01 - AprilKink 2023 - Wertvoll (Emiliett 1)

Content Notes

  • BDSM.
  • Knien, Urinieren, Catplay und Voyerismus - erwähnt.
  • Bedienen.

Geschichte

“Dein Profiltext las sich sehr motivierend. Du schreibst, Kinks sind nicht unbedingt sexuell, sondern äußern sich vielleicht auch einfach in einem beliebigen anderen positiven Gefühl zum Beispiel?”

Freden grinste in sich hinein. Vii hatte sich in einem virtuellen Dating-Gemeinschaftsraum in einen Sessel gesetzt, mit Namensschild, um erkennbar zu sein, und hatte ein Buch gelesen. Diese Person, die viiv nun aus der Fantasywelt des Buchs zurück in den Dating-Raum verfrachtet hatte, hatte sich nicht vorgestellt, nicht gegrüßt, sondern stieg gleich mitten drin ein. Freden mochte das durchaus. “Setz dich, wenn du magst.” Und während sich vis Gegenüber unsicher niederließ, versicherte Freden: “Ja, absolut. Da ist vieles möglich. Kinks haben ganz verschiedene Bedeutungen.”

“Und doch habe ich Angst. Darf ich dich über meine Wünsche und die ganzen Zweifel zutexten?”

“Weil du viel Raum brauchst, um alles zu erklären?”, fragte Freden.

Die Person nickte. “Ich bin Emiliett. Pronomen egal. Hm. Nimm heute ‘sie’ bitte.”

“Wenn sich ergibt, dass ich mit einer dritten Person über dich rede, sehr gern. Noch sind wir ja zu zweit.” Freden hoffte, Emiliett mit der Genauigkeit nicht noch weiter zu verunsichern. “Ich bin Freden Tumull. Pronomen vii/vis/viiv/vii. Als Anrede teste ich seit neuestem ‘My’ aus, wie der Anfang von mylady, mylauden oder mylord. Aber vielleicht brauchen wir gar keine. Freden reicht.” Nachdem Emiliett genickt hatte, lud Freden ein: “Texte mich gern zu. Ich verstehe, dass manche Anliegen nicht mal eben kurz zusammengefasst werden können.”

Freden dachte dabei daran, wie vii das Profil aufgesetzt hatte. Vii wollte BDSM- und Kink-Sessions anbieten, an fremde Personen, die Hemmungen oder andere Arten von Schwierigkeiten hatten vor allem. Und wo Personen überall Hemmungen oder Schwierigkeiten haben konnten, ließ sich einfach nicht gut zusammenfassen.

Vii wollte daraus keine langfristigen Beziehungen wachsen lassen. Personen kamen zu viiv, steckten ein Ziel und auf das arbeiteten sie zu. Alle Seiten profitierten davon: Vii lebte für das Spektrum an Erfahrungen. Vii mochte es, Vorlieben, Gefühle, Wünsche und Schwierigkeiten kennenzulernen, und auch sich selbst auszuprobieren. Vii gefiel es, sich in andere wirklich hineinzudenken, mit ihnen für ihre Probleme Lösungsansätze zu finden oder auch ihnen einfach etwas zu geben. Und vii liebte dabei das Rollenspiel, das Austesten, wie die eigene Psyche jeweils auf was reagierte. Es ging dabei nicht unbedingt um das Austesten von Grenzen, sondern viel eher um so Fragen wie: Wie fühlt es sich an, zu knien? Wie fühlt es sich an, wenn dir jemand beim Urinieren zusieht?

Vii bot Psychotherapie an und befand sich derzeit in einer Ausbildung zu Kink-Pädagogik. Und auch dieser Zwischenstatus war schwer in Kürze zu vermitteln: “Ich werde irgendwann Psychotherapie mit Schwerpunkt Kink anbieten, aber bin noch nicht so weit. Ich habe also ein bisschen Know How auf dem Gebiet, aber sich darauf zu verlassen, dass ich alles richtig mache, wäre jetzt nicht so gut. Es soll eher privater Austausch werden, ohne den Anspruch auf irgendeine Form von sinnvollem Therapieergebnis, aber ich kann auch nicht vermeiden, dass Teile meiner Ausbildung in die Sessions schwappen werden, weil das nun einmal Teil meines Lebens ist.” So etwa hatte vii das formuliert.

“Ich möchte mich mal sehr wertvoll fühlen”, sagte Emiliett und seufzte. “Und ich frage mich doch, ob das wirklich ein Kink ist.”

Freden wartete, aber als Emiliett nach einer zu langen Zeit immer noch nichts hinzufügte und immer nervöser wirkte, reagierte vii doch: “Ehrlich gesagt habe ich weniger Schwierigkeiten damit, den Wunsch, sich wertvoll zu fühlen, generell als Kink einzuordnen, als damit, diese zwei Sätze als Zutexten zu bezeichnen. Aber okay, ich nehme das auch als zutexten.”

Immerhin lachte Emiliett nun. “Du hast recht.” Sie seufzte abermals. “Ich möchte mal mit einer Person auf einer Feier sein oder so etwas, und wenn ich Durst habe, zu dieser Person einfach sagen können: Ich hätte jetzt gern eine Himbeerlimonade. Und dann ist es einfach selbstverständlich für die Person, mir eine Himbeerlimonade zu bringen. Und ich muss mir keine Gedanken machen, ob das vielleicht belastend sein könnte, oder ob ich die Himbeerlimonade wirklich so dringend brauche, dass ich fragen darf, oder ob ich vielleicht irgendwann im Ausgleich auch wenigstens lieb sein muss, oder ob ich es überhaupt wert bin, weil ich einfach weiß: Dieser Person bin ich gerade wertvoll genug, dass sie alles, wirklich alles für mich tut, was in ihrer Macht steht, und das dabei genießt, und dabei ist völlig egal, wie ich mich verhalte, einfach, weil ich wertvoll bin.”

Emiliett hatte angefangen zu weinen und Freden hätte ihr gern ein Taschentuch gereicht. Aber wenn sie auch im Outernet weinte, würde ein virtuelles Taschentuch ihr nicht viel nützen. “Ich würde das sehr gern tun”, sagte Freden einfach. Auch wissend, dass Limonade in Virtualitäten auch so eine Sache war. Und vii würde sich ungern im Outernet treffen. Aber es gab sicher auch genügend andere Wünsche, die umsetzbar waren. Das waren Details. Da konnten sie durch, wenn sich Emiliett erstmal in das grundsätzliche ‘ja’ hineingefühlt hatte.

Emiliett machte Bewegungen, die nahelegten, dass sie die VR-Brille abnahm und sich die Augen wischte, bevor sie sich etwas anders hinsetzte. “Aber ist es wirklich ein Kink?”

“Es kann definitiv einer sein!”, versicherte Freden. “Ich denke, generell darfst du das entscheiden, ob es für dich einer ist. Aber wenn du von mir eine Einschätzung hören möchtest, warum ich es für mich so einordnen würde, mache ich das gern.”

“Ja bitte!”

“Du solltest dich natürlich einfach immer wertvoll fühlen können. Aber im Moment kannst du es im Alltag nicht, wenn ich dich richtig verstehe?” Freden wartete ein Nicken ab. “Aber in einem Rollenspiel könntest du es vielleicht?”

“Ja, ich denke, ich trickse damit meine Psyche aus. Ist es das? Ein Austricksen”

“Vielleicht.” Freden versuchte, die Mimik besonders freundlich zu formen, und dazu gehörte ein zartes Lächeln. Hoffentlich nicht zu breit. “Jedenfalls versetzt du dich in ein anderes Mindset, in dem du Dinge zulässt und Grenzen für dich anders steckst, als du es im Alltag tun würdest. Ich würde es vielleicht mit Catplay vergleichen. Es ist nicht unbedingt dramatisches Zeug, was Katzen bei Catplay tun, aber es geht doch häufiger mal über Grenzen, die sie außerhalb von Sessions nicht unbedingt überschreiten würden, wie, sich einfach krabbelnd an eine Person anschmiegen und Streicheleinheiten einfordern, oder etwas von einem Tisch schmeißen, einfach weil.”

“Oh!” Emiliett spiegelte das Lächeln. “Danke. Das ist tatsächlich hilfreich.”