04 - Kinktober - Aufklärung wäre halt schon wichtig

Content Notes

Erinnerung: Eine der Challenges, die in die Geschichte einfließen, ist der Kinktober.

  • BDSM.
  • Traumaaufarbeitung schlechter Kindheitserinnerungen von missglückten, frühen BDSM-Ausprobier-Erfahrungen. (Siehe letzte Geschichte.)
  • Gewalterfahrung.
  • Einkreisen.
  • Non-Konsens.
  • Tunnelspiel.
  • Nacktes Umarmen, impliziert, aber ihr dürft euch auch gern Badeanzüge oder Taucheranzüge vorstellen.
  • After-Care.

Prompts

  • Musik (#Solarpunktober).
  • Kräuter (#Phantastober). [Weil ich 4 mit 3 vertauscht habe und nun nicht neu schreiben will.]
  • Tauchen (#writetober2021).
  • leise (#Kinktober).

Geschichte

Wir liegen im Heilbad, nah bei einander. Du berührst mich noch nicht. Es geht noch nicht. Von dir mag ich es an sich, aber es geht eben noch nicht.

Da ist eine Menge Salz im Wasser und es duftet nach Kräutern, ist angenehm warm. Leise Musik hallt durch den Raum. Musik, die du mir mal komponiert und dann aufgenommen hast. Sie berührt mich sehr. Lässt mich wertvoll und behütet fühlen, wie ein geliebtes Kind. Du weißt schon sehr genau, was mir gut tut. Du wartest. Wartest, bis ich erzähle.

Du hattest auch die Idee mit dem Bad. Wir haben uns einen kleinen Baderaum zu zweit reserviert, ein Heilbad, dafür gedacht, sich psychisch und körperlich zu erholen. Du hast recht: Ich brauche das.

Eine Weile sage ich nichts. Es rinnen Tränen über mein Gesicht ins Wasser. Ich möchte, dass mein Gesicht ganz nass und warm ist. Ich tauche ab, mit geschlossenen Augen. Es ist leise unter Wasser. Es beruhigt. Das Gewicht des Wassers auf der Haut erdet mich. Nach dem Auftauchen wische ich mir die Augen gründlich trocken, bevor ich sie öffne, und doch brennen sie von den Resten von Salz.

Scheu reiche ich dir die Hand. Du nimmst sie in deine beiden. “Kannst du schon etwas sagen?”, fragst du.

“Ich hatte eine BDSM-Session mit einer Gruppe Hexen.”, leite ich ein. Das würden zu viele Details werden, die gerade gar keine Rolle spielen, merke ich. “Dass sie Hexen sind, ist nicht wichtig. Sie haben mich eingekreist, weil das mein Fetisch ist.”

Du nickst, streichelst einen Moment über meinen Handrücken, aber spürst mein Zucken und hältst sofort wieder still.

“Als ich ein Kind war, habe ich es irgendwie gewusst, dass ich darauf stehe. Weil mein Körper reagiert hat, wenn ich in Gruppen von Leuten war, und meine Fantasien nur diesen winzigen Schritt brauchten, um es sich zu Ende vorzustellen. Dass sie mich Einkreisen und Näherkommen und Bedrohen.” Unweigerlich fängt mein Körper schon bei der Vorstellung an, weich zu werden. Ich schiebe das Gefühl, so gut es geht, zur Seite.

Du drückst meine Hand nur etwas fester und hörst weiter zu.

“Ich habe damals, – ich war wohl etwa acht Jahre alt –, die Nachbarschaftskinder gefragt, ob sie mich einkreisen würden.”, gebe ich zu. Das erste Mal. “Sie wussten nicht, was es für mich bedeutet. Ich weiß nicht mehr, wie ich sie gefragt habe, aber sie haben es getan. Ich schäme mich so. Es war so unehrlich, sie quasi unwissentlich in meine Fantasien hineinzuziehen.”

“Du brauchst dich nicht zu schämen.”, sagst du. “Wobei ich es verstehe. Dein Gefühl.”, fügst du hinzu. “Aber Fetische sind so verschieden, so vielfältig. Du warst nicht informiert. Du warst ein Kind. Wir werden Jahre brauchen, um zu lernen, Kinder sinnvoll über Fetische aufzuklären, damit sie nicht in zum Beispiel solche Situationen rennen.”

Jetzt geht es. Ich ziehe deine Hand zu mir herüber, lehne meinen Rücken an deinen Körper und du nimmst mich fest von hinten in den Arm.

Ich nicke. “Du hast ja recht. Aber es fühlt sich so falsch an.”, sage ich. “Ich habe ja gewusst, dass es etwas mit meinem Körper und Denkzustand macht, worauf ich stehe. Ich kannte Vokabular zwar nicht, aber ich habe nicht einmal versucht, zu vermitteln, warum ich das will.”

Du nimmst mich noch etwas fester in den Arm. “Was haben die anderen Kinder gemacht. Willst du das erzählen?”

“Sie haben mich eingekreist. Wie ich es mir gewünscht hatte.”, sage ich. Erst jetzt fällt mir auf, dass diese Gruppe Kinder nie wieder in meinen Fantasien aufgetaucht ist, vorher aber schon. “Und dann war ich in jenem Kreis. Und wollte irgendwann nicht mehr. Aber wir haben eben nicht ausgemacht, wie ich aus der Situation wieder herauskomme. Es gab kein Safeword. Ich hatte ja vorher vermittelt, dass ich das will, obwohl es mir Angst macht. Vielleicht hatte ich sogar gesagt, dass sie das machen sollen, auch wenn ich mich wehre. Wie hätten sie wissen sollen, dass ich das ernst meine, dass ich nicht mehr will. Wenn ich es erst zaghaft sage, wenn es schon viel zu spät ist.”

Es ist so interessant, sich schuldig zu fühlen, weil ich andere in ein Fetisch-Spiel verwickelt habe, ohne dass sie gewusst haben, dass es eines gewesen ist. Während sie aber in der Erinnerung in der an sich mächtigeren Position gewesen sind. Es ist alles so falsch daran. Von vorn bis hinten und auf allen Seiten. Beklemmend falsch.

Du hältst mich einfach. Ich spüre deinen angespannten Körper. Merke, wie sehr du mitfühlst. Und habe deshalb schon wieder ein schlechtes Gewissen. Nein, das brauche ich nicht, ermahne ich mich. Du hast vorher zugesagt, dass du gern da sein möchtest. Wir haben darüber gesprochen, worum es ungefähr gehen wird. Du hast gesagt, dass du da sein möchtest. Und doch, es ist wichtig, sich zu kümmern, denke ich. “Wie geht es dir?”

“Gut genug.”, antwortest du sofort. Und fügst ein paar Momente später hinzu: “Das sind keine perfekten Worte, um zu beschreiben, wie es mir geht. Ich wollte dir nur sofort die Angst nehmen, dass es mir zu viel sein könnte.” Du wirkst einen Moment hadernd. Dann sagst du: “Ich fühle intensiv, dass ich dich sehr mag. Es schmerzt mich natürlich, was du erlebt hast, aber das mitzufühlen, ist ein Teil eines Zusammenwachsens für mich. Ich möchte genau das jetzt mit dir fühlen. Manchmal ist ein solches Fühlen dran und wichtig und ich bereue es nicht.”

Nun weine ich. Ich drehe mich in deinen Armen um, bis mein Kopf an deiner Schulter liegt. Umarme dich. “Ich habe dich auch sehr gern.”, sage ich. “Danke, dass ich meine Erinnerungen mit dir teilen durfte. Es fühlt sich jetzt leichter an. Schuldig fühle ich mich immer noch. Aber es ist ein bisschen besser.”

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