Das Adrenalin hielt aber noch an. Sie waren noch lange nicht sicher.
Kanta biss viel zu früh vorsichtig zu. Das war kein guter Zeitpunkt, sie waren noch in viel zu dichtem Gemenge. Jentel versuchte ihr durch sanften Druck zu signalisieren, dass as es mitbekommen hatte. Was sollte as tun, wenn sie das Bewusstsein verlöre? Sie durfte dann auf keinen Fall atmen. Jentel hatte keine Ahnung, ob das eine gute Idee war, aber verschloss vorsichtshalber ihre Atemwege mit sainen gespreizten Fingern und blickte sich nach einer Stelle zwischen den Schiffen um, die vor dem Hafen vor Anker lagen, oder den Hafen gerade anfuhren, die in der Nacht noch nicht da gwesen waren.
Da, da war eine größere Lücke. Sie würden gesehen werden, wenn Kanta zu viel strampelte, aber es könnte trotzdem passen. Ab wann starben Elben, wenn sie keine Luft bekamen?
Aber noch weniger riskant wäre, wenn as sie beatmete. Ihm war vollkommen egal, wie sie es interpretieren könnte, hier ging es um Sicherheit.
As drückte sie weiter unter Wasser, als as Luft holte, und ihr dann sachte Luft in die Lunge blies, als as wieder abgetaucht war. Es war alles so absurd, dass as ein bisschen in ihren Mund lachte. As wiederholte die Sache. Kanta grinste ebenfalls. Dann schoss Jentel mit ihr weiter durchs Wasser, bis wohin die Schattenmuräne vor Ufer startbereit ruhte.
Sie lag dort beigedreht, bewegte sich also nur langsam, und wartete auf die Ankunft der Schattenscholle. Jentel tauchte mit Kanta zum Eingang des Tauchdecks, der dieses Mal wie geplant, knapp oberhalb der Wasseroberfläche lag. As rollte erst Kanta hinein und dann sich. Sie holte gierig Luft, hustete, spuckte Wasser. Dabei blickte sie Jentel an. War das Verwunderung?
“War das in Ordnung für dich?”, fragte Jentel. “Wolltest du an sich schon bei uns bleiben?”
Kanta nickte. “Ich,”, sie haderte, hustete noch einmal, “ich dachte, ich passe nicht. Oder wollte das nicht riskieren, dass es für die anderen nicht klappt.”
“Yanil ist hier an Bord.”, informierte Jentel. “Du hättest gepasst.”
“Ich wollte kein Risiko eingehen.”, wiederholte Kanta. “Und Smjer hatte halt recht. Ich habe immer noch die besten Chancen, wenn ihr mich zurückließet. Aber…”
Sie sprach nicht direkt weiter. Jentel war jedenfalls erleichtert, dass saine Entscheidung richtig gewesen war. “Aber?”
“Danke!”, sagte Kanta. “Ich bin gerade sehr überwältigt. Dass du mich freiwillig rettest. Danke.”
Waren das Tränen? Erst war sich Jentel nicht sicher, aber dann war es ziemlich deutlich. “Falls du das hören musst:”, sagte Jentel, “Du gehörst dazu.”
Brauchte sie irgendeine körperliche Zuwendung, weil sie sich nun noch mehr in Tränen auflöste? Das war kein guter Zeitpunkt. Jentel wusste nicht so recht wie das ging. Und dann tauchte auch noch Jannam neben ihm auf. Sie waren schnell mit der Schattenmuräne. Das war gut.
Kanta schniefte und atmete tief ein und aus. “Danke.”, flüsterte sie. “Geht schon wieder. Kann ich was helfen?”
“Einmal Smjer runterholen.”, sagte Jentel. “Das wäre wirklich eine Hilfe.”
Kanta nickte und kletterte den Niedergang hinauf, während Jannam und Jentel die Seile, die Jannam mitgebracht hatte, an der die Schattenscholle hing, fest an Griffen verknoteten, die im Tauchdeck als Halterung für das Tauchboot gedacht waren. Jenes lag gerade fast auf dem Trockenen.
Sie waren gerade fertig, als Smjer auftauchte. “Das wird kippelig.”, informierte Smjer. “Gleitfahrt ist immer eine kippelige Sache, aber wir schleppen dabei auch noch die Schattenscholle. Das wird herausfordernd. Ist sie gut vertäut?”
Jentel und Jannam nickten.
“Jentel, in den Mastkorb.”, befahl Smjer außerordentlich gut gelaunt. “Jannam zurück zur Schattenscholle. Ich sehe an den Seilen, dass sie ein bisschen schwer ist und jede Hilfe dort willkommen ist, bis wir genug Fahrt haben.” Er blickte sich zu Kanta um, die mit ihm wieder hinabgestiegen war. “Vielleicht ist ganz gut, dass sie dieses Mal eine Person leichter ist. Magst du dich meinem Kommando fügen?”
“Ohne Einschränkungen.”, sagte Kanta.
“An Deck mit dir. Hilf Marah mit den Segeln.”, befahl er. “Es ist so gut, sie wiederzuhaben. Das macht uns so viel schneller bei gleicher Sicherheit.”