Content Notes: Nora Bendzko - Die Götter müssen sterben
Auf Nora Bendzkos Seite gibt es eine Liste von Content Notes. Ich ergänze hier ein paar, sowie Details spezifisch für binären dya-cis-Feminismus und Sanism.
- Kussnormativität: Der Moment, in dem zwei Charaktere sich auf den Mund küssen, ist üblicherweise der, ab dem es als romantische Beziehung deklariert ist.
- Zu Asexualität: Hier wird im Narrativ teils sexuelles Interesse und sexuelle Anziehung gleichgesetzt.
- Alkohol/Rauschmittel: Es kommt immer wieder zu Casual Alkoholkonsum, aber auch zum Betrinken. Teilweise kommen andere Rauschmittel vor.
- Stalking: Eine Person, die offensichtlich allein sein will, wird heimlich verfolgt und bei privaten Aktivitäten beobachtet.
- Tod einer Hauptfigur.
Anmerkung: Ich gehe hier ausführlich auf die Punkte ein, weil ich aus meinem queeren Umfeld kenne, dass sich dadurch Personen oft weniger alleine fühlen, oder es einigen hilft, zu verstehen, wo ein ungutes Gefühl herkommt. Es geht mir dabei nicht darum, den Roman zu zerreißen. Nehmt daraus möglichst mit, was euch hilft.
- Generisches Maskulinum bei den Griechen und generisches Femininum bei den Amazonen, nicht konsequent, die jeweils andere Geschlechter mit einschließen. Im Fall von Femininum ist die Mikroaggression gegenüber genderqueeren Menschen unsichtbarer.
- Biologismus und Geschlechtszuweisung an äußeren Merkmalen: Auf Basis von Stimme, Genitalien, Gesichtern, etc wird Personen das Geschlecht männlich oder weiblich zusortiert. Im Fall einer Gottheit, die ihren Körper ändern kann, wird einmal kein klar binäres Geschlecht zusortiert. Das passiert auch in der Kultur der Amazonen, in der angeblich nicht-binäre und trans Personen akzeptiert sind. Es wird immerhin an einer Stelle in einem Satz die Geschlechtszuweisung bei der Geburt auf Basis von Genitalien kritisiert, gehört aber sonst sehr zum Narrativ.
- Biologismus, Interfeindlichkeit(?): Es erinnert vielleicht an heutzutage durchgeführte (medizinische) Eingriffe/Praktiken an inter Kindern/Menschen: Insbesondere wird der Körper eines Charakters vorgeburtlich durch einen Gott verformt, was aber stets direkt auf dessen Geschlecht bezogen wird. Das, und viele weitere Szenen mit Geschlechtszuweisungen bei Kindern in weniger gewaltvollen Situationen manifestiert die Biologismus-Gedanken. An anderer Stelle wird bei einer Person mit flacher Brust auf deren Genitalien geschlossen.
- Gatekeeping: Bei "Göttin der Frauen" und ähnlichen Bezeichnungen wird die Frage nie beantwortet, wo nicht weibliche trans, inter, nicht-binäre und agender Personen ihren Platz haben. Obwohl im Roman auch Männer sexualisierte Gewalt erfahren, und Artemis immer wieder als "Göttin der Frauen" definiert wird in Hinblick auf Auflehnung gegen solche Gewalt, kommt es nie oder kaum zu einem Hinterfragen ob die Aufteilung in Mann-Frau da so sinnvoll ist.
- Umgekehrter Sexismus als "lustiges" Element, wie "Kämpf gegen mich wie eine Frau".
- Eventuell Kulturelle Aneignung: "Vielselig" ist im Roman die Bezeichnung für nicht-binäre Menschen (nur bestimmte, darauf gehe ich später ein). Ich habe mich mit Nora Bendzko ausgetauscht und weiß, dass die Idee nicht die Assoziation mit dem Wort "Two Spirit" war, aber ich bin nicht die einzige Person mit der spontanen Assoziation. Auf diese Art ist "Vielselige" kein Wort, dass weiße Menschen sich aneignen sollten (zum Beispiel, weil sie sich im Buch darin wiederfinden). "Two Spirit" oder andere Spirit-Referenzen sind eingeenglischte Bezeichnungen von Menschen, die in ihrer Sprache eigene Begriffe für ihre Geschlechter haben, für die keine Übersetzung in eine binäre Sprache möglich ist. Dabei ist es relativ weit entfernt von Konsens, ob indigene Menschen, die aus dem weiß-christlichen binären Modell von männl/weibl fallen, das tatsächlich so haben wollen, oder ob es nicht schon ein unangenehmer Kompromiss ist, etwas einzuenglischen, wofür es eigentlich keine einfache Übersetzung gibt. Jedenfalls gibt es starke Stimmen dagegen, den Begriff in 3 Zeilen zu definieren. Und keinesfalls sollte jener oder ein ähnlicher Begriff von Menschen angeeignet werden, deren Geschlecht nicht zu entsprechenden Kulturen gehört. Ich gebe hier wieder, was ich von verschiedenen Twitter-Accounts und aus Einzelhinweisen gelernt habe, aber die meisten der Anmerkungen hier lassen sich in vielen Quellen zum Thema "Two Spirit" finden. In diesem Youtube-Video wird zum Beispiel etwas dazu erwähnt, aber der Kern dreht sich eigentlich um Sex Work, Sex Farming, Sexual Healing (sehr interessant).. Dies soll eher ein Hinweis für Lesende als Kritik bezüglich kultureller Aneignung an der Autorin sein.
- Das dritte Geschlecht: Neben Männern und Frauen werden Vielselige als dritte Geschlechtskategorie (Kaste) definiert, was stark an das reale "drittes Geschlecht"-Narrativ in weiß-christlichen Kulturen erinnert, während nicht-binäre Menschen schon lange gegen einen geschlechtlichen Überbegriff für alle kämpfen. Nicht-binäre Menschen haben viele Geschlechter. Es geht hierbei nicht darum, die Einführung von Kasten im Buch zu kritisieren, nichteinmal Kritk an Geschlechterkasten (ich fände es selbst sogar sehr interessant, wären es mehr als drei), sondern ist hier lediglich als Content Note aufgeführt, weil es durch die Parallele zum verbreiteten "drittes Geschlecht"-Narrativ triggern oder aktuelle, verbreitete, falsche Vorstellungen manifestieren kann.
- Weder Mann noch Frau: Vielselige werden als weder Mann noch Frau definiert. Das macht Menschen, die beides zugleich sind, oder eins von beiden und was anderes, oder nur teils eins von beiden, oder bei denen es fluide ist, unsichtbar.
- Bunte Haare: In ungefähr jeder Umfrage an nicht-binäre Menschen, was sie sich im Zusammenhang mit Repräsentation wünschen, ist eine häufige Standardantwort, dass nicht alle nicht-binären Charaktere kurze oder bunte Haare haben sollen. Im Weltenbau dieses Buches gehören bunte Haare als offizielles Erkennungszeichen zu vielseligen Personen. Hier ist ein guter Thread im Zusammenhang mit Kennzeichnungen nicht-binärer Geschlechter in Romanen von @Herzschlaege.
- Ständige binäre Aufzählungen wie: "$Charakter tanzte mit Frauen und Männern, beiderlei Geschlecht verteilte sich um ihn.", und das auch an der Stelle, an der zwei Absätze vorher sich ein vielseitiges Kind beschwert hat, nicht mit aufgezählt worden zu sein. Die unnötigen binären Aufzählungen ziehen sich durchs ganze Buch und werden auch von der Kultur, die Vielselige anerkennt, auf eine Gruppe von Kindern einer anderen angewandt.
- Ungefähr alles Böse wird mit psychischen Krankheiten begründet: Die Götter oder auch andere auf der eher gegnerischen Seite handeln böse, weil sie im Rausch sind, irre sind, dem Wahnsinn verfallen oder in einem Fall sogar aus Traurigkeit/Trauer.
- Die Amazonen kämpfen gegen ihr böses Erbgut an. Auch sie können quasi nichts für ihre angeborene Brutalität, höchstens dagegen ankämpfen.
- "Dumm" und "irre" sind auch häufige, unhinterfragte Abwertungen zwischen Charakteren, ebenso wie klassische Selbstabwertungen.