Content Notes: Gate Keeping, Dysphorie, Ableismus, Queerfeindlichkeit, Trauma, Mental Health, Misgendern

Warum ist "Ihr könnt euch gern als Glitzer pupsendes Regenbogeneinhorn fühlen, aber das hat nichts mit Autismus zu tun." queerfeindliche Rhetortik?

Kurz vorweg: Der Artikel ist lang. Ich kann das mit dem Strukturieren im Moment nicht so gut. Aber der Kern der Frage ist nach zwei bis drei Absätzen beantwortet.

Diese in der genannten Überschrift genutzte Rhetorik kam und kommt in einer Debatte um autistische Identität häufig vor, wurde als queerfeindliche Rhetorik benannt, aber viele haben nicht verstanden, warum, und sich eine Erklärung gewünscht. Da ich ohnehin schon mehrere schlaflose Nächte hatte, versuche ich dem Mal nachzukommen, in der vagen Hoffnung, die Frage ist wenigstens von ein paar Personen doch ernst gemeint. Ich werde auch erklären, warum die Erklärung dazu nicht einfach sachlich in der Diskussion erfolgt ist.

Die Worte Regenbogeneinhorn, Glitzer, meinetwegen sogar Glitzer pupsend, sind nicht das Problem. Das können positive Wortwahlen sein. Das Problem ist, dass mir zum Beispiel mein Geschlecht, weil es nicht männlich oder weiblich ist, oft als Fantasie aberkannt wird, indem Leute sagen, dann könne ja jede Person auch einfach ein Einhorn sein. Es wird mit der Symbolik Einhorn abseits der Realität deklariert. Es wird damit mein Geschlecht als Fantasie und Wunschkonzert eingeordnet, das ich machen würde, weil es so schön wäre, ich etwas Besonderes sein wolle, es im Wesentlichen mit Spaß, Spiel und Fantasiewiese zu tun habe. Teils wird mir in ähnlichen Kontexten gesagt, dass ich mir damit Vorteile verschaffen würde.
Selbst in dem Fall, dass damit gemeint ist, dass die aussprechende Person mich tatsächlich auch als Einhorn akzeptieren würde, stecken darin noch zwei Problematiken: Zum einen in dem Fall die Aussage, der Person wäre mein Geschlecht egal, sie müsse sich deshalb mit Transfeindlichkeit nicht auseinandersetzen oder könne jene nicht verinnerlicht haben. Und zum anderen, wird mit der Rhethorik eines Spielplatzes für Identitäten einfach weggewischt, dass wir täglicher, gravierender Diskriminierung ausgesetzt sind, und sich keine Person einfach über einen längeren Zeitraum nur zum Spaß hinstellen würde und sagen würde, ich bin trans nicht-binär. Das ist überhaupt kein Spaß. Das ist täglicher, traumatisierender Kampf mit erheblichen, garantierten und schlimmen Folgen für die Mental Health.
Das Problem an der Rhetorik war also nicht nur eine Wortwahl, sondern eigentlich, dass Queersein Autistischsein gegenüber gestellt wird mit den Worten: Im Gegensatz zu Queersein ist Autistischsein keine Fantasie. Das ist verletzend und fühlt sich als nicht-binäre Person furchtbar an. Ich habe viele Kommentare gelesen und einige davon haben das sogar noch expliziter so gesagt.

Warum wir darüber nicht einfach reden konnten, hängt zum einen genau damit zusammen: Dass uns durch die benutzten Aussagen bewusst ist, dass hier Geschlechtsidentität nicht so ernst genommen wird wie autistische Identität. Autistische Identität, wegen derer Identity First Language bevorzugt wird (autistische Person oder Autist_in statt Person mit Autismus, weil es nicht etwas ist, was wir haben, sondern was wir sind). Oder weswegen viele Accounts autistischer Personen die Bezeichnung "autistisch" sogar im Namen haben. Manchmal als Beschreibung für ein Tier, mit dem sie sich zum Teil identifizieren, das ist häufig und das ist auch okay. Vielleicht ist das auch mit ein Grund, warum es durchaus einige autistische Personen gibt, die den Überbegriff Wesen (für alle Personen, nicht beschränkt auf autistische Personen) als angenehm empfinden, weil sie die eigene Assoziation mit zum Beispiel einem Tier darin akzeptiert sehen. Ich bin ein Fisch, ich kenne noch einen Fisch, ein Chameleon, eine Katze, eine Ratte, einen Drachen. Aber ja, uns ist dabei bewusst, dass das Assoziation ist, und vielleicht nicht Identität. Es ist trotzdem mehr als einfach spaßige Fantasiewiese, sondern ist bei einigen von uns Teil eines Copings.
Als queere Person mit einer Person zu reden, die einem gerade unterschwellig gesagt hat, dass sich als Einhorn aka queer zu fühlen, ein Wunschkonzert wäre, bei der auch nur die Möglichkeit besteht, dass diese Abgrenzung von queerer Identität gegenüber autistischer als weniger wert, weniger ernst zu nehmen gemeint ist, ist emotional sehr anstrengend.

Zum anderen machte es ein anderes Verhalten schwer: Sprüche wie, die queere Bubble wäre immer so empfindlich. Einem würden queere Leute folgen, eins könnte deshalb nicht queerfeindlich sein. Oder auch schlicht Tweets die es als völlig lächerlich hinstellen, dass man queerfeindlich hätte sein können. Das erzeugt nicht nur eine Diskussionsbasis, die weit entfernt von Augenhöhe ist, sondern ist auch sehr unrealistisch. Wir sind alle in einer hochgradig queerfeindlichen, rassistischen, ableistischen (um nur ein paar -ismen zu nennen) Welt sozialisiert geworden. Es ist unrealistisch, dass wir davon nicht eine Menge Gedankengut dieser für uns unsichtbaren Kultur internalisiert haben und reproduzieren. Unsichtbar, weil sie Default ist. Für mich bedeutet diese Kultur, dass mir täglich gewaltvoll ein falsches Geschlecht zugewiesen wird. Ihr sagt vielleicht, euch sei Geschlecht nicht wichtig. Mir genauso wenig, ehrlich. Es wirkt nur so, weil ich es laufend korrigere, weil es da draußen eine krasse Wichtigkeit hat. Tatsächlich erlebe ich sehr selten bei Personen, dass sie gar keine Geschlechtszuordnung machen, wenn sie auf eine Person treffen. Auf Basis von Geschlechtszuordnungen werden laufend, wirklich täglich und ständig Entscheidungen gefällt, und sei es erstmal nur die Bezeichnung oder erste Kategorisierung. Wie sehr würde es euch in einem Roman auffallen, wenn alle Personen nicht gegendert werden, ihr Geschlecht nicht genannt wird? Oder wenn in einem Buch alle Leute mit ihrem Geschlecht eingeführt würden, etwa als Frau oder Mann, und dann eine durchaus handlungstragende Person einfach immer nur als Person referenziert wird, ohne genauere Begründung, warum? Kennt ihr sowas? Falls ja, kennt ihr so etwas auch mit Charakteren, die dadurch nicht irgendwie weniger menschlich gezeichnet sind, als die anderen? Das ist vielleicht ein kleiner Indikator für die internalisierte Wichtigkeit von Geschlecht.
Ich bin selbst in dieser Welt sozialisiert worden und muss vieles aufarbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich nicht selbst noch queerfeindliches Verhalten reproduziere, ist sehr klein, dabei bin ich schon lange dabei und selbst queer. Eine Person auf ihre internalisierten Feindlichkeiten anzusprechen, damit wir alle an uns arbeiten können, die aber die Möglichkeit, sie könne queerfeindliche Aussagen getätigt haben, als lächerlich darstellt, ist ebenfalls emotional sehr anstrengend. Vor allem dann, wenn die Kritik eben nicht nur eine Korrektur einer Vokabel ist, sondern der abwertende Vergleich in besagter Diskussion von verschiedenen Accounts mehrfach auch explizit dagestanden hat und besagte Rhetorik teils mit einer von Häme triefenden Ironie noch einmal wiederholt wurde.

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